„Jägerdenkmal“ in Hohenlockstedt: Finnlands Anker im deutschen Norden

Das „Jägerdenkmal“ im schleswig-holsteinischen Hohenlockstedt erinnert an militärische Allianzen mit Finnland. Diese gelten bis heute als Erfolg.

Reliefdatrstellung eines Soldaten aus dem frühen 20. Jahrhundert, dazu eingemeißelter Text: "Das mächtige Deutschland nahm Finnlands junge Mäner auf und erzog sie"

Unter die Fittiche genommen vom großen Bruder Deutschland: So steht's seit 1939 in Stein gemeißelt Foto: Alexander Diehl

Hohenlockstedt taz | Ein Halbrund, darum niedrige Hecken und etwas Zaun, davor ein paar Masten zum Flaggenhissen. Gekrönt von einem steinernen Stahlhelm, erinnert eine Säule an jene, die 1918 nicht zurückkehrten von der Front; eine backsteinerne „Mahnmauer“ soll die Gefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg vor dem Vergessen bewahren; einem Findling ist in Beinahe-Runenschrift eingemeißelt: „Ewig lebt der Toten Tatenruhm“, weitere solcher knubbeligen Brocken erwähnen lange verblichene Infanterieregimenter von 1917 – oder erinnern an die deutsche Wiedervereinigung von 1990.

Was wirkt wie ein Schnelldurchgang durchs deutsche 20. Jahrhundert, hier vor Ort nennen sie es ihren „Ehrenhain“. 1955 wurden, neben Sportplatz und Freiwilliger Feuerwehr, „alle im Ort stehenden Denkmäler“ zusammengeführt, verrät die Homepage des kleinen Museums im Hohenlockstedter Wasserturm.

Dass für einen (heute) 6.000-Seelen-Ort auffällig viele an Kriege und, verklausuliert, ihre Opfer erinnern, hat mit seiner besonderen Geschichte zu tun: Ebenfalls bis Mitte der 1950er-Jahre hieß der Ort „Lockstedter Lager“, angelehnt an den Truppenübungsplatz, der hier existierte, lange bevor 1927 die Gemeinde gegründet wurde. Ab 1872 übte hier die preußische Armee, in Weimarer Zeiten tummelten sich hier demokratiefeindliche Rechtsextremisten, Lockstedter Lager gilt als „Wiege der schleswig-holsteinischen SA“. Auf dem 1936 gegründeten Flugplatz „Hungriger Wolf“ war nach der NS-Zeit dann auch die bundesdeutsche Luftwaffe stationiert.

Man kann also den ganzen Ort als Denkmal betrachten – inklusive seiner Umbenennung aus Sorge um den, nun ja, guten Ruf; „Lager“ klang 1956 doch arg nach der eben erst gestoppten deutschen Vernichtungsmaschinerie.

Baumstamm im Spätsommer, davor ein Schild: WDies Fichte hat die Familie Rautovirta aus Suolahti in Mittelfinnland im Jahre 1967 gegflanzt, als Finnland 50 Jahre alt wurde" (darunter der text nochmal auf Finnisch)

Wachsendes Gedenken: Fichte, gepflanzt im Jahr 1967, als Finnland 50 wurde Foto: Alexander Diehl

Tatsächlich: Einen guten Ruf hat das Örtchen bis heute – in Finnland. Das Zentrum des „Ehrenhains“, gelegen an einer „Finnischen Allee“, stiftet ein 1939 enthüllter, rechteckiger schwarzer Stein mit eingemeißelten Soldatendarstellungen sowie Text auf Deutsch und Finnisch: „Das mächtige Deutschland nahm Finnlands junge Männer auf und erzog sie in seinem ruhmreichen Heere zu Soldaten.“

Tatsächlich bildete das Deutsche Reich im Lager Lockstedt ab 1915 Kriegsfreiwillige aus, oft höhere Söhne. Diese „Finnischen Jäger“ sollten später den Kern der finnischen Armee bilden: 1917 löste sich das „Großfürstentum Finnland“ von Russland – auch mit Hilfe der hier geformten „Jäger“.

Den Feind der Feinde stärken – das versuchte das Kaiserreich auch in Afrika und dem Nahen Osten, wo es bei den vielfach muslimischen Menschen in den Kolonien nach Bündnispartnern gegen Frankreich, Großbritannien und Russland suchte. Der Erfolg dieser nachträglich als „Djihad-Strategie“ bezeichneten Schritte blieb überschaubar, es erhoben sich nicht massig Unterjochte gegen ihre – von Berlin aus gesehen falschen – Kolonisierer.

Dagegen gilt die militärische Entwicklungshilfe im Norden bis heute als Erfolg. Freilich: Deutschland hatte sich gleich auch noch einen Bündnispartner verschafft für den nächsten Weltkrieg. Es führen mindestens einzelne biografische Linien vom Lockstedter Lager auch zum späteren „weißen Terror“, als die Wehrmacht, diesmal in Hitlers Auftrag, im europäischen Osten wütete.

Schon im Finnischen Bürgerkrieg, Ende 1917 bis Mitte 1918, hatten die Deutschen mit ihrer Ausbildung Partei genommen, gegen die „Roten“, die vergleichsweise moderaten finnischen Sozialisten, und für die teils brutal Vergeltung übenden „Weißen“. Daran aber wird nicht so sehr erinnert, wenn alljährlich deutsche und finnische Gäste zum „Finnentag“ anreisen, Reden halten, Kränze ablegen, Geschenke austauschen.

Einen kleinen Partner zu stärken gegen einen großen Gegner im Osten, den selbst zu bekämpfen sehr viel komplizierter wäre, riskanter auch: Das klingt seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wieder sehr aktuell. Als Anfang März das vorerst letzte Mal finnische Fahnen in der Finnischen Allee wehten, liefen die Verhandlungen über den Nato-Beitritt des lange neutralen Landes.

Aber all das Finnische, das eingefriedete Halbrund, ganz Hohenlockstedt stehen nicht nur für vergangene Glorie. Gegen alle offiziösen Zuschreibungen (wie auch Auslassungen) weist dieser Ort mit den vielen Verbindungen zum gewaltsamen Tod immer auch hin auf die Frage selbst: Was finden wir glorreich, woran erinnern wir uns – und wie tun wir das? Im besten Sinne anstößig also, der schwarze Stein und das, was ihn umgibt.

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