Proteste im Libanon: Ein Toter, mehr als 200 Verletzte
Bei Protesten gegen die Coronabeschränkungen kommt es in Tripoli seit Tagen zu schweren Ausschreitungen. Ein Demonstrant erlag seinen Verletzungen.
Berlin taz | Erst im letzten Frühjahr hatte die Coronapandemie den Protesten im Libanon ein Ende bereitet – nun flammen sie wieder auf, offenbar ausgelöst durch aktuelle Coronamaßnahmen. Am dritten Abend in Folge kam es in der nordlibanesischen Stadt Tripoli am Mittwoch zu schweren Unruhen, bei denen ein Mann getötet wurde, wie libanesische Medien am Donnerstag berichteten.
Bei den Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften wurden zudem etliche Demonstrierende verletzt. Das Rote Kreuz sprach von 100 Verletzten, während es aus Krankenhauskreisen in der Stadt hieß, dass mehr als 200 Menschen verletzt worden sein.
Die Polizei teilte mit, es seien nicht nur Molotowcocktails auf Sicherheitskräfte geworfen worden, sondern auch Handgranaten, die sonst im Krieg eingesetzt würden. Sie meldete neun Verletzte in ihren Reihen. Protestierende hatten versucht, in den Sitz der Regionalregierung der Stadt einzudringen. Die Armee rückte in der Nacht aus und bezog Stellung auf dem zentralen Al-Nur-Platz.
Die Regierung in Beirut hatte Mitte Januar einen harten Lockdown über das Land verhängt. Es gilt eine 24-stündige Ausgangssperre, auch Supermärkte haben geschlossen und dürfen ihre Waren nur liefern. Die Pandemie verstärkt allerdings nur die Unzufriedenheit im Land und verschärft die Probleme, mit denen viele Libanes*innen schon zuvor zu kämpfen hatten. Das libanesische Pfund befindet sich seit Sommer im freien Fall, sodass Lebensmittel immer teurer werden.
Die libanesische Regierung ist nach der Explosion im Beiruter Hafen im August, die bis heute nicht gänzlich aufgeklärt worden ist, zurückgetreten und momentan nur geschäftsführend im Amt. Seit Monaten suchen die Politiker der großen Machtblöcke nach einer neuen konsensfähigen Regierung. Viele Libanes*innen sind diese Machtkämpfe leid, doch nach Veränderung sieht es aktuell nicht aus: Als neuer Regierungschef ist der einflussreichste sunnitische Politiker des Landes, Saad Hariri, im Gespräch, der erst 2019 unter dem Druck der damaligen Massenproteste zurückgetreten war.
„Braut der Revolution“
Auch damals stand Tripoli, von vielen auch „Braut der Revolution“ genannt, im Zentrum der Proteste. Die Stadt gehört zu den ärmsten Gegenden Libanons und ist eine sunnitische Hochburg in dem multikonfessionellen Land.
In sozialen Medien verbreitete sich diese Woche derselbe Hashtag – „Tripoli erhebt sich“ – wie während der Proteste 2019/2020. Viele Nutzer*innen wandten sich gegen eine von ihnen wahrgenommene Ungleichbehandlung der Stadt. „Tripoli verdient diese Vernachlässigung und Marginalisierung nicht“, twitterte Abed Harb, eigenen Angaben zufolge Mitglied der kleinen libanesischen Partei Sabaa.
Nach Bekanntwerden des Todesfalles in Tripoli am Mittwoch sprach der Analyst und linke Aktivist Nizar Hassan am Donnerstag von einer Hinrichtung. Omar Tayba, dessen Alter mit 29 oder 30 Jahren angegeben wird, sei von drei Kugeln getroffen worden. „Das ist eine Hinrichtung, keine Bekämpfung von Randale“, so Hassan. Taybas Bruder sagte der Nachrichtenagentur AFP, Omar habe die Proteste lediglich beobachtet. Dabei sei er angeschossen worden.
Derweil appellierte Amnesty International an Frankreich, Waffenlieferungen in den Libanon zu stoppen. Aus Frankreich gelieferte Gummigeschosse, Tränengasgranaten und Granatwerfer seien dafür benutzt worden, friedlichen Protest zu unterdrücken, kritisierte die Organisation am Donnerstag. Die Angaben bezogen sich allerdings auf regierungskritische Proteste der vergangenen Jahre.
Leser*innenkommentare
tomás zerolo
So ist's recht. Waffen statt Wirtschaftshilfen und Nahrungsmittel.
Global gesehen versagen wir mit der Pandemiebekämpfung auf der ganzen Linie.
BlackHeroe
@tomás zerolo Nun (angemessene) Proteste zu unterdrücken, statt sinnvolle Regelungen und Hilfen für alle, ist doch genau die westl. und EU Linie. Da liefert man ebend das was Regierungen für "Stabilität" brauchen. Ist auch einfacher ein paar Waffen zu liefern, anstatt breitbandig zu helfen oder gar die Wirtschaftsregeln zu verändern.
Ansonsten nein nicht die ganze Welt versagt dabei, vor allem die westliche Welt mit Ausnahmen. Schau dich mal um, z.B. Neusseeland, Australien und China haben die Sache scheints ganz gut im Griff. Und auch andere Teile der Welt stehen für ihre wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse gar nicht mal so schlecht da.