Protest in Brüssel, Paris und Italien: Bauern legen Europaviertel lahm
In Brüssel haben Landwirte Straßen blockiert, um gegen die Agrarpolitik zu demonstrieren. In Europa gehen die Proteste weiter.
„Wir müssen auf dem Gipfel auch darüber sprechen“, sagte der belgische Premierminister Alexander De Croo mit Blick auf die Unruhen. „Die Forderungen sind zum Teil berechtigt.“ Ähnlich äußerte sich der französische Präsident Emmanuel Macron. Dabei war der Bauernaufstand kein Thema beim EU-Gipfel, zumindest nicht offiziell. Er werde am Rande mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprechen, sagte Macron.
Die Agrarpolitik wird vor allem in Brüssel gemacht, die EU-Kommission verteilt auch die meisten Subventionen. Deshalb richtet sich der Zorn nun auf die EU. Doch von der Leyen hat sich bisher kaum bewegt. Wohl als Reaktion auf die deutschen Bauernproteste legte sie in der letzten Woche einen „strategischen Dialog“ auf – ohne greifbare Ergebnisse. Am Mittwoch kündigte sie dann erste Zugeständnisse an, etwa bei Agrarimporten aus der Ukraine und bei der Nutzung von Brachflächen für den Ackerbau.
Doch viele Landwirte sehen darin nur eine Beruhigungspille. Sie fordern Soforthilfen und weniger Bürokratie. Die EU verhänge zu viele Umwelt- und Klimaauflagen und subventioniere vor allem große Agrarbetriebe, hieß es beim Bauernaufstand in Brüssel. Die kleinen Bauern blieben auf der Strecke. Dass Brüssel nun auch noch Billigexporte aus der Ukraine zulässt und ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten plant, sorgt für zusätzlichen Ärger. „Stopp Mercosur“, stand in Brüssel denn auch auf einem Plakat der Protestbauern, eine Anspielung auf das geplante Abkommen mit Südamerika.
Frankreich: Umzingeltes Paris und Zugeständnisse
Dass Macron ein Gespräch mit von der Leyen ankündigte, hatte auch mit der Lage in seinem eigenen Land zu tun, wo weiter zahlreiche Landwirte ihrem Unmut freien Lauf ließen. Am dritten Tag in Folge war die französische Hauptstadt am Donnerstag nicht über die Autobahn zu erreichen. Mit ihren Sperren aus Traktoren und Pkws ist es den Landwirten gelungen, Paris zu umzingeln und zu belagern – wie sie das am Wochenende angedroht hatten. An mehreren Stellen hatte die Polizei versucht, sie mit Panzerfahrzeugen zu stoppen, doch die geländegängigen Traktoren umfuhren einfach das Hindernis.
So gelang es einem vom Osten her kommenden Konvoi am Mittwoch, bis auf das Gelände des Großmarkts Rungis im Pariser Süden vorzustoßen. Die Polizei schritt erst ein, als einige Dutzend Demonstranten in die Markthallen eindrangen. Rund 80 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Ein zweiter aus der Stadt Agen im Süden nach Rungis anrollender Konvoi der Gewerkschaft Coordination rurale konnte dagegen von den Ordnungskräften aufgehalten und zur Umkehr gezwungen werden.
Während die Zufahrten nach Paris und in andere Städte Frankreichs weiter von rund 10.000 Landwirten mit 8.500 Traktoren blockiert wurden, kündigte die Regierung am Donnerstag eine dritte Welle von finanziellen und politischen Zugeständnissen an. Bei einer Pressekonferenz kündigte Premierminister Gabriel Attal zusammen mit dreien seiner Minister weitergehende Konzessionen an, die wie eine Kapitulation vor dem Druck der populären Bauernaktionen wirken.
Attal versprach eine finanzielle Soforthilfe im Umfang von 150 Millionen Euro in Form erlassener Steuern und Abgaben und weitere 2 Milliarden für erleichterte Anleihen. Generell möchte er die nationale „Souveränität der Landwirtschaft“ als Zielsetzung im Gesetz verankern. Auch auf die Sorge der Landwirte vor Billigimporten ging Macrons Premier ein: So versprach Attal, dass Frankreich das Mercosur-Abkommen mit vier lateinamerikanischen Staaten nicht unterzeichnen werde. Er erklärte sich auch bereit, namentlich Verhandlungen über die (bisherige) Einfuhr von Getreide aus der Ukraine aufzunehmen.
Ob dies den zornigen Bauern genügen wird, um wieder nach Hause zu fahren, blieb am Donnerstag zunächst unklar. In einer ersten Stellungnahme äußerte sich der wichtigste Bauernverbands FNSEA immerhin positiv. Ein weiteres Entgegenkommen erhoffen sie sich aus Brüssel.
Italien: Hafenblockade und gegen synthetisches Fleisch
Traktorkolonnen vor dem Kollosseum? Fehlanzeige. Anders als in Frankreich und Deutschland haben die Bauernproteste in Italien noch nicht die Hauptstadt des Landes erreicht. Doch auch südlich des Brenners sind die Landwirte in diversen Regionen mit ihren Traktoren unterwegs. Auf Sardinien blockierten sie am Dienstag den Hafen von Cagliari und stoppten Lkws auf ihrem Weg zu den Fähren. In der Toskana kamen hunderte Bauern an der Autobahn zwischen Mailand und Rom zusammen. Ähnliche Aktionen gab es in der Lombardei, wo lange Treckerkonvois den Verkehr behinderten und Autobahnzufahrten blockierten. Bilder dieser Art waren auch in Süditalien zu sehen.
Die Klagen der italienischen Landwirte sind überall gleich – und richten sich vor allem an die EU. Klar, auch in Italien geht es darum, dass der Agrardiesel auch in Zukunft steuerfrei bleiben soll. Vor allem aber richten sich die Beschwerden gegen die „grüne“ Agrarpolitik Brüssels, zum Beispiel gegen die Auflage, jährlich vier Prozent der Agrarflächen zwecks Regenerierung nicht zu kultivieren.
Hauptärgernis aber sind die zu niedrigen Erlöse der Erzeuger*innen für Agrarprodukte, die schon seit Jahrzehnten nicht kostendeckend seien, wie die Protestierenden kritisieren. Zudem verlangen sie von Brüssel ein klares Nein zu synthetischem, aus Zellkulturen gezüchtetem Fleisch. In diesem Punkt stimmen sie mit der rechten Regierung in Rom überein, die hier bereits ein nationales Gesetz auf den Weg gebracht hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut