Privatisierung um jeden Preis: Der Autobahn-Klau

Das Bundesverkehrsministerium will immer mehr Autobahnabschnitte privatisieren. Das kostet sogar mehr? Egal. Dann ignoriert man die Studien eben.

Aktivisten wehren sich gegen die Privatisierung von Autobahnabschnitten. Bild: Ronald Schminke

Die teilweise Privatisierung von Autobahnen wird vorangetrieben, obwohl sie dem Staat manchmal gar keine ökonomischen Vorteile bringt, sondern vor allem private Konzerne profitieren lässt. Das zeigen umfangreiche Recherchen der taz in dem intransparenten Beziehungsgeflecht zwischen Politikern, Beratern und internationalen Unternehmen.

Seit rund zwei Jahren prüft das Bundesverkehrsministerium, ob Teile der Bundesautobahn A7 in Niedersachsen privatisiert werden können. Dabei sollen einzelne Abschnitte von einem Konsortium übernommen werden. Private Unternehmen finanzieren und bauen in Vorleistung, der Staat zahlt über Jahrzehnte gestückelt seine Schulden ab, indem er den Unternehmen auf der Strecke die Lkw-Maut überlässt. Das Verfahren wird als Öffentlich-Private Partnerschaft bezeichnet, kurz: ÖPP.

Bei der A7 geht es um rund 600 Millionen Euro. Die Strecke zwischen Seesen und Nörten-Hardenberg soll auf rund 42 Kilometern zu sechs Spuren ausgebaut werden. Die Geschäftsbeziehung mit dem Staat beträgt 30 Jahre. Diese Art der Geschäfte ist maßgeschneidert für die speziellen Bedürfnisse von Wirtschaft und Politik. Jahrzehntelang gesicherte Einnahmen erfreuen die beteiligten Konzerne.

Politiker können mit großen Infrastrukturprojekten bei ihren Wählern punkten, weil sie mit derartigen Finanzierungsformen die gesetzlich fixierte Schuldengrenze austricksen können. Die meist steigenden Kosten, bei Vertragslaufzeiten von 30 Jahren, werden künftigen Generationen aufgebürdet.

Neubau ständig verschoben

Weil das für die Partner aus Politik und Wirtschaft so interessant ist, setzen sich die Beteiligten mitunter über objektive Gutachten hinweg. Schon Anfang 2012 äußert der Bundesrechnungshof seine Zweifel daran, ob sich die Privatisierung der A7 lohnen würde. In einem internen Bericht, der der taz vorliegt kritisieren die Gutachter das Bundesverkehrsministerium. Der Zustand der A7 sei in Teilbereichen katastrophal. Man bezweifle „schon jetzt die Wirtschaftlichkeit eines ÖPP-Projektes für die Bundesautobahn A7.“ Durch die lange Prüfung, ob eine Öffentlich-Private Partnerschaft Anwendung finden könne, müsse der erforderliche Neubau ständig verschoben werden.

Die Rechnungsprüfer mahnen „die dringend notwendige Sanierung der Strecke“ an. Denn das Prüfverfahren macht es nötig, dass die marode Strecke weiterhin nur notdürftig saniert wird, um den Verkehr aufrecht zu erhalten. Es könnten laut Rechnungshof daher „bis zu 45 Millionen Euro an Erhaltungskosten eingespart werden“, wenn mit dem konventionellen Ausbau, also ohne ÖPP, begonnen würde.

Auch die Berechnungen der Beamten der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr kommen zu dem Ergebnis, dass ein konventioneller Ausbau der A7 „rund 1,5 Jahre eher gegenüber einer PPP-Umsetzung“ möglich sei, wie es in einem internen Schreiben heißt, das der taz vorliegt. PPP ist die englische Bezeichnung für Öffentlich-Private Partnerschaften, Public Private Partnership. Der Mitarbeiter der Behörde veranschlagt einen Vorteil des konventionellen Baus von 15 Millionen Euro.

