Privat finanzierter Wohnungsbau: Hamburg will die Baubranche wieder zum Bauen bringen
Wohnungsbau soll um ein Drittel weniger kosten – durch niedrigere Standards und schlanke Verfahren. Was bei Mieter:innen ankommt, bleibt fraglich.
![eine Person in Gummistiefeln steht auf Heizschlangen und hantiert mit einem dicken Schlauch eine Person in Gummistiefeln steht auf Heizschlangen und hantiert mit einem dicken Schlauch](https://taz.de/picture/7522965/14/imago476269264-1.jpeg)
Der privat finanzierte Wohnungsbau ist im Stadtstaat im vergangenen Jahr fast zum Erliegen gekommen. Der SPD-geführte Senat hatte das Ziel ausgerufen, insgesamt jährlich 10.000 Wohnungen zu errichten, was auch in mehreren Jahren gelang. 2022 waren es immerhin noch über 9.000. Doch 2023 brach die Zahl auf 6.000 Wohnungen ein.
Als Grund hat die Stadt vor allem die Baukosten identifiziert. Die seien seit 2020 sprunghaft gestiegen auf derzeit durchschnittlich 4.600 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, sagte Hamburgs Bausenatorin Karen Pein (SPD) bei einer Pressekonferenz am Montag. Das bedeute eine Einstiegsmiete von nicht unter 18 Euro. Ihr Ziel sei es deshalb, die Baukosten mindestens um ein Drittel zu senken. Dazu hat sie die „Initiative kostenreduzierendes Bauen“ aus Wohnungsbau-Praktiker:innen, Behörden und Wissenschaftler:innen ins Leben gerufen die nun ihre Ergebnisse vorgestellt hat.
Der von ihnen entwickelte „Hamburg Standard“ ist ein Bündel von Maßnahmen, in dessen Zentrum die Absenkung von baulichen und technischen Standards und Anforderungen an Barrierefreiheit, Schall- und Brandschutz steht. Vorformulierte Vertragsklauseln sollen sie rechtssicher machen. Beispiele sind etwa die Trittschall-Isolierung auf Balkonen oder Fußbodenheizungen in Fluren. Zusammen soll der Bereich 600 Euro Einsparung pro Quadratmeter einbringen.
Konflikt mit der SPD-Wahlkampfstrategie
Sogar bis zu 1.000 Euro Einsparpotenzial sollen in den Bereichen Planung und Ausstattung zu heben sein. Die größten Posten sind hier der Verzicht auf Tiefgaragen und Keller, auch bei der Fassadengestaltung und bei Architektenwettbewerben soll noch Luft sein. Könnte also sein, dass diese Einsparungen auch zu Lasten der ästhetischen Qualität und damit des Stadtbildes gehen.
Hinzu kommt, dass die SPD im laufenden Bürgerschafts-Wahlkampf gerade angekündigt hat, Ausnahmen von der Stellplatzpflicht zurückzunehmen, weil sie den Zorn der Autofahrer fürchtet.
Rund 400 Euro sollen optimierte Prozesse und schnellere Planungsverfahren einsparen. Hier kommt die Stadt selbst ins Spiel: Die Bauämter sollen sich verpflichten, bei Bauanträgen künftig die Antwortfrist von vier Wochen auch tatsächlich einzuhalten – bislang eher die Ausnahme als die Regel, wie es bei dem Pressegespräch hieß. Eine „Projektuhr“ soll anzeigen, wie viel Kosten jeder verlorene Tag verursacht.
Komplexere Bauprojekte sollen künftig mit einer Antragskonferenz beginnen, in der Behörden ihre Anforderungen schon vor Stellung des Bauantrags formulieren können. Danach soll „niedrigschwellige digitale Kommunikation“ mit dem Bauamt möglich sein. Auch die Dauer von Bebauungsplanverfahren will Hamburg perspektivisch von derzeit etwa drei auf anderthalb Jahre verkürzen.
Der Markt soll zu niedrigeren Mieten führen
Insgesamt haben die Fachleute sogar mehr Sparpotenziale ausgemacht als von der Senatorin gefordert: Um bis zu 2.000 Euro günstiger könnte der Quadratmeter Wohnfläche gebaut werden, wenn alle Vorschläge umgesetzt würden. Nach Peins Rechnung könnte das dazu führen, dass die Nettokaltmiete nur noch zwölf Euro je Quadratmeter kosten müsste.
Noch ist das alles Theorie. Die Stadt Hamburg sieht sich als Pionier, weil sie es zumindest versucht. Aber wie will sie sicherstellen, dass die Unternehmen die Einsparungen an die künftigen Mieter:innen weitergeben und nicht einfach mehr Gewinn einstreichen? „Da setzen wir auf das Gesetz von Angebot und Nachfrage“, sagt Senatorin Pein.
Man wolle „durch erhöhte Branchenaktivität in eine ausgeglichene Marktlage kommen“, springt ihr Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bei. Es müsse so sein, dass man auch mal zu einer Wohnung „nein“ sagen könne, weil es eine andere Option gebe. Erst dann sei es auch möglich, dass ältere Menschen große Wohnungen frei machten und in kleinere umzögen, ohne dass es für sie teurer würde. Tschentscher räumte allerdings ein: „Dafür brauchen wir wahrscheinlich noch 100.000 Wohnungen.“ Also in etwa so viele, wie seit Beginn der SPD-Wohnungsbauoffensive 2012 gebaut wurden.
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