Pro & Contra S-Bahn Berlin: Macht Wettbewerb sie schneller?
Der rot-rot-grüne Senat beschließt die 8 Milliarden Euro schwere Ausschreibung für zwei S-Bahnstrecken. Ist das nachhaltig? Ein Pro und Contra.
PRO
A m neuen Modell für die S-Bahn führt kein Weg vorbei oder in diesem Fall: kein Gleis. Zu risikoreich? Bei einem 8-Milliarden-Deal nicht kalkulierbar? Mag sein.
Das Land hat auch bislang keine S-Bahnen selbst gebaut, es hat sie auch nicht gewartet und durchs Land bewegt. Das hat ein staatliches Unternehmen gemacht, die S-Bahn GmbH als Tochter der Deutschen Bahn – mit großen und immer noch mit vielen kleinen Problemen. Wenn das nun private Unternehmen unter enger Kontrolle übernehmen, ist nicht erkennbar, was schlechter laufen könnte, aber viel Besserung in Sicht.
Da sind natürlich all die Horrorgeschichten von der Privatisierung der Eisenbahn in England in den 80er Jahren, unter der die Fahrgäste zu leiden hatten. Aber für diesen Fall lässt sich sagen: Das war kein Fehler des Systems, sondern der fehlenden Vorgaben und laxer oder nicht gewollter Aufsicht und Eingriffsmöglichkeiten.
In der bisher größten S-Bahn-Ausschreibung sucht das Land auf den Ost-West-Linien und auf der Nord-Süd-Strecke Anbieter, die Züge bauen, fahren und reparieren. Wenn bis dahin auch Brandenburg zustimmt, soll die europaweite Ausschreibung noch vor Jahresende starten.
8 Milliarden Euro ist das Gesamtpaket groß. Rund 3 Milliarden davon stehen dafür bereit, 1.300 neue Wagen zu kaufen, die anders als bislang komplett dem Land gehören sollen, genauer: einer dafür 2020 zu gründenden Fahrzeuggesellschaft.
Wer künftig die S-Bahn-Fahrgäste durch Berlin und das Brandenburger Umland bewegt, soll sich „bis Ende 2021, Anfang 2022“ klar sein, so Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne). (sta)
In Berlin passiert beim zentralen Hebel des gesamten Systems genau das Gegenteil von Privatisierung und Kontrollverlust: Das Land holt sich vielmehr alle neuen S-Bahn-Fahrzeuge in sein Eigentum, lässt andere damit fahren und in landeseigenen Werkstätten reparieren.
Wenn dann passiert, was Kritiker vorhersagen – schlechtere Leistungen, Verschleiß, Unpünktlichkeit –, kann das Land erstmals tun, was bisher mangels Alternative nicht ging: Verträge kündigen und eine neue Firma verpflichten, die landeseigenen Züge durchs Land zu fahren. Das ging nicht, weil nicht sofort ein anderer mit eigenen Zügen die der staatlichen, aber nicht immer zuverlässigen S-Bahn GmbH ersetzen konnte.
Das neue Modell stellt sicher, dass nicht erneut wie 2009 ein Monopolist den Betrieb fast lahmlegt. Da ist es letztlich egal, wie viele Firmen sich Bau, Wartung und Betrieb teilen – entscheidend sind Verträge mit genauen Bedingungen, auch zu Personal und Bezahlung, und dauerhafter Kontrolle. Dann kann es immer noch passieren, dass mancher Mitarbeiter weniger verdient. Das wäre bedauerlich – aber kein Grund, ein Modell abzulehnen, das Millionen Fahrgäste verlässlicher als bisher durch die Stadt bewegt. Stefan Alberti
Contra
Friedrich August Hayek, Guru des Neoliberalismus, hätte der Verkehrssenatorin zugeprostet: Ausgerechnet eine rot-rot-grüne Koalition bringt die S-Bahn auf eine Linie mit seiner Vision eines allgegenwärtigen Marktes. Die Trauer um die Privatisierungen der neunziger Jahre scheint nicht in alle Winkel des Berliner Senats vorgedrungen zu sein.
Jetzt soll ausgerechnet in einem zentralen Bereich der Daseinsvorsorge, dem ÖPNV, unternehmerischer Wettbewerb eine blühende Zukunft gewährleisten. Die geplante Anschaffung einer neuen Fahrzeugflotte durch das Land wird dabei lediglich als notwendiges Mittel verstanden, die S-Bahn zukünftig mehr denn je für private Profitinteressen zu öffnen.
Man muss kein Marktfanatiker sein, um den Status quo der S-Bahn zu kritisieren. Aber es ist fahrlässig, aus Verspätungen, Pannen und steigenden Kosten den Schluss zu ziehen, zu der S-Bahn GmbH müssten sich bloß mehr privatwirtschaftlich rechnende Konkurrenten gesellen, um Milch und Honig zwischen West- und Ostkreuz fließen zu lassen.
Vielmehr zeigt ein Chaos wie 2009, wie schädlich eine Profitorientierung für einen bedürfnisgerechten und sicheren ÖPNV generell ist. Und ja: Auch die desaströse Privatisierung der britischen Bahn unter Thatcher muss hier abschrecken. Statt zu diskutieren, wie ein vergesellschafteter Schienenverkehr sinnvoll gestaltet werden könnte, flüchtet man sich jedoch hinter vermeintliche Sachzwänge – um schließlich einmal nach mehr Markt zu rufen.
Grünen wie Roten muss klar sein: Ein neuer Wettbewerb auf der Schiene wird bei aller gesetzlichen Abfederung vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden – und auf Kosten von Wartung und Sicherheit. Auch eine Verteilung des Betriebs und der Wartung auf mehrere Unternehmen ist mit Funktionsweise und Zweck eines bereits integrierten S-Bahn-Netzes unvereinbar. Die notwendige Koordinierung zwischen den Betreibern bedeutet einen enormen und vermeidbaren Mehraufwand.
Eins ist eine Zerschlagung zwecks Wettbewerb sicherlich nicht: ein sinnvoller Weg hin zu einem reibungslosen Bahnverkehr. Björn Brinkmann
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