Probleme bei Flixbus: Busfahrer lässt Passagier stehen
Ein jeminitischer UN-Mitarbeiter reist per Flixbus – und wird an einer Raststätte vergessen. Das Unternehmen verteidigt das Verhalten des Fahrers.
Was wie ein schlechter Scherz klingt, hat sich vor Kurzem mitten in Europa zugetragen. Am Morgen des 2. September wollte der junge Mann mit einem Flixbus von Köln nach Amsterdam reisen. Der Mann, 36, kommt aus dem Jemen, im August war er ein paar Tage beruflich in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Von dort aus fuhr er nach Köln und wollte nach ein paar Tagen in der Rheinmetropole weiterreisen nach Amsterdam und Barcelona. Diese Städte kannte er noch nicht. Und wenn er schon mal in Europa war, wollte er sie sich einfach mal privat anschauen. So erzählt er es der taz.
Aber dazu kam es nicht. Denn der Flixbus mit der Nummer N61 ließ den Mann stehen, an einer Raststätte auf der niederländischen Autobahn A 73. Im Bus lagen sein Koffer und sein Rucksack mit Laptop, Reise- und Diplomatenpass. Der Mann, dessen Name der taz bekannt ist, arbeitet für den Jemen bei den Vereinten Nationen (UN) im Logistikbereich. Im Dienst trägt er hin und wieder einen Anzug, mindestens ein Jackett, für die über vierstündige Busfahrt hat er eine bequeme Sporthose, ein T-Shirt und Turnschuhe angezogen.
Das ist nicht der erste Fall, bei dem Bürger*innen von Flixbus miserabel behandelt werden. Passagiere berichten von unsauberen Fahrzeugen, stinkenden Toiletten, unfreundlichen Busfahrern und schlechter Kommunikation. Vor drei Wochen berichtete die taz über einen Fall, bei dem zwei Syrerinnen, die in Hamburg von einem Flixbus in einen anderen umsteigen mussten, die Herausgabe ihres Koffers verweigert wurde.
Die beiden Frauen sprechen wenig Deutsch und konnten sich kaum verständlich machen. So viel aber haben sie eigenen Aussagen zufolge verstanden: Der Busfahrer wollte den Koffer nicht herausgeben, weil dieser weiter hinten im Gepäckfach steckte und er andere Koffer und Reisetaschen erst heraus- und dann wieder einräumen müsste. Dazu würde die Zeit nicht reichen.
An der Raststätte ohne Pass und ohne Gepräck
Ein- und ausräumen musste der Busfahrer, der den jemenitischen Mann stehen ließ, nichts. Nur warten. Wie kann es passieren, dass ein Linienbus ohne alle seine Insassen weiter fährt? Laut GPS-Daten, die der taz vorliegen, hat der Bus exakt zehn Minuten geparkt. Der Bus war nur halb voll, der Jemenit saß direkt hinter dem Fahrer, diesem hätte der leere Platz auffallen müssen. Warum hat er nicht eine Minute gewartet? Die knapp verlorene Zeit hätte er während der Fahrt locker wieder rausgeholt.
Flixbus verteidigt das Verhalten des Busfahrers. „Das ist ein bedauerlicher Vorfall“, sagt David Krebs, Pressesprecher des Unternehmens: „Die Busfahrer sind an den Fahrplan gebunden und angehalten, diesen streng einzuhalten.“ Aus „Respekt vor den anderen Fahrgästen“ müssten die Busse pünktlich weiterfahren. Was indes ist mit dem „Respekt“, wenn der Bus im Stau steht und die Reisenden ihre Anschlussbusse verpassen?
Der Jemenit stand an der Raststätte, ohne Pass und ohne Gepäck, nur sein Smartphone und eine Kreditkarte steckten in seiner Hosentasche. Alle, denen er versuchte, sein Dilemma zu erklären, winkten oder wandten sich ab: die Mitarbeiter an der Tankstelle, parkende Autofahrer*innen, niemand wollte oder konnte ihm helfen. Über Funk mit anderen Busfahrern versuchte der Mann, wenigstens sein Gepäck sicherstellen zu lassen – vergeblich. Der Jemenit spricht perfekt Englisch, aber wer glaubt schon jemandem, der ohne Dokumente und in einer schlabbrigen Sporthose an der Autobahn steht und behauptet, er sei Diplomat?
Ein arabisch-holländischer Autofahrer habe ihn schließlich mitgenommen und in die nächste Stadt gefahren, erzählt der jemenitische Mann. Dort habe er sich ein Zugticket gekauft, sei nach Amsterdam gereist und in das Hotel gegangen, das er vorab gebucht hatte. Auf E-Mails, die er an Flixbus schrieb, erhielt er die übliche automatische Antwort: „Auf unserer Website haben wir die am häufigsten gestellten Fragen von unseren Kunden für Sie gesammelt. Wir freuen uns, Sie bald an Bord eines unserer grünen Busse begrüßen zu dürfen, und wünschen Ihnen eine gute Reise.“
Internationale Verwicklungen
Der stehen gelassene UN-Mitarbeiter ist in einer schwierigen Situation: In Jemen herrscht Bürgerkrieg, Sanaa, die Hauptstadt des Landes, wird derzeit von keinem internationalen Flugzeug angeflogen. Es gibt keine diplomatischen Vertretungen, nur noch die Vereinten Nationen. In seine Heimat kann der Mann nur mit einem internationalen Versorgungshilfsflug der Vereinten Nationen zurückzukehren. Dazu benötigt er aber seinen UN-Pass. Und der ist jetzt weg.
Der junge Mann cancelte seinen Trip nach Barcelona, fuhr nach Berlin und ging dort zur Polizei. Die brachte ihn zur Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Weil der Jemenit ohne Pass kein Hotelzimmer buchen kann, hat DGVN-Vizegeneralsekretär Alfredo Märker ihn privat aufgenommen. Märker hat sich mehrfach an Flixbus gewandt, das international agierende Unternehmen mit einem geschätzten Jahresumsatz von 400 Millionen Euro hat in bekannter und ausweichender Weise reagiert. „Ich habe nicht das Gefühl, dass die Sache jemanden dort ernsthaft interessiert“, sagt Märker.
Das Gepäck des Mannes bleibt verschwunden, Märker und der jemenitische UN-Mitarbeiter gehen nicht davon aus, dass es sich noch anfindet. Warum Taschen, Rucksäcke und Koffer verschwinden, sei „nicht immer nachvollziehbar“, wiegelt Flixbus-Sprecher Krebs ab. Die Betroffenen hätten aber die Möglichkeit, über ein Online-Formular den Verlust zu melden und den Inhalt sowie den Wert des verlorenen Gepäcks zu melden. Diese Mail werde dann geprüft und eine Entschädigung nach Zeitwert gezahlt. Der Jemenit und DGVN-Vizegeneralsekretär Märker werden allerdings den Eindruck nicht los, dass keineswegs intensiv nach den Sachen gesucht werde.
Der Koffer der beiden Syrerinnen soll sich, so teilt es Flixbus nach dem taz-Bericht und viele Wochen später mit, angefunden haben. Ob es sich tatsächlich um den Koffer der beiden Frauen handelt, ist indes unklar. Flixbus hat die Damen gebeten, über ein Online-Formular Kontakt mit dem Unternehmen aufzunehmen. Die Mail ging allerdings nicht an die Syrerinnen direkt, sondern an eine nichtpersonalisierte Adresse in der Unterkunft, in der die Frauen leben.
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