Pressefreiheit in der Türkei: Schuld hat stets der Journalist
Angesichts der Verbote und der Zensur bleibt die derzeit wichtigste Frage in der Türkei: Was verheimlicht die Regierung?
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Die Geheimhaltung, an der sich die Regierung Erdoğan versucht, kann nur in Zusammenhang mit der entscheidenden Frage verhandelt werden: Was hat sie zu verbergen?
Seit vierzehn Jahren ist die AKP mittlerweile an der Macht. Und eines der Probleme, die ihre Herrschaft mit sich bringt, sind die Barrieren, mit denen sie versucht, Journalisten von Informationen fernzuhalten. Sie beschneidet die Informationsfreiheit der Gesellschaft, in dem sie die Berichterstatter behindert. Aber wozu?
Es geht um fragwürdige Geschäftsbeziehungen und schmutzige Verbindungen, tödliche Fehler, finanzielle Interessen, die illusorische Fantasie eines ungeteilten türkischen Einheitsstaates, sowie die unrechtmäßige Kriegspolitik in den kurdischen Gebieten; all das sind Gründe für die „Geheimhaltung“ und die Verweigerung von Information. Schlicht, die Regierung verheimlicht alles, was ihr nicht passt.
Einiges, was sich in letzter Zeit in der Türkei ereignet hat, ist symptomatisch für die Verschleierungspolitik. Interessant ist oftmals besonders das, was unmittelbar nach der Reihe von Explosionen, Selbstmordanschlägen und Massakern in der Türkei geschah.
Wiederkehrender Mechanismus
Zuerst gibt es eine Explosion, dann werden das Internet und die sozialen Netzwerke verlangsamt. Zuletzt wird eine Nachrichtensperre über die Ereignisse verhängt. Die Türkei schreibt in letzter Zeit Geschichte als ein Land, in dem die Nachrichtensperre noch vor der Ambulanz kommt. Dieser Mechanismus war in Folge der Massaker und versuchten Massaker von Diyarbakır, Suruç, Ankara und Istanbul stets auf gleiche Weise zu beobachten.
Diese chaotischen Situationen sind für uns Journalisten, die wir uns bemühen, unseren Beruf gemäß der Berufsrichtlinien auszuüben, nichts Neues mehr. Wir haben uns schon fast daran gewöhnt. Wir versuchen trotzdem herauszubekommen, was geschehen ist und die Gesellschaft über die Sache zu informieren – trotz all der Widrigkeiten.
Was genau geschah in Reyhanlı, als im Mai 2013 in der Grenzstadt binnen 15 Minuten zwei Autobomben explodierten und mindestens 46 Menschen getötet wurden?
Welche Ursachen haben im Mai 2014 zum Grubenunglück in Soma geführt, bei dem nach offiziellen Angaben 301 Bergleute tot geborgen wurden? Und was wurde unterlassen, um die vielen Todesfälle zu verhindern?
Ironische Haltung
Was genau hat es mit dem Korruptionsskandal auf sich, in den der Präsident verwickelt zu sein scheint, wie Telefongespräche vom Dezember 2013 zwischen ihm und einem seiner Söhne belegen?
• Dünya basın özgürlüğü günü 3 Mayıs 2016'da taz 16 Türkçe-Almanca özel sayfa ile yayınlandı. Türkiye'de çalışan gazetecilerle birlikte hazırlandı. Cünkü basın özgürlüğü hepimizi ilgilendirir.
• die günlük gazete'de yayınlanan Türkçe yazılara buradan ulaşabilirsiniz.
• Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit erschien die taz am 3. Mai 2016 mit 16 türkisch-deutschen Sonderseiten zum Thema „Pressefreiheit in der Türkei“ – erstellt von türkischen JournalistInnen zusammen mit der taz-Redaktion. Weil Pressefreiheit uns alle angeht.
• „taz.die günlük gazete“ – learn more about our project (in German)
Wann wird die Nachrichtensperre über die Selbstmordanschläge von Ankara und Suruç aufgehoben? Wann wir es endlich um die Wahrheit und den Willen zur Wahrheit gehen?
Immer wenn wir Antworten suchen, kommen wir zu derselben Frage zurück: Was verheimlicht die Regierung und warum?
Das Verschleiern von Themen von öffentlichem Interesse ist die eine Sache. Wir erleben in der Türkei aber noch weitere sonderbare Entwicklungen. Regierung und Staat zwingen Journalisten zu einer ironischen Haltung gegenüber ihrem Beruf: ‚Bohr nicht nach, gib dich mit dem zufrieden, was dir geboten wird, hals‘ dir keinen Ärger auf.'
In einem befremdlichen System, in dem nicht der Schuldige für schuldig erklärt wird, sondern derjenige, der die Schuld aufdeckt, tasten wir uns mühselig voran. Es gibt unzählige Beispiele.
Schleier lüften
Wir sprechen von einer „Pressefreiheit“, bei der nicht diejenigen ins Gefängnis kommen, die sich in der Haftanstalt Pozantı an Kindern vergingen, sondern die Journalisten, die das aufdeckten.
Das Verbrechen ist nicht die Lieferung von Waffen an Dschihadisten, sondern darüber zu berichten. Thema ist nicht der Polizist, der während der Gezi-Proteste auf den damals 14-jährigen Berkin Elvan schoss, sondern das Ermittlungsverfahren, das gegen den Journalisten angestrengt wurde, der darüber berichtete. Und offenbar sind in diesem aufoktroyierten System auch Katastrophen wie das Massaker von Ankara unwichtig. Sonst würde denjenigen der Prozess gemacht, die den Anschlag nicht verhinderten, und nicht denen, die diese Unterlassung dokumentierten.
Kurz, in der Türkei ist Journalismus schwierig. Leider gibt es keine Berufssicherheit für die Journalisten, die inmitten dieser schmutzigen Angelegenheit als eine Art „Codeknacker“ tätig sind. Trotz allem stellen wir erneut jene Frage und wiederholen, dass wir gewillt sind, im Geist des Journalismus weiterzuarbeiten: Was auch geschieht, wir werden die Schleier lüften, mit denen ihr das Finstere verhängt!
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