Proteste bei Holocaustmuseum-Eröffnung: Ein bitterer Kontext
In Amsterdam eröffnet das Holocaustmuseum als erstes seiner Art in den Niederlanden. In der Stadt kommt es zu propalästinensischen Demonstrationen.
Ein Meilenstein sollte er sein, dieser 10. März: der Tag, an dem das Nationale Holocaustmuseum der Niederlande seinen Platz in der niederländischen Museumslandschaft einnimmt und damit die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung des Landes den ihren im kollektiven Gedächtnis. So jedenfalls drückte es Direktor Emile Schrijver aus, zu Beginn des Festakts in der berühmten Portugiesischen Synagoge Amsterdams, die ein paar Ecken entfernt liegt.
Was Konzept und Architektur angeht, hat man – nach jahrzehntelangem „Unvermögen, mit dem Mord umzugehen“ (Schrijver) – einiges in Bewegung gesetzt. Das ehemalige Schulhaus, in dem einst protestantische Lehrer*innen ausgebildet wurden, ist mit viel hellem Holz und Lichteinfall kein Ort, der die Atmosphäre des Grauens hervorrufen will.
Auch die Interaktion mit dem Außenbereich trägt dazu bei, etwa durch lebensgroße Porträtaufnahmen von Kindern, die hier einst vor der Deportation gerettet wurden. Von der Sammelstelle auf der anderen Straßenseite brachte man sie bis zum geplanten Abtransport ihrer Familie in die jüdische Kita nebenan – und in unbemerkten Augenblicken über die Schule in ein Versteck.
Dass man auch die Geschichte der Rettung erzählen will, liegt nahe an diesem Ort, an dem finsterste Abgründe und Lichtblicke eine Straßenseite voneinander entfernt lagen. Schrijver und Annemiek Gringold, die Konservatorin, kündigten im Vorfeld der Eröffnung an, man wolle den Opfern ihre Menschlichkeit zurückgeben. In der Ausstellung sind persönliche Gegenstände zu sehen: eine Tasche, eine Trinkflasche, zwei Zöpfe, die Rozette van Dijk ihrer Tochter Elisabeth abschnitt, als diese im KZ Bergen-Belsen an Läusen litt.
Tragische Rolle des „Jüdischen Rats“
Auch die 19 „Vergiss-mein-nicht-Installationen“ tragen dazu bei, die verteilt über die Dauer-Ausstellung auf die Schicksale einzelner Ermordeter zoomen. In unmittelbarer Nähe freilich findet sich die Personenkartei des „Jüdischen Rats“, von den deutschen Besetzern ins Leben gerufen. Das Gremium, dessen tragischer Rolle sich aktuell die niederländische TV-Serie „De Joodse Raad“ annimmt, gab manchen die Illusion, das Schlimmste verhindern zu können. Am Ende stand die Ermordung von drei Vierteln der jüdischen Bevölkerung des Landes.
Dass dieser Teil der Geschichte nun sein eigenes Museum hat, schafft Anerkennung für die Opfer und ihre Nachkommen. Die niederländische Gesellschaft begegnete den Überlebenden lange mit Desinteresse und Schweigen. Bis heute wird der Holocaust selten benannt, sondern eher mitgedacht, wenn von „dem Krieg“ die Rede ist. Doch es gibt noch einen anderen Effekt des Nationaal Holocaust Museum: Das Jüdische Museum (ehemals „Jüdisch-Historisch“) wird von der Aufgabe befreit, sich bei der jahrhundertelangen jüdischen Geschichte der Niederlande auf die Epoche der Schoa zu konzentrieren.
Dass es im neuen Haus mittelfristig Sonderausstellungen geben wird, kündigten Gringold und Schrijver bereits an. Der Themenkomplex Schoa soll auch diskursiv angegangen werden. „Der Terrorangriff des 7. Oktober, der schreckliche Krieg, der darauf folgte, und der beunruhigende Anstieg von Antisemitismus, gerade auch in den Niederlanden, verleihen dem Ganzen einen bitteren Kontext“, so der Direktor in seiner Ansprache.
Der bittere Kontext manifestierte sich dann in Demonstrationen an mehreren Orten in der Stadt: Ein paar Minuten entfernt hatten sich rund 1.000 Menschen versammelt, um gegen die Anwesenheit des israelischen Präsidenten Izchak Herzog bei der Eröffnung zu protestieren. Aufgerufen hatte eine antizionistische jüdische Gruppe, gekommen sind Palästinenserinnen und Gaza-Aktivisten, Samidoun, antiimperialistische und antikoloniale Linke.
Auch die islamistische Hizb ut-Tahrir hatte zu einer Kundgebung aufgerufen. Im Westen der Stadt demonstrierten später am Tag einige Hundert Menschen, nach Geschlechtern getrennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung