piwik no script img

Protestaktion von Ende GeländeRiskante Geschäfte blockiert

In Brunsbüttel machen mehrere Firmen mit klimaschädlichen Technologien Kasse. Beim Protest dagegen kam es zu Konflikten mit der Polizei.

Demonstrierende besetzten unter anderem eine Zufahrt in einem Industriegebiet Foto: Jonas Walzberg/dpa

Brunsbüttel taz | Steine fliegen über das Werktor hinweg in Richtung der Aktivist*innen. Als der Demonstrationszug von Ende Gelände um 13.15 Uhr den Zaun zum Grundstück des Düngemittelproduzenten „Yara“ in Brunsbüttel erreicht, klettert ein Security-Mitarbeiter aus dem Wachturm und wirft mehrmals gezielt in Richtung der Demonstrant*innen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen weichen zurück, niemand wird verletzt. Rückzug, erstmal, und Deckung. Von hinten kommen Po­li­zis­t*in­nen mit Hunden über die Gleise angelaufen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen setzen sich vor das Werktor, hier ist erstmal Ende, zumindest eine Weile Stillstand.

Um 9 Uhr morgens hatte der erste Demozug mit 700 Personen das Camp in der Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt verlassen. Etwa anderthalb Stunden später folgten der zweite und der dritte Zug. Ihr Ziel: Der wenige Kilometer entfernte Chemiepark an der Elbe, dort soll nach Plänen des Bundes und der Landesregierung ein LNG-Terminal gebaut werden. LNG steht für Liquefied Natural Gas und ist umstritten, weil es weil beim Transport und der Gewinnung des Erdgases das extrem klimaschädliche Treibhausgas Methan freigesetzt wird. In dem Chemiepark sind neben dem Kunstdüngerproduzenten noch andere Unternehmen wie der französische Ölriese Total angesiedelt, die Profite mit fossilen Energien machen.

Nach vier Stunden Fußmarsch und der Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals in mehreren Kleingruppen mit der Fähre brach der als „pinker Finger“ bezeichnete Demonstrationszug plötzlich durch die Böschung und kletterte auf die Gleise. Die überraschten Po­li­zis­t*in­nen konnten den Zug erst ein paar hundert Meter später einholen und einen Teil der De­mons­tran­t*in­nen festhalten, die anderen gelangten vor das Werktor.

Zwischenfall mit Hund

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Der „rote Finger“, der später gestartet war, versuchte, ebenfalls gegen Mittag, einen Durchbruch am Werksgelände des Kunststoffherstellers Covestro. Die Polizei verhinderte jedoch, dass die Ak­ti­vis­t*in­nen auf das Gelände gelangten. Ein Polizist habe seinen aufgebrachten und bellenden Hund immer abwechselnd an der Leine zu sich herangezogen, und die Leine wieder lang gelassen, sodass der Hund Personen anspringen konnte, berichtet der freie Fotograf Finn Andorra.

„Der Hund sprang auf mich zu, und nur weil ich einen Satz nach hinten gemacht habe, ist mir nichts passiert“, berichtet der Fotograf. Auf Twitter fragte er die Polizeipressestelle, ob es normal sei, dass Polizeihunde auf Jour­na­lis­t*in­nen losgelassen würden. „Nein, aber unsere Pressesprecher sind vor Ort um Hintergründe dazu zu beantworten“, antwortete das Social Media Team der Schleswig-Holsteinischen Landespolizei. Auf taz-Nachfrage sagte der Polizeisprecher, dass es zu „keinem gezielten Kontakt zwischen dem Hund und dem Journalisten gekommen“ sei.

Gegen 14 Uhr erreichte auch der dritte, „gelbe Finger“ sein Ziel: Bahngleise am Werkgelände der Erdöl- und Chemiefabrik Sasol. „Der Chemiepark ist damit von beiden Seiten blockiert“, meldete Ende Gelände seinen Erfolg. „Wenn hier in Fracking-Gas investiert werden soll, dann sind wir das Investitionsrisiko“, triumphierte die Sprecherin Eila Nejem. „Für Kohle, Öl und Gas ist heute Ende Gelände.“ Der Konzern Sasol mit Sitz in Johannesburg ist das zweitgrößte Industrieunternehmen Südafrikas und laut Um­welt­schüt­ze­r*in­nen dort verantwortlich für den weltweit größten Treibhausgasausstoß an einem einzigen Ort. Eine einzige Anlage emittiert laut der Nachrichtenplattform Bloomberg Green 56,6 Millionen Tonnen Treibhausgas pro Jahr – mehr als 100 Länder zusammen.

