Proteste im spanischen Galicien: Zellstoff-Gigant am Jakobsweg
Der portugiesische Konzern Altri will im Nordwesten Spaniens eine große Fabrik bauen. Die Region sorgt sich um ihre Umwelt – und den Pilgertourismus.
Vor Ort regt sich Protest: „Eine Anlage in dieser Größe ist nicht mit unserer lokalen Wirtschaft kompatibel“, sagt die 34-jährige Programmiererin Marta Gontá. Sie ist Sprecherin der Bürgerinitiative Ulloa Viva, auf Deutsch „Lebendiges Ulloa“. Die Region lebt vom Pilgertourismus, enthält den wichtigsten Teil des Jakobswegs, und von der Viehzucht. Viele Betriebe sind Ökobetriebe.
Marta Gontá kommt aus der Gegend. Zum Studieren und Arbeiten zog es sie auch schon nach Barcelona und in die großen Städte Galiciens wie Lugo und Ourense. Jetzt lebt sie wieder in ihrer alten Heimat. „Die Lebensqualität ist hier auf dem Land einfach höher“, sagt die Mutter einer zweijährigen Tochter und Enkelin von Viehzüchtern. Genau um diese Lebensqualität fürchten die Menschen jetzt.
Altri gibt an, jährlich 46 Millionen Liter Wasser zu brauchen. 30 Millionen Liter sollen nach der Produktion in den Fluss Ulla zurückgehen. Ein 75 Meter hoher Schornstein soll entstehen. Was dort ausgestoßen werden soll, wird trotz Reinigung Reste an Schwefel, Schwefeloxid, Stickoxide und Kohlenmonoxid sowie Staub enthalten.
Altri lockt mit Arbeitsplätzen
„Die Fabrik liegt 420 Meter über dem Meer. Die umliegenden Berge sind 700 bis 1.000 Meter hoch. Die Abgase werden sich also hier im Tal stauen“, befürchtet Gontá. Wenn es regnet, würde all das dann herunterkommen und die Böden und damit die Weiden der Tiere verschmutzen.
Altri lockt mit 2.500 Arbeitsplätzen in einem Dorf mit etwas mehr als 3.000 Einwohnern. Die Regionalregierung wirbt für das Projekt, das unweit eines der europäischen Schutzgebiete Natura 2000 liegt. Der Genehmigungsprozess läuft. Die Bewohner der Region haben 24.041 Widersprüche eingelegt. „So viele wie nie zuvor bei einem Industrieprojekt in Galicien“, sagt Gontá.
Proxecto Gama nennt Altri das Vorhaben und legt bei der Öffentlichkeitsarbeit den Schwerpunkt auf Lyocell als nachhaltige Faser, als „Greenfiber“. Andere synthetische Fasern basieren auf Erdöl, nicht auf nachwachsendem Holz.
Interviews gibt es keine, dafür einen Internetauftritt mit allerlei Versprechungen. Das Projekt habe „positive Auswirkungen, nicht nur auf die Textilbranche, sondern auch auf das Umfeld der Fabrik“, heißt es in einem Werbevideo. „Greenfiber“ sei die Lösung für die Umweltprobleme der Textilbranche. Die sind tatsächlich groß: Es gibt einen enormen Wasserverbrauch, hohe CO2-Emissionen, viel Wasserverschmutzung und große Müllberge.
Altri verspricht, gemeinsam mit spanischen Investoren nachhaltig und vor allem zirkulär zu planen. „Eine Fabrik des 21. Jahrhunderts“ entstehe in Palas de Rei, „der Umwelt verpflichtet“. Deshalb will Altri 250 Millionen Euro aus dem Next Generation Fonds der Europäischen Union beantragen.
Ist Lyocell nachhaltig?
Auch an den Öko-Versprechen der Firma gibt es allerdings Kritik. „Angesichts der Klimakrise und des Artensterbens verkaufen in den letzten Jahren alle ihre Projekte als nachhaltig“, sagt Manoel Santos. Der Biologe ist der Koordinator der Umweltorganisation Greenpeace in Galicien und hat sich in den vergangenen Monaten ausführlich mit der Mode- und Textilbranche beschäftigt.
„Das Projekt braucht Unmengen an Wasser und Rohstoffen“, sagt er. Lyocell sei eine Faser für die schnelle Mode, die am Ende der Saison meist in der Tonne landet. Gegen Mode sei er nicht, aber schon gegen die Wegwerfmode. „Diese Überproduktion, diesen völlig verrückten Konsum kann niemand allen Ernstes verteidigen“, meint Santos.
„Was Altri hier bauen will, ist keine Lösung, es ist Teil des Problems“, urteilt Santos. Das Werk würde weitere Nachfrage nach Eukalyptusholz schaffen. „Genau das Gegenteil von dem, was wir in Nordspanien und Nordportugal brauchen“, sagt der Biologe. In den Eukalyptus-Monokulturen findet die einheimische Tierwelt keinen Lebensraum. Viele Pflanzen, die sonst in Harmonie mit den Wäldern wachsen, gibt es hier nicht mehr. Das schnell wachsende Holz senkt den Grundwasserspiegel und die Waldbrandgefahr erhöht sich.
„Die Eukalyptusplantagen, die hier in den letzten 50 Jahre dank der Papierindustrie entstanden sind, sind das größte Drama für die Biodiversität, das die Region je erlebt hat“, urteilt Santos.
Außerdem werde Lyocell nur wenig nachgefragt, so Santos. Weltweit sind es derzeit 400.000 Tonnen pro Jahr. Altri plant jährlich 200.000 Tonnen, die Hälfte des gesamten Weltverbrauchs. „Dabei wird Lyocell nur für wenige Stoffe gebraucht“, meint Santos. Es sei nur eine von vielen Fasern, die von der Textilindustrie genutzt werden.
Berater raten Textilkonzernen von Altri-Produkt ab
„Dort wird weiterhin vor allem Baumwolle und synthetische Fasern aus Erdölbasis verarbeitet. Und die Zukunft geht in Richtung dessen, was sich Next Generation Fibers nennt“, so Santos. Diese Fasern würden aus Rückständen der Lebensmittelindustrie, aus dem Recycling von weggeworfener Kleidung und von Kunststoffen hergestellt. „Fasern aus Holz sind weder zirkulär noch nachhaltig“, meint Santos.
Der Konzern Inditex, einer der Großen der Textilbranche mit Marken wie Zara, Pull&Bear, Massimo Dutti und Bershka, kommt aus Galicien. Altri dürfte unter anderem dieses Unternehmen als Abnehmer im Sinne haben. „Doch das wird wohl kaum eintreffen“, ist sich Santos sicher.
Vor einigen Monaten unterzeichneten 52 Umweltorganisationen aus aller Welt ein Protestschreiben an die galicische Regionalregierung gegen das Altri-Projekt. Darunter ist auch Canopy Plant. Die kanadische Organisation berät die Großen der Textilbranche über Fasern und Zulieferer. Von der von Altri geplanten Produktion rät Canopy bereits jetzt schon ab.
„Was die Organisation nicht empfiehlt, wird von den Großen normalerweise nicht angekauft“, meint Santos. „Wir werden also in Galicien Fasern produzieren, die in Europa keinen Markt haben.“
Transparenzhinweis: In der ersten Version ist statt von Galicien die Rede von Galizien. Letzteres ist aber keine spanische Region, sondern eine historische Landschaft im Süden von Polen und Westen der heutigen Ukraine. Der Fehler lag nicht beim Autoren.
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