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Proteste gegen A100-Eröffnung in BerlinHeimlich und hochgesichert

Abgeschottet im Hotel Estrel feiern Po­li­ti­ke­r:in­nen die Eröffnung des 16. Bauabschnitts der A 100. Größere Störungen verhindert die Polizei.

A 100 Geg­ne­r:in­nen wollen die Eröffnung nicht unbeantwortet lassen Foto: dpa | Sebastian Gollnow

Berlin taz | Der große Tag der Eröffnung des 16. Bauabschnitts der A100 beginnt mit Gemecker. Allerdings nicht von den Geg­ne­r:in­nen des Projekts, die sich am Vormittag am neuen Ende der Autobahn am Treptower Park auf dem Gehsteig versammelt haben, sondern von einem, der eigentlich von ihr profitieren soll: „Jetzt klopft ihr hier extra ’ne neue Autobahn hin, nur um dann die Straßen zu verstopfen!“, schimpft ein Autofahrer durch sein Fenster in Richtung Polizei. Denn die blockiert mit einem knappen Dutzend Wannen eine Spur der Straße Am Treptower Park.

Etwa fünfzig Ak­ti­vis­t:in­nen haben sich hier am Vormittag versammelt und posieren vor großen roten Lettern, die das „Ende“ des Ausbaus der A 100 an dieser Stelle symbolisieren. „Wir feiern heute das Ende dieser Autobahn! Es wird keinen Meter Neubau in dieser Stadt mehr geben!“, ruft Briti Beneke von der Bür­ge­r:In­nen­in­itia­ti­ve A 100 ins Mikrofon.

Sie betont, dass für die Ak­ti­vis­t:in­nen heute kein Tag der Niederlage ist, weil entgegen ihrem jahrelangen Widerstand der 16. Abschnitt von Neukölln bis zum Treptower Park tatsächlich eröffnet wird. Im Gegenteil sei heute der Beginn einer neuen Auseinandersetzung: die um den drohenden Weiterbau der A 100 durch Friedrichshain bis zur Storkower Straße.

Zunächst zählt Beneke erneut die Statistik der Zerstörung des 16. Abschnitts auf: 314 Kleingärten, 450 Bäume, 89 Wohnungen, 100.000 Quadratmeter zusätzlich versiegelte Fläche und Zehntausende zusätzliche Autos über die Elsenbrücke – das sei die Konsequenz der 3,2 Kilometer langen Strecke, die mit Kosten in Höhe von 721 Millionen Euro als die teuerste Autobahn Deutschlands gilt. „Was wir nicht auf der Fläche sehen, sind neu gebaute Wohnungen, eine Fahrradtrasse, ein Schwimmbad, einfach Raum zu leben“, sagt Beneke. Sie spricht von einer „lebensfeindlichen Fläche“, die hier gebaut worden sei. „Jeder, der sie zu Fuß betritt, wird getötet“, sagte sie.

Eröffnung fernab der Öffentlichkeit

Von einem großen Volksfest, das Autobahneröffnungen in der Vergangenheit oft waren, ist bei den offiziellen Feierlichkeiten nichts zu spüren. Eine öffentliche Feier unter freiem Himmel wurde im Vorfeld abgesagt, aus Angst vor den Protesten der Autobahngegner:innen. Nur ganz kurzfristig wird doch noch ein Presstermin auf der Autobahn selbst angekündigt, streng abgesichert durch die Polizei. Journalist:innen, die teilnehmen wollen, werden akribisch vom BKA kontrolliert. Ansonsten besteht die Öffentlichkeit nur aus ein paar Bauarbeitern der Autobahn GmbH, die das Geschehen von etwas weiter entfernt beobachten. Mit der Presse reden dürfen sie aber nicht. „Keine Auskünfte“, sagt einer von ihnen nur knapp.

Es folgt eine politische Inszenierung, die keine zehn Minuten dauert. Von Per­so­nen­schüt­ze­r:in­nen begleitet steigen Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und der Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) aus ihren Limousinen und laufen ein paar Meter auf der brandneuen Autobahn in Richtung eines deutschlandfarbenen Bandes. Beide bekommen goldene Scheren in die Hand gedrückt, ein Blitzlichtgewitter folgt, dann zwei kurze Statements der beiden Politiker. Anschließend setzt sich die Karawane wieder in Bewegung, über die neue Autobahn, direkt ins Estrel-Hotel, wo die eigentliche Feier unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

In seinem Statement spricht Wegner von einem „guten Tag für Berlin“, die A 100 sei eine „Hauptschlagader durch unsere Stadt“, die Ost und West verbinde. Schnieder steigt darauf ein, bemüht sich sogar um eine Erwähnung des Mauerfalls, sagt, die Stadt wachse nun endlich zusammen. Die Proteste findet Wegner „sehr überschaubar“. „Viele Anwohner haben darauf gehofft, dass die Eröffnung stattfindet“, ist er sich sicher.

Und Schnieder lässt sich sogar noch zu der Aussage hinreißen, der Bau des sich seit 2013 immer wieder verzögernden Abschnitts habe doch „wunderbar funktioniert“. Und die Mobilitätswende? Die sei natürlich wichtig, doch es brauche „nach wie vor individuelle Mobilität und auch die Straßen dafür“, so der Minister.

Allein auf weiter Flur: Die Eröffnung der A100 ohne Bevölkerung Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Currywurst im Luxushotel

Bei der offiziellen Feierstunde in einem Saal des Estrel-Hotels werden die Herren dann noch einmal auf die Bühne gebeten. Dort dürfen sie sich in einem schnell zusammengeschnitten Video erneut auf der Leinwand beim Banddurchschneiden zusehen. Bevor die mehreren hundert geladenen Gäste zu einem Büffet mit Schaumwein, Currywurstpampe und Buletten schreiten, werden in den Ansprachen noch einmal alle Talking Points abgehakt.

