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Porträtfilm „Artistas“Ein filmischer Kniefall

Fasziniert von Frauen in der Kunst: Seine jüngste Arbeit „Artistas“ widmet der Hamburger Indie-Filmemacher Peter Sempel 42 Künstlerinnen.

Bekannt für ihr feinfühliges und virtuoses Klavierspiel: die Pianistin Eva Barta Foto: Peter Sempel

Das ist mal ein andächtiger Auftakt: Sechs Minuten lang zeigt Peter Sempel die Musikerin Derya Yıldırım, gefilmt mit seiner Handkamera. Yıldırım singt, nur von ihrer Bağlama begleitet, in der Hamburger St. Gertrud-Kirche ein traurig-meditatives Lied. Intensive Musik ist das, Yıldırım singt und spielt mit beeindruckender Hingabe, der leichte Hall der sanften Klänge im Kirchenraum gibt dem Moment eine bedächtige Tiefe.

Es ist eine eigentümliche Mischung aus Distanz und Nähe, mit der Sempel in seinem neuen Film „Artistas“ einfängt, was ihn an Yıldırıms Kunst fasziniert. Der Hamburger Independent-Veteran filmt vom Rand einer Sitzreihe weiter hinten aus, fängt den hohen Kirchenraum ein, zoomt nah heran ans Gesicht und die Hände der Künstlerin. Kurz unterbrochen wird das durch kleine Sequenzen, ein Insekt an einer Blüte etwa, ein Gemälde oder Vögel in einer Baumkrone.

Er gehe vor Yıldırıms Kunst auf die Knie, sagte Sempel jüngst beim Test-Screening im Hamburger Abaton-Kino. Am kommenden Sonntag ist der dort erstmals in einer Preview zu sehen. Bis halb vier nachts habe er noch gearbeitet, sagt er auch noch – Independent-Filmer zu werden, davon rate er dringend ab.

Mosaik aus intensiven Aufnahmen

Seit etwas über 42 Jahren dreht Sempel Filme, bekannt ist er für seine eigenwilligen psychodokumentarischen Porträts von Mu­si­ke­r:in­nen wie Nina Hagen, Nick Cave, Dieter Meier (Yello) oder Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister, dem japanischen Butoh-Tänzer Kazuo Ohno oder – immer wieder – dem litauisch-US-amerikanischen Regisseur, Autor und Kurator Jonas Mekas. Sempel dreht roh, nah an den Menschen, in Ateliers oder auf Bühnen, mit einer Kamera, die immer mitschwingt, nie distanziert, immer voll dabei und mittendrin. Alle seine Filme seien „Abenteuerfahrten in ein Thema, das ich faszinierend finde, von dem ich aber nicht viel weiß“, das hat Sempel mal der taz gesagt.

Für „Artistas“ hat er nun 42 Künstlerinnen in knapp zwei Stunden versammelt, eine „experimentelle Kunst-Collage von/mit wundervollen Künstlerinnen, die ein abenteuerliches Mosaik ergeben“, so Sempel selbst. Ganz unterschiedlich sind sie alle und kommen aus den verschiedensten Richtungen und Gattungen, sind Punk-, Metal- oder Rap-Musikerin, Pianistin, Malerin, Keramikerin, Kunstprofessorin oder Schauspielerin, leben und arbeiten in New York City, Hamburg oder Bremen.

Einige sind bekannt, wie die „Queen of Metal“, Doro Pesch, die Schauspielerin Hildegard Schmahl oder Amelie Deufl­hard, Intendantin des örtlichen Performance-Zentrums Kampnagel. Andere besucht Sempel während eines Stipendiats in der Kunsthochschule wie die iranische Malerin Termeh Yaghoubi. Viele der Gezeigten kennt man eher lokal, Katharina Kohl etwa, die Sempel an ihrem „Kunst-Imbiss“ in einer Fußgängerzone trifft.

Preview in Hamburg

„Artistas“ mit Gast: So, 21. 9., 17.15 Uhr, Hamburg, Abaton, Allende-Platz 3. Infos: sempel.com

Einen linearen Plot gibt es auch diesmal nicht, dafür sein Mosaik aus intensiven Momentaufnahmen: Werke, abstrakte Bewegungen, kreative Prozesse, kurze Gespräche über Frauen in der Kunst und weibliche Kunst. Allen begegnet Sempel mit demselben Interesse, fängt Intimität und Energie ein, distanzlos, aber immer mit großem Respekt und großer Offenheit. Denn das Leben, sagt Sempel, besteht nicht nur aus langen Geschichten, sondern „aus kleinen Fetzen oder kleinen und großen Kreisen“ – eine große Collage. „Und jeder Moment ist eine Geschichte.“

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