Postmigrantisches Festival in Hamburg: Klappe auf, Affe tot
Zum Auftakt des „Krass“-Festivals verknüpft Branko Šimić Kafkas Erzählung „Ein Bericht an eine Akademie“ mit aktuellen Migrationserfahrungen.
Kafkas „Ein Bericht an eine Akademie“ kennen viele noch aus der Schulzeit: Der Affe Rotpeter berichtet Wissenschaftlern von seiner Quasi-Verwandlung in einen Menschen. Von einer Hagenbeck’schen Jagdexpedition sei er an der westafrikanischen Goldküste angeschossen, in einen Käfig gesperrt und mit dem Schiff nach Europa verschleppt worden. Und habe dort einsehen müssen, dass ihm als Fluchtweg nur die Menschwerdung bleibt.
Rotpeter lernt zu spucken, zu saufen und zu sprechen wie seine Entführer – eine Metamorphose, die ihm eine Karriere als Entertainer beschert: „Als ich in Hamburg dem ersten Dresseur übergeben wurde, erkannte ich bald die zwei Möglichkeiten, die mir offen standen: zoologischer Garten oder Varieté. […] Ich sagte mir: setze alle Kraft an, um ins Varieté zu kommen; das ist der Ausweg.“
Ein kraftvoller Text, der sich für verschiedene Lesarten anbietet: Eine Diatribe gegen die jüdische Assimilation erkennen die einen im 1917 im zionistischen Magazin Der Jude erschienenen Text; andere eine Zurückweisung der Darwin’schen Evolutionstheorie; einen empathischen Ruf nach Tierrechten; eine böse Satire auf den Kolonialismus; eine Meditation über die Freiheit. In welcher Lesart auch immer: Es geht um Identität und Selbstentfremdung, um erzwungene Anpassung und versagte Anerkennung.
Grund genug für den Hamburger Theatermacher Branko Šimić, Kafkas Erzählung ins Zentrum seines postmigrantischen Kultur-Crash-Festivals „Krass“ zu stellen. Das setzt sich seit Donnerstag unter dem Rubrum „Krassimilation“ zum achten Mal zehn Tage lang mit Flucht- und anderen Migrationserfahrungen auseinander – und damit, was diese Erfahrungen mit den Betroffenen anrichten.
Artensprung von Menschenhand
Gleich drei Programmpunkte kreisen diesmal um Kafkas Erzählung, darunter auch Šimićs eigenes Stück „This Monkey Goes to Heaven“. Das hat er natürlich in der Gegenwart angesiedelt: Statt an eine Akademie richtet Rotpeter seinen Bericht ans Publikum der vom Zauber-Entertainer Manuel Muerte moderierten Fernsehsendung „Hagenbeck live“. Das sitzt dort, wo sonst in der Halle K6 die Bühne ist – und die Tribüne wird zum Spielplatz für Tanzperformances des Trios Bad Attitude und zur Leinwand für Theaterzauber: Nebel, Projektionen oder Suchscheinwerfer.
Stargast Rotpeter, mit mitreißendem Verve gespielt vom Schauspieler Arash Marandi, erzählt, wortgetreu Kafka folgend, seine Geschichte. Mal lümmelt er sich nachdenklich auf dem Fernsehsofa, mal springt er wild herum und schreit verschwitzt das Publikum an.
Unterbrochen wird er immer wieder durch kleine Varieté-Nummern, eine Mischung aus Illusionen und Edutainment: Wissenschaftlern sei es gelungen, den Darwin’schen Artensprung von Menschenhand herbeizuführen, erzählt Muerte: ein Spiegeltrick letztlich, den der Zauberkünstler am entsprechenden Zauberkasten erklärt.
Völkerverständigung als Illusion
In einer anderen Szene bittet Muerte zwei Frauen aus dem Publikum zum Experiment in Sachen „esoterische Völkerverständigung“: Herausfinden will er, ob zwischen den einst vereinten Afrika und Europa noch ein „Kontakt“ besteht; stupst „Afrika“ in die Schulter und fragt die mit verbundenen Augen daneben sitzende „Europa“, ob sie das „gespürt“ habe.
So weit, so unterhaltsam. Doch das Lachen bleibt immer wieder im Halse stecken. Denn auch eine andere Geschichte unterbricht den Bericht von der Menschwerdung. In Projektionen erzählt Abou Jabbi vom Schicksal seines Bruders: Der aus Gambia nach Hamburg gekommene Yaya ist 2016 21-jährig in der Haftanstalt Hahnöfersand ums Leben gekommen. Die Behörden sagen: Selbstmord. Zuvor war er in St. Pauli mit 1,65 Gramm Marihuana erwischt worden.
Sa, 6. 4., 20 Uhr. Kampnagel. Krass-Festival bis So, 14. 4.
Infos und Programm unter www.kampnagel.de
Nicht unproblematisch: Kafkas Kolonialgeschichte, die von einem Affen handelt, mit der tatsächlichen Geschichte eines Schwarzen zu verknüpfen. Reproduziert man damit nicht den rassistischen Diskurs?
Tatsächlich: Nachdem er vorher schon – ganz hinten im Dunkel der Tribüne sitzend – vom brutalen Leben inmitten von Alltags- und staatlichem Rassismus rund um den Sternschanzenpark erzählt hatte, tritt ein junger Mann aus West-Afrika an die Rampe und lässt seinem Unmut freien Lauf: Verdammte rassistische Weiße! Ihr benutzt uns weiterhin nur als Opfer, stellt euch über uns und uns auf eure Theaterbühnen, steckt uns in eure „postkolonialen“ Dokutheaterstücke, um euch von eurer Schuld abzulenken und euch besser zu fühlen!
Den Finger so in die Wunde zu legen statt ihn zum Zeigefinger zu erheben, der in die „richtige Richtung“ weist: Ein hartes, offenes Ende voller Fragen für einen gewagten Abend über die Härten der „Integration“ – weil es sich nicht integrieren lässt. Klappe auf, Affe trotzdem tot.
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