Prag weist Diplomaten aus: Enthüllung zur Prime Time
Tschechien hält es für erwiesen, dass der russische Geheimdienst hinter der schweren Explosion im Jahr 2014 steht. Unklar ist, warum es jetzt bekannt wird.
E s kommt nicht oft vor, dass ein Regierungschef an einem Samstagabend zur Prime Time eine Pressekonferenz einberuft. Was Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš an diesem Samstag so dringend zu berichten hatte, nimmt es allerdings locker mit jedem Agententhriller auf. Am Anfang stand dabei die Apokalypse. Denn dem, was sich im Herbst 2014 im Wald rund um das Örtchen Vrbětice im Nordosten des Landes abspielte, wird das Wort Explosion nicht gerecht.
Erst 50 und dann noch mal 13 Tonnen an Waffen und Munition gingen dort in die Luft, zwei Menschen starben. Umliegende Ortschaften mussten kurzzeitig evakuiert werden, der betroffene Wald wurde noch sechs Jahre lang von Munitionssplittern gesäubert. Eines war schnell klar: Die Munition hatte sich nicht selbst entzündet. Der Rest blieb vernebelt.
Bis Andrej Babiš am Samstag mit nervöser Miene erklärte, der sowjetische Militärgeheimdienst GRU sei für die Apokalypse im Munitionslager und darum herum verantwortlich. Prag wies 18 russische Diplomaten aus, Moskau reagierte wiederum mit der Ausweisung von 20 tschechischen Diplomaten.
Sekundiert wurde Babiš vom Nachrichtenmagazin Respekt, bekannt für seine exzellenten Quellen beim tschechischen Verfassungsschutz BIS. Möglicherweise war es auch andersrum, denn Respekt hatte die Story der beiden GRU-Agenten, die um das Munitionslager kreisten, just bevor es hochging, längst fertig, bevor Babiš das Wort ergriff.
Die Waffen im Lager waren für die Ukraine bestimmt, so das Motiv, die GRU-Agenten als dieselben identifiziert, die 2018 das Attentat auf Sergej Skripal begehen sollten. Der Fall scheint klar: Russland hat einen terroristischen Akt auf tschechischem Boden begangen. Die eigentliche Frage ist jedoch, ob es Zufall ist, dass die russische Verbindung jetzt bekannt wird.
In Tschechien hat sich der Diskurs um das Verhältnis zu Russland in den letzten Monaten verschärft, es geht um Sputnik V, den Ausbau des AKW Dukovany und russischen Einfluss generell. Sechs Monate vor den Wahlen bieten die Explosionen vor sieben Jahren aktuellen Zündstoff.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen