Projekte im Verein „Dissens“: Nicht mehr gefördert
Der Verein „Dissens“ spricht an Schulen über die Gefahren toxischer Männlichkeit und bildet Lehrer*innen fort. Einige Projekte muss er nun einstellen.
![Blick in ein Klassenzimmer, die Stühle sind hochgestellt Blick in ein Klassenzimmer, die Stühle sind hochgestellt](https://taz.de/picture/3896176/14/Dissens-Bildungsarbeit-Gleichstellung-1.jpeg)
Die Schweizer Soziologin Franziska Schutzbach beispielsweise beobachtet seit Jahren, wie in ihrer Männlichkeit verunsicherte Männer den Anschluss an rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen suchen. Vor allem sogenannte Pick-up-Artists predigen ein dominantes Herrschaftsbild und möchten Frauen unterwerfen.
Ein Verein, der sich intensiv mit Männlichkeitsbildern, deren Entstehung und Folgen für die Gesellschaft beschäftigt, ist „Dissens“ in Berlin. Das Institut für Bildung und Forschung, wie sich Dissens selbst bezeichnet, entwickelt seit 30 Jahren Schulprojekte und Broschüren für Lehrkräfte.
„Ziel unserer Arbeit ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern“, sagt Geschäftsführer Bernard Könnicke. Dazu gehört auch, über die Gefahren von toxischer Männlichkeit aufzuklären, wie sie sich bei Stephan B. in Halle zeigte.
„Eine existenzielle Krise“
Damit könnte jedoch bald Schluss sein. Denn Dissens gehört zu jenen Vereinen, die über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert werden, dessen Etat für das Bildungsprogramm gegen Extremismus und für Demokratie im kommenden Jahr auf dem aktuellen Niveau von rund 115 Millionen Euro bleibt.
Das sei fatal, kritisierten zahlreiche Vereine und Organisationen, darunter neben Dissens die Amadeu Antonio Stiftung, die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie, Flüchtlingsräte. Werde der Etat nicht erhöht, könnten von den 400 bisherigen Modellprojekten nur noch 100 gefördert werden, heißt es in einem Protestbrief der Verbände.
Für Dissens heißt das, dass einige Bildungsprojekte ab Januar nicht fortgeführt werden können; im Verein fallen von elf Stellen fünf weg. „Das ist für uns eine existenzielle Krise“, sagt Könnecke: „Die Bildungsarbeit bricht de facto zusammen.“ Konkret heißt das: Pädagogische Materialien werden nicht mehr produziert, Vor-Ort-Arbeit in Schulen und Gesprächsrunden in Jugendgruppen fallen flach. Ebenso wird es keine Fortbildungsseminare für Lehrkräfte mehr geben.
„Und das in einer Zeit, in der sich rechte Angriffe massiv gegen Gleichstellungspolitik, Feminist*innen und Selbstbestimmungsrechte von Frauen und Mädchen richten“, sagt Könnecke: „Gerade der Vorfall in Halle zeigt, dass Aufklärung über rechte Gewalt und toxische Männlichkeit wichtig ist.“
Darauf weist seit Jahren auch Esther Lehnert hin, Expertin für Männlichkeit und Rechtsextremismus. So hätten die Rechtsterroristen der Attentate im neuseeländischen Christchurch im März 2019 sowie auf Utøya in Norwegen im Juli 2011 wirkmächtige Narrative wie „Umvolkung“ genutzt, an der Feminist*innen „schuld“ seien.
Familienministerin Franziska Giffey verteidigt ihr Vorgehen. Das Programm sei „Opfer seines eigenen Erfolges geworden“, sagt die SPD-Politikerin kürzlich der Süddeutschen Zeitung. Für die Förderung ab dem Jahr 2020 hätten sich etwa 1.000 Projekte beworben – so viele wie noch nie. Unterstützen werde das Ministerium rund 150 Projekte, diese bekämen nun jeweils 200.000 Euro im Jahr statt wie bislang 130.000. Für Giffey ist das „weniger Gießkanne, mehr gezielte Wirkung“.
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