Disziplinarverfahren gegen kritische Mitarbeiter

Doch das Land Niedersachsen und der Bund setzen auf eine „vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“. Im August wird diese auch Mitarbeitern der Straßenbaubehörde präsentiert. Plötzlich soll der private Bau schneller und um 29 Millionen Euro günstiger sein. Die Mitarbeiter der Behörde wenden sich darauf hin in einer „Gegendarstellung“ an ihre Vorgesetzte und bezeichnen die Präsentation der Wirtschaftlichkeitsberechnung des Bundesverkehrsministeriums als „unseriös“. Auch Experten äußerten gegenüber der taz erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Zahlenwerke. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), sagt gar: „Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind gefälscht.“

In Niedersachsen wollte dies scheinbar niemand hören. Gegen den Mitarbeiter, der sich beschwerte, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Als sich die Präsidentin der Behörde vor ihre Beamten stellt, wird sie vom zuständigen Verkehrsminister Jörg Bode (FDP) des Amtes enthoben.

Die Recherchen der taz legen nahe, dass die Privatisierung der A7 politisch durchgedrückt werden soll. Womöglich liegen auch Interessenkonflikte vor.

So lässt sich das Bundeswirtschaftsministerium bei diesen Wirtschaftlichkeitsberechnungen von einen privaten Konsortium beraten, zu dem auch PricewaterhouseCoopers gehören – ein internationaler Beraterkonzern, der viel Geld mit genau diesen Privatisierungen verdient. Über die Höhe der Beratungskosten wollte sich das Bundesverkehrsministerium nicht gegenüber der taz äußern. Intern schreiben die Berater: Es „besteht Einvernehmen darüber, dass die noch vorläufigen Arbeitsergebnisse derzeit nicht nach außen kommuniziert werden“.

Steinbrück macht mit

Zum Durchbruch verhilft dem Modell in Deutschland das „ÖPP-Beschleunigungsgesetz". Es schreibt fest, dass die öffentliche Hand bei Infrastrukturprojekten stets eine ÖPP-Variante prüfen muss. Maßgeblich beteiligt daran waren die Sozialdemokraten. In einer Arbeitsgruppe der SPD-Fraktion zur Ausarbeitung des Gesetzes saßen 2002 mehr Berater, Lobbyisten der Finanzindustrie und Vertreter der Baukonzerne als Abgeordnete. Auch Vertreter von PricewaterhouseCoopers.

Der Sozialdemokrat Peer Steinbrück ist ein Fan dieser Privatisierung. Er half mit, sie in Nordrhein-Westfalen zu implementieren. 2010 ließ sich der SPD-Kanzlerkandidat gar für ein Interview zu ÖPP mit 7.000 honorieren. Auftraggeber war Bilfinger Berger, in dessen Geschäftsbericht der Text abgedruckt wurde. Bilfinger Berger ist ein Konzern, der deutlich von den ÖPP-Gesetzen profitierte und sich in den letzten Jahren vom Baugiganten zu einem Dienstleister für ÖPP-nahe Angebote verwandelte. Allein 2012 setzte Bilfinger Berger in diesem Sektor rund 2,4 Milliarden Euro um.

Steinbrück ließ sich von weiteren Konzernen buchen, die mit ÖPP viel Geld verdienen und für das Modell Lobbyarbeit betreiben: die Beratungsgesellschaft KPMG AG (15.000 Euro),im Jahr 2011, die Berater von J.P. Morgan Asset Management (15.000 Euro), Ernst & Young (15.000 Euro). Und: Freshfields Bruckhaus Deringer LLP (15.000 Euro). Im Jahr 2012 beauftragte ihn Sal.Oppenheim jr. & Cie. AG & Co. (15.000 Euro) und schließlich die Berater von PricewaterhouseCoopers, die schon das Gesetz mitschreiben durften (15.000 EUR).

In dem bezahlten Interview sagt Peer Steinbrück: „Die öffentliche Hand darf nicht der Vorstellung erliegen, sie könne den Kuchen gleichzeitig essen und behalten“. Der Kuchen, den er meint, ist das Gemeingut.

Wie sich der Sozialdemokrat Ronald Schminke in Niedersachsen trotzdem gegen die Macht von Bundespolitikern und Konzernen stemmt, lesen Sie in der sonntaz vom 5./6. Januar 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

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