Aktion in Hamburg kurzfristig abgesagt

Neben Brunsbüttel hatte Ende Gelände für das Wochenende auch Hamburg zum Aktionsgebiet erklärt. Eine weitere Massenaktion sollte sich dort gegen die kolonialistische Ausbeutung durch europäische Energiekonzerne im globalen Süden und gegen Rassismus richten. Am Vormittag sagten die Ak­ti­vis­t*in­nen die Aktion zivilen Ungehorsams jedoch ab. „Angesichts der drohenden Repression durch die Polizei konnten wir nicht für die Sicherheit der Ak­ti­vis­t*in­nen garantieren“, sagt die Sprecherin der „Antikolonialen Attacke, Rokaya Hamid.

Stattdessen habe man sich entschieden, den Protest gegen koloniale Ausbeutungen von Menschen und Umwelt anderweitig kundzutun. Rund 100 Personen versammelten am Mittag zu einer Kundgebung, für den Nachmittag kündigten sie eine Demo in Solidarität mit der selbstorganisierten Mi­gran­t*in­nen­grup­pe „Lampedusa in Hamburg“ an, deren Dauermahnwache die Polizei im vergangenen September unter Berufung auf den Infektionsschutz nach sieben Jahren Protest verboten und geräumt hatte. Für den Abend seien weitere Aktionen geplant, so Hamid.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Interessant, dass die Linke andere Gasprojekte ausdrücklich begrüßt. Aber das ist gutes Gas von den antifaschistischen Menschenfreunden im Osten.

    • @Yessir Icanboogy:

      Mal ideologische Scheuklappen absetzen. Es geht um Fracking-Gas. Die Auswirkungen für die Umwelt stehen im Text. Was hat die Linke damit zu tun?

    • @Yessir Icanboogy:

      Die Linke???

      Die Grünen, die heftigsten Gegner von Nordstream 2, schweigen zu Turkstream, South Stream und anderen Pipelines, die russisches Gas nach Europa bringen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    "Der Konzern Sasol mit Sitz in Johannesburg ist das zweitgrößte Industrieunternehmen Südafrikas" usw

    Stimmt schon, Sasol hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Apartheid Regime in Südafrika so lange durchhalten hat. Mit Fischer-Tropsch haben die aus Kohle Benzin und Diesel gemacht, weil Ölembargo etc. Aber nun versorgen sie halb Afrika mit Diesel etc. Zum Beispiel für Stromgeneratoren. Kann man Scheiße finden, dass die Menschen dort Auto fahren und Licht haben.



    Könnte man ihnen statt dessen Solaranlagen mit Akku-Speicher besorgen. Das ein Auto ein Traum Vieler in Südafrika ist, wird man in nächster Zeit nicht verhindern können. Da hat hier keiner ein Recht dazu. Auch nicht die taz, die nachdenken sollte, was sie so schreibt. Einen Afrika-Korrespondenten hat sie ja.

  • 700 Demonstranten. Eine lächerliche Minderheit. Aber auch ein noch so kleine Minderheit hat das Recht ihre Meinung zu sagen. Die Polizei hat offentsichtlich schlimmeres verhindert. Dank an die Beamten die einen tollen Job gemacht haben.

    • @Kristina Ihle:

      Und was schlimmes genau hat die Polizei verhindert? Minderheiten als lächerlich zu bezeichnen zeigt welchem Geistes Kind sie sind.

    • @Kristina Ihle:

      Was wären wir ohne unsere Polizei?

      In diesen Stunden beweist sie in Berlin, wie hervorragend sie in der Lage ist, einer verbotenen Demonstration Herr zu werden.

      Was lernt uns das? Tun zwei das gleiche, ist das nicht immer dasselbe.

      Der eine kriegt eine aufs Maul, der andere darf seines aufreißen, auch wenn nur Müll herauskommt.

  • Und Polizeistaat rüstet sich noch mit Panzervehikeln...

    • @Ardaga:

      Terroranschlag Wien mit Kalaschnikows mitbekommen?

      • @Wonneproppen:

        Terror findet immer seinen Weg, er lässt sich mit polizeistaatlichen Mitteln nicht verhindern.

  • „Angesichts der drohenden Repression durch die Polizei konnten wir nicht für die Sicherheit der Ak­ti­vis­t*in­nen garantieren“, sagt die Sprecherin.

    Schon mies, diese drohende Strafverfolgung. Wie wär's damit, das Versammlungsgesetz zu respektieren, wie man es auch von Coronaleugnern und Rechten erwartet. Gleiches Recht für alle.

    • @Wonneproppen:

      Zur Info, Demonstrationen und Blockaden sind keine Straftaten, die verfolgt werden dürfen.



      Wer so etwas verdrehtes von sich gibt, ist rechtlich und charakterlich weder für den Polizeidienst noch sonst einen öffentlichen Dienst geeignet und sollte für diese kriminellen Äusserungen zur Rechenschaft gezogen werden.