Der größte Teil aller Waren werde auf der Straße transportiert, sagt Bundesverkehrsminister Schnieder, und der Güterverkehr werde „weiter zunehmen, ob wir wollen oder nicht“. Autobahnen machten nur 2 Prozent des Berliner Straßennetzes aus, auf ihnen fände aber „20 Prozent der Verkehre“ statt. Das neue Stück A 100 werde „städtische Straßen entlasten“ und in den Wohngebieten „Räume schaffen“, auch „Freizeiträume“ – glaubt Schnieder.

Der Geschäftsführer der Autobahn GmbH, Michael Güntner, lobt die „höchste ingenieur­technische Präzision“, mit der das Teilstück in Tunnel- und Trog­lage errichtet worden sei. Der Bau unter der Ringbahn hindurch, ohne den Zugverkehr zu unterbrechen, sei ein „Meisterstück“ gewesen, und die umwelttechnische Ausstattung der Autobahn setze „Maßstäbe“. Den AnwohnerInnen dankt Güntner, dass sie „bereit gewesen“ seien, den jahrelangen Lärm zu ertragen.

Wie seine Vorredner betont auch Wegner noch einmal, dass die Fertigstellung des 16. Bauabschnitts („erfüllt mich mit großem Stolz“) ohne den Bau des 17. unvollendet sei. Er sei dem Bundesverkehrsminister „dankbar, dass dies noch nicht das Ende ist“ so Wegner. Denn erst mit der Autobahn bis zur Storkower Straße „sortierten“ sich die Verkehre optimal. „Eine leistungsfähige Infrastruktur ist kein Gegensatz zur Verkehrswende“, behauptet er – schließlich brauche auch die künftige Elektromobilität Straßen.

Das sieht Claudia Leistner, grüne Verkehrsstadträtin von Treptow-Köpenick, erwartbar anders. Sie ist bei den DemonstrantInnen vor dem Estrel geblieben, für sie ist dies „kein guter Tag für Berlin“. Gegenüber der taz fordert sie einen „qualifizierten Abschluss“ der Autobahn am Treptower Park und ein Verkehrskonzept, das die AnwohnerInnen entlastet. Ob es vielleicht gar nicht zum befürchteten Chaos kommen und die ApologetInnen Recht behalten könnten? Das kann Leistner nicht ausschließen: „Es wäre der beste denkbare Fall und eine große Überraschung“, sagt sie. Trotzdem bliebe das Projekt komplett aus der Zeit gefallen.

Nächtliche Aktion erfolglos

Insgesamt bleiben die Proteste an diesem Eröffnungstag ruhig. Bereits in der Nacht konnte die Polizei Aktionen von Ak­ti­vis­t:in­nen weitgehend verhindern. Die ganze Nacht über war auffällig viel Polizei in den Straßen rund um den neuen Autobahnabschnitt unterwegs. Aber auch Kleingruppen von vermummten jungen Leuten auf Fahrrädern bewegten sich in den Vierteln, die darauf warteten, noch in Aktion treten zu können.

Die Gelegenheit erhielten sie nicht. Auf allen Brücken stand die Polizei bereit. Aus teils zivilen Autos fotografierten die Be­am­t:in­nen jeden, der es wagte, sich auf einer der Brücken aufzuhalten. Nur an der Brücke an der Dieselstraße gelang es Aktivist:innen, Farbbomben auf den Asphalt zu werfen. Doch noch in der Nacht rückte ein Sonderreinigungstrupp der BSR an, um den Schaden zu beseitigen.

Ein bisschen Widerstand gab es doch: Ein Farbbeutel hat es auf die A100 geschafft Foto: Florian Boillot

Der große Protest vom Bündnis „A 100 Wegbassen“ findet mittags vor dem Estrel-Hotel statt. Etwa 280 Menschen haben sich hier nach Polizeiangaben versammelt, viele sind in Anwohnerinitiativen, Umweltschutzorganisationen und antikapitalistischen Gruppen aktiv. Die Gruppe Changing Cities hat zwei große aufblasbare Dinos mitgebracht, die wohl die fossile Verkehrspolitik von CDU und SPD symbolisieren sollen. „Scheiß auf eure Autobahn, lass mal lieber Fahrrad fahren“, skandieren die Protestierenden und singen eine für die A-100-Eröffnung abgewandelte Version des ACDC-Songs „Highway to Hell“.

„Die Autobahn ist eine reine Klassenpolitik im Interesse der Reichen und der Autokonzerne“, sagt ein Redner der Interventio­nistischen Linken. Es seien die Menschen in den Kiezen, die sich kein Auto leisten können, aber den Preis für die Klima­krise bezahlen müssten. Und der Protest werde weitergehen: „Die A 100 ist unvereinbar mit einer lebensgerechteten Stadt und unvereinbar mit uns. Dieses Berlin ist nicht ihr Berlin, sondern unseres!“, ruft er unter Applaus.

Nur kurzzeitig heizt sich die Stimmung auf, als die rechtslibertäre Kleinstpartei FDP versucht, den Gegenprotest mit einem weiteren Gegenprotest zu provozieren. „Da geht noch mehr – A 100 bis Prenzlauer Berg“ steht auf dem gelb-lila Transparent, dazu ein paar Abbildungen von Autos. Die Provokation wirkt, ein Pfeifkonzert setzt sich in Gang. Doch zur Eskalation kommt es nicht. Die Polizei schirmt die Autoultras schnell ab und leitet sie auf die gegenüberliegende Straßenseite – unter lauten „Anticapitalista“-Rufen der Protestierenden.

Dieser Text wurde um 17:15 Uhr ergänzt und aktualisiert.

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