Präsidentschaftswahl in Kasachstan: Schöne Fassade
Interimspräsident Qassym-Schomart Tokajew steht als Sieger so gut wie fest. Doch im Volk gärt es: Proteste vor allem junger Aktivisten dauern an.
Wie Werwekin rechnet kaum jemand am kommenden Sonntag mit Überraschungen. Dann sind rund 12 Millionen KasachInnen aufgerufen, über ein neues Staatsoberhaupt abzustimmen. Sieben Kandidaten stehen zur Wahl – davon erstmals eine Frau. Erhält niemand mehr als 50 Prozent der Stimmen, findet innerhalb von zwei Monaten eine Stichwahl statt.
Allein die Tatsache, dass die BewohnerInnen des an Rohstoffen reichen zentralasiatischen Staaten überhaupt an die Urnen gerufen werden, ist eine Premiere. Am 19. März 2019 hatte der damalige Staatspräsident Nursultan Nazarbajew in einer Fernsehansprache überraschend angekündigt, seinen Posten niederzulegen. Zur Begründung hieß es, dass er einen Generationswechsel einleiten wolle.
Der heute 78-Jährige war 29 Jahre lang Staatschef. Zunächst ab April 1990 als Vorsitzender des Obersten Sowjets der damaligen sowjetischen Republik Kasachstan. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1991 wurde er zum Präsidenten gewählt. Bei den letzten Wahlen für das höchste Staatsamt 2015 fuhr er, offiziellen Angaben zufolge, 97,7 Prozent der Stimmen ein.
Kein Rückzug
Doch von einem Rückzug Nazarbajews kann keine Rede sein. Er führt den Titel „Jelbasy“ („Führer der Nation“), mit dem er weiter als Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats agieren kann. Dieser erhielt 2018 den Rang eines Verfassungsorgans und koordiniert unter anderem die Arbeit der Geheimdienste. Zudem bleibt Nasarbajew Chef der Regierungspartei „Nur Otan“.
Das Amt des Präsidenten bekleidet seit Nazarbajews Abgang Qassym-Schomart Tokajew, ein enger Vertrauter von Nazarbajew und bis März dieses Jahres Präsident des kasachischen Senats. Mit 66 Jahren symbolisiert er allerdings kaum eine Verjüngung der politischen Elite in Kasachstan, wenngleich entsprechende nachbearbeitete veröffentlichte Fotos etwas anderes glauben machen wollen.
Dass Tokajew das Rennen macht, steht außer Frage. Ernst zu nehmende und reale Gegenkandidaten gibt es nicht, da alle als regierungs- und linientreu gelten. Mit einer Ausnahme: Amirzashan Kossanow, den das national patriotische Bündnis „Ult Tagdyry“ nominiert hat und dessen Zulassung bei den Wahlen Beobachter mit Erstaunen quittierten.
Die Frage sei, schreibt Joanna Lillis auf dem Webportal eurasianet.org, wieviel Prozent ihm zugestanden würden. Kossanow selbst verstehe nur allzu gut, dass diese Wahl nichts damit zu tun habe, ob er vielleicht an die Macht kommen könne.
Im Volk brodelt es
Ob die nachträgliche Legitimation des Ämtertauschs an der Staatsspitze so geschmeidig vonstatten geht, wie von den Herrschenden gewünscht, darf bezweifelt werden. Denn im Volk rumort es. Bereits im Februar, nachdem fünf Kinder bei einem Hausbrand in Abwesenheit ihrer arbeitenden Eltern ums Leben gekommen waren, protestierten Dutzende Frauen für mehr staatliche finanzielle Unterstützung von Familien.
Im März kam es in mehreren größeren Städten zu Protesten, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Hauptstadt Astana zu Ehren des ehemaligen Dauerherrschers Nazarbajew in Nur-Sultan umzubenennen.
Seit April treten immer mal wieder junge Aktivisten mit kreativen Aktionen an die Öffentlichkeit, bei denen auch zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen wird. Am 21. April wurde ein Banner während des Almaty-Marathons zum Politikum. Darauf stand: „Vor der Wahrheit kann man nicht weglaufen – Wir haben eine Wahl!“ Den Aufruf bezahlte die Urheberin Asija Tulesowa mit 15 Tagen Ordnungshaft.
Für fünf Tage in Haft wegen Rowtytums fand sich im April auch ein Aktivist wieder, der ein Banner mit der Aufschrift „Die einzige Quelle der staatlichen Gewalt ist das Volk“ an einer Brücke befestigt hatte. Dieser Satz steht übrigens in der kasachischen Verfassung. Selbst ein Blogger, der sich quasi im Selbstversuch auf einem zentralen Platz in seiner Heimatstadt Uralsk mit einem leeren Transparent aufgestellt hatte, wurde nach wenigen Minuten von der Polizei abgeführt.
Grassierende Korruption
Gründe für die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung gibt es viele. Für den kasachischen Politologen Danijar Aschimbajew sind das neben der grassierenden Korruption vor allem auch Versäumnisse in der Sozialpolitik.
Dabei gehe es um Dinge wie Preise, Tarife und soziale Absicherung. Darum habe sich die Regierung mehrere Jahre nicht gekümmert, schreibt er in einem Kommentar für das Portal Informburo.kz, den die Webseite novastan.org zitiert.
Wie dem auch sei: Man darf gespannt sein, wie die Regierung mit der Protestbewegung künftig umgehen wird, die vor allem in den sozialen Netzwerken immer mehr Platz greift. Und dort sind mittelerweile auch längst nicht nur junge Leute unterwegs.
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