Proteste im Iran: Zeit für diplomatische Härte
Die Europäische Union will das Atomabkommen mit Iran um jeden Preis retten. Die Verlierer dabei sind die Oppositionellen im Land.
S eine Mutter stand neben ihm, als eine Kugel den Schädel von Puya Bakhtiari zerbarst. Gemeinsam mit ihr und seiner Schwester war der 27-Jährige in der iranischen Stadt Mehrshahr auf die Straße gegangen, um gegen massiv erhöhte Benzinpreise zu protestieren. Am 16. November 2019 wurde Puya eines der ersten Opfer des iranischen Regimes, das die bis dahin größten Proteste seit Gründung der Islamischen Republik 1979 mit äußerster Gewalt niederschlug.
Der US-Sonderbeauftragte für Iran, Brian Hook, erklärte Anfang Dezember, also gut zwei Wochen nach Beginn der Demonstrationen, dass es mehr als 1.000 Todesopfer gegeben habe; etwa 7.000 Protestierende waren bis zum 26. November laut offiziellen iranischen Angaben inhaftiert worden. Zu den Toten gehören laut Amnesty International auch Minderjährige; der 15-jährige Mohammad Dastankhah wurde mit einem Schuss in die Brust getötet, als er auf dem Heimweg von der Schule war.
Die deutsche Reaktion angesichts der faktischen Hinrichtung Hunderter von Menschen Ende letzten Jahres? Der Protest der Iraner sei „legitim“ und verdiene „Respekt“, hieß es von der Bundesregierung. Die Gewalt gegen die Demonstranten sei „unverhältnismäßig“.
Europas Strategie ist nicht aufgegangen
Nun ist die drängendste Frage in der EU: Wie geht es weiter mit dem Atomabkommen? Die Europäer wollen verhandeln und die Iraner überzeugen, im Abkommen zu verbleiben. Diese Woche wurde der sogenannte Streitschlichtungsmechanismus ausgelöst. All das, während in Iran wieder Menschen auf die Straße gingen und gegen das iranische Regime protestierten. Wieder gab es Verhaftungen. Mit diesem Regime, glauben die Europäer weiterhin, ließe sich ernsthaft verhandeln. Natürlich muss jede Lösung des Konflikts in der Diplomatie und nicht im Militärischen liegen. Aber die Strategie der Europäer gegenüber Iran ist bisher nicht aufgegangen.
Denn auch Demonstrationen in den Jahren zuvor waren vom iranischen Regime niedergeschlagen worden. Dass die Regierenden bei den Protesten Ende letzten Jahres kurzen Prozess gemacht haben, liegt auch daran, dass sie von EU-Seite keinerlei Konsequenzen dafür erfahren mussten, als sie auch in den vorherigen Protesten Menschen massenhaft inhaftiert und getötet hatten. Im Gegenteil; mit dem Atomabkommen aus dem Jahr 2015 gewann das Regime sogar an internationaler Legitimierung. Die Hoffnungen, die die iranische Bevölkerung in das Atomabkommen gesetzt hatte – ökonomische Erleichterungen –, haben sich nie erfüllt. Das Geld, das durch die Lockerung von Sanktionen ins Land floss, steckten sich Angehörige des Regimes und der Revolutionsgarden in die Taschen. Außerdem finanzierte das Regime die militärischen und politischen Interventionen im Irak, in Syrien und im Libanon.
Die Europäer verkennen, dass das Regime großer Profiteur des Atomabkommens ist. Die Führungsriege um Revolutionsführer Ajatollah Chamenei war anfangs gegen einen Deal. Aber auch sie haben inzwischen verstanden, wie opportun dieses Abkommen für sie ist. Das ist der wesentliche Grund dafür, warum Iran noch immer nicht ausgestiegen ist – obwohl die USA, der wichtigste Vertragspartner, das Abkommen schon lange nicht mehr stützen.
Aggressive Politik Teherans
Muss man Iran von einer Atombombe abhalten? In jedem Fall. Aber die Lösung kann nicht sein, eben jenes Regime zu unterstützen und zu stärken, von dem man die Bombe fernhalten will. Israel war von Anfang an gegen das Atomabkommen – obwohl es wohl das erste Opfer einer iranischen Atombombe wäre. Das iranische Regime hat mit seiner antisemitischen und antiisraelischen Rhetorik immer wieder klargemacht, dass es nicht zögern würde, Israel direkt anzugreifen – über die Unterstützung von Hamas und Hisbollah tut es das bereits auf indirektem Wege. Warum also ist Israel gegen das Abkommen? Weil es unter der aggressiven Regionalpolitik Irans leidet und dies auch mit dem Atomabkommen in Verbindung bringt.
ist freie Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Ärztin. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind der Nahe Osten, Antisemitismus und Rassismus.
Nicht nur Israel fühlt sich von Europas Politik im Stich gelassen. Jene Iraner und ihre Familien, die seit Jahren gefoltert, eingesperrt und von ihrem eigenen Regime massakriert werden, zählen schon lange nicht mehr auf die Europäer. Die EU-Politik setzt seit Jahren auf „Stabilität“ im Nahen Osten. Dass es dabei die iranische Bevölkerung in ihrem Aufbegehren gegen das Regime nicht nur nicht unterstützt, sondern regelrecht schwächt, scheint die EU-Regierungen nicht zu kümmern.
Die Regierenden in Teheran sind nervös. Auch wenn sie in der Öffentlichkeit wenig Beachtung finden: Iraner, die gegen das Regime sind, laut oder leise, gibt es viele. Viele Menschen im Land haben genug von Korruption, wirtschaftlicher Misere und Repression. Jetzt ist nicht die Zeit, das Regime durch finanzielle Hilfen oder diplomatisches Entgegenkommen aufzupäppeln. Das macht weder das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung noch einer iranischen Atombombe kleiner. Denn auch das Atomabkommen beendet die nuklearen Ambitionen Irans nicht, es bremst sie nur. Warum die EU hofft, die Situation mit Iran würde sich in den nächsten Jahren entspannen, erschließt sich nicht. Die USA sanktionieren Angehörige des Regimes, die Menschenrechtsverletzungen begehen, konsequent. Die Europäer sollten sich dieser US-amerikanischen und von Israel unterstützten Politik und der – selbst nur rhetorischen – Unterstützung der inneriranischen Regimegegner anschließen. Nun kann man von Trump und seiner Nahostpolitik halten, was man will. Aber die Regimegegner in Iran nehmen sehr wohl wahr, ob sie von der Welt gesehen und gehört werden.
Nur das kann glaubwürdige Politik gegenüber einem Regime sein, das seine eigene Bevölkerung foltert, einsperrt und tötet. Puya Bakhtiari und Mohammad Dastankhah sind nur zwei der vielen Opfer, die dieses Regime auf dem Gewissen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance