Projekt „Kunst als ökologische Praxis“: Gemeinsam durch die Welten
Der schleswig-holsteinische Kunstort M.1 in Hohenlockstedt ruft im Zuge des Projekts „Kunst als ökologische Praxis“ zu partizipativen Workshop auf.

Was hat ein märchenfarbenes Einhorn mit einem Schraubenschlüssel zu tun? Was eine Salatgurkenscheibe mit einem Baum, der sein Laub abwirft? Was eine Schmuckperle mit einer naturwissenschaftlichen Forschungszeichnung?
Die Antwort: Sie alle symbolisieren, fotografisch auf einem Tablett arrangiert, den Elementreichtum des prozesshaften Interaktivprojekts „Kunst als ökologische Praxis“, das im M.1, dem Ausstellungsraum der Arthur Boskamp-Stiftung im schleswig-holsteinischen Örtchen Hohenlockstedt, für Mitte Juli zu einer dreitägigen „Sommer-Assembly“ aufruft.
Sie ist, produktiv verrätselt mit „Wandern, Sprechen, Handeln – Queering Landscape & Liquid Ecology“ untertitelt, das zweite der vier jahreszeitlichen Festivals, mit denen uns Kurator Ronald Kolb in einem Programm konfrontiert, das jede Statik meidet, sich stetig im Wandel hält, im Wachstum.
18 Monate, bis Sommer 2026, ist Kolb im M.1 zu Gast, um internationale Positionen mit lokaler Ländlichkeit zu vernetzen. „Die Freiheit, die ich dabei habe, ist sehr groß“, sagt Kolb der taz. „Das ist schon speziell. Das gibt es anderswo selten.“
Sein Projekt, Dutzende AkteurInnen stark, aus dem In- wie dem Ausland, vom Workshop bis zur Rauminstallation, von der Performance bis zum Vortrag, von der Exkursion bis zur Diskussion, ist ambitioniert. Es kündigt an, „ökologisches Denken durch künstlerische und gemeinschaftliche Praktiken umzusetzen“, verspricht „evidenzbasiertes, transversales Wissen zwischen Kunst, Wissenschaft und Alltag zu schaffen“ und prophezeit: „Dazu müssen wir möglicherweise die symbolische Distanz der Kunst verlassen.“
Verkopft klingt das. Und auch wer Kolbs „Kuratorisches Essay“ verstehen will, hat besser einen multiplen akademischen Hintergrund. Wir lernen, dass jeder Wissensprozess „situativ und partiell“ ist, „eingebettet in soziale, historische und physische Kontexte“, werden mit feministischen Denkerinnen konfrontiert, arbeiten uns durch Sätze wie: „Künstlerische Forschung als Praxis weicht sowohl vom künstlerischen Schaffen als rein persönlichem oder verinnerlichtem Ausdruck als auch von kontemplativer Kunst ab, die in distanzierter Beobachtung verharrt.“
Aber das muss nicht abschrecken, denn die Assembly ist zugleich niedrigschwellig. Es gibt eine Kooperation mit einer örtlichen Fischzucht, es gibt Gartenbesuche. Für eine Geschmacksbibliothek werden Pflanzen gesammelt. Es werden Wasserproben analysiert. Es wird gemeinsam gekocht. „Das ist ein sehr bewusster Spagat“, sagt Kolb. Welten treffen hier aufeinander, zeigt das: Praxis und Denküberbau, Internationalität und Lokales.
Wer außerhalb des Dreitages-Festivals kommen will, tut das besser später im Jahr. Mehr und mehr füllt sich bis dahin der Ausstellungsraum. Lene Markusens Indoor-Mural, das die Assemblys künstlerisch dokumentiert, wächst fortlaufend. Das tut auch Camilla Berners „Undiscovered Garden“, für den lokale AkteurInnen Unkräuter und Wildpflanzen inszenieren und fotografieren. „Das Zentrale sind die Festivals“, sagt Kolb. „Das sind intensive Tage.“
„Sommer-Assembly: Wandern, Sprechen, Handeln – Queering Landscape & Liquid Ecology“: Fr., 11. 7, ab 10 Uhr bis So., 13. 7.: M1, Arthur Boskamp-Stiftung, Breite Straße 18, Hohenlockstedt; Infos und Programm: www.m1-hohenlockstedt.de
Kolb sieht sein Projekt als „offenes, diverses Angebot“, als Chance, Diskursverhärtungen aufzubrechen und das Thema Ökologie, „das leider derzeit gesellschaftlich an den Rand gedrängt wird, obwohl es eigentlich jeden von uns ganz unmittelbar betrifft“, von der Klimakrise bis zur Umweltzerstörung, nicht „durch die Rechten vereinnahmen zu lassen“.
Seine kuratorische ist also auch eine politische Tat. Und das umso mehr, als in Hohenlockstedt bei der Bundestagswahl 2025 der Zweitstimmenanteil der AfD alarmierende 27,6 Prozent betrug. Inmitten dieses Denkens landet Kolbs Kunst wie ein Raumschiff. Und das funktioniert: „Viele Menschen hier“, sagt Kolb, „sind für unser Projekt wirklich aufgeschlossen.“
Ein Ort der Konversion
Hinzu kommt: Das M.1 ist ein Ort der Konversion. Es hat militärische Wurzeln, im 1872 errichteten preußischen Truppenübungsgelände Lockstedter Lager, das später die NS-Diktatur übernahm. Heute pazifiziert die Boskamp-Stiftung den Ort durch Kulturarbeit.
Durch das M.1 ist Hohenlockstedt, ein paar Dutzend Kilometer nordwestlich von Hamburg gelegen, zwischen viel Feld und ein wenig Wald, auf die Landkarte der Kunst gelangt. Im Juli reicht das von dem skurril klingenden Fisch-Workshop „How to Carp?“ von Dea López und Emilio Hernández Martínez bis zu Michael Hiltbrunners Vortrag „Mutualismus“, der aufzeigt, wohin Symbiosen führen, auch jenseits der Biologie.
Kolbs Ökobotschaften werden übrigens in Sichtweite des örtlichen Rewe und Aldi gesendet. Das hat besondere Pikanz: Wer zusammen kocht, macht sich Gedanken über die Herkunft und Herstellung der Nahrungsmittel. Und das sind oft Gedanken, bei denen Supermärkte nicht allzu gut wegkommen.
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