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Regisseur Peter Sempel über Künstler-Dokus„Ich filme, was ich nicht verstehe“

Seit 33 Jahren dreht der Hamburger Independent-Filmemacher Peter Sempel seine eigenwilligen Musik-Psycho-Dokumentationen. Die Musik ist für ihn dabei genauso wichtig, wie die Menschen es sind.

Peter Sempel vor einem Foto von Jonas Mekas. Mit dem "Paten des US-amerikanischen Avantgardekinos" hat er drei Filme gedreht. Bild: Burkhard Timm
Interview von Robert Matthies

taz: Herr Sempel, was interessiert Sie an so unterschiedlichen Menschen wie Blixa Bargeld, Nick Cave, Nina Hagen, Allen Ginsberg oder Jonathan Meese?

Peter Sempel: Alle Filme, die ich mache, sind so eine Abenteuerfahrt in ein Thema, das ich faszinierend finde, von dem ich aber nicht viel weiß. Wenn ich es vorher weiß, muss ich es nicht filmen. Ich habe ein Thema, an dem arbeite ich zwei Jahre, und dann weiß ich ein bisschen was. Man kommt der Sache näher. Das läuft vieles unbewusst, meine Filme tragen viel Unbewusstes mit sich. Ich filme Sachen, die ich nicht verstehen kann, aber ich weiß: Sie sind da. Es sind die Sachen, die ich nicht erklären kann, die mich beschäftigen.

In Ihren Filmen treffen jede Menge prominente Künstler aufeinander. Wie viel Plan steckt dahinter?

Man unterstellt mir oft, dass ich den Leuten hinterherlaufe, aber der Einzige, den ich jemals gefragt habe, ob ich ihn filmen kann, war Blixa Bargeld. Der fragte dann, als wir 1988 „Dandy“, meinen Klassiker, drehten: Kann Nick Cave auch mitmachen? Das hat sich dann so entwickelt: Nina Hagen war zu Gast in „Dandy“ und hat mich gefragt, ob ich einen Film über sie machen kann. Lemmy Kilmister war zu Gast in dem Nina-Hagen-Film, Jonas Mekas war Gast im Kazuo-Ohno-Film. Ich habe die nie gefragt. Ich mische gern, Bekannte und Unbekannte, warum sollte ich die Bekannten weglassen? Es sind so tolle Leute, da kann ich nicht Nein sagen. Aber ich habe nie jemanden gefilmt, der nur berühmt war, aber nichts konnte. Das gibt es ja auch oft genug.

Sie haben mit dem Filmen begonnen, weil Sie begeistert waren von Musik, von den Einstürzenden Neubauten oder der Punkband Abwärts. Ist Musik noch immer das Herz Ihrer Leidenschaft für den Film?

Ganz klar. Ich ging immer ins Kino, in die Oper und ins Punkkonzert. Das waren drei Hobbys und ich habe die im Kino nie zusammengesehen. Aber Bilder zwingen sich auf bei der Musik.

Peter Sempel

60, geboren in Hamburg, ist im australischen Outback aufgewachsen und 1968 nach Hamburg zurückgekehrt. Begann 1981 kurze Punk-Filme zu drehen, 1988 wurde er mit dem Musikfilm "Dandy" bekannt. Seitdem hat er unter anderem Filme über Kazuo Ohno, Nina Hagen, Lemmy Kilmister, Jonas Mekas, Allen Ginsberg, Flamenco und Künstler wie Jonathan Meese und Daniel Richter gedreht.

Ihre Filme wirken oft wie Musik komponiert, Sie schneiden sehr assoziativ. Man wirft Ihnen deshalb manchmal vor, Geschichten abzubrechen, wenn sie interessant werden.

Du hast ein Thema und musst dem aus allen möglichen und unmöglichen Blickwinkeln nahe kommen, auch beim Schnitt. Ich habe oft einen Profi, einen Cutter bei mir, der protestiert: Das kann man nicht so schneiden, das geht nicht – obwohl die mich kennen. Nachher sehen sie: geht ja doch. Gerade beim Schnitt musst du Sachen versuchen, wo du sagt: Das hat gar keinen Sinn. Bazon Brock, dem schneide ich mitten ins Wort, das macht kein Cutter. Aber das Leben besteht nicht nur aus langen Geschichten, sondern aus kleinen Fetzen oder kleinen und großen Kreisen. Es ist doch eine große Collage, das Leben. Und jeder Moment ist eine Geschichte.

Ihre Filme sind keine klassischen Biografien. Sie nennen sie „dokumentarische Musikpsychofilme“.

Ich interessiere mich nicht nur für den Menschen beziehungsweise den Künstler, sondern für den Tanz oder die Musik, die er vertritt. Das sind nun mal die Größten dieser Musikrichtungen: Underground, Pop-Rock, Heavy-Rock, Flamenco, jedes Mal eine andere Welt der Musik. Jetzt bin ich gerade mitten im Schnitt: Peter Brötzmann, Free-Jazz. Und ich hoffe, demnächst einen Film in die Klassikwelt hinein zu machen. Es sind keine klassischen Dokumentationen, aber man lernt jeden kennen in seiner Welt, seiner Umwelt und seiner Innenwelt. Es kommt auf den Zuschauer an, was er sieht. Ich erkläre nichts, es geht eher um Emotion als um Verstand.

Wie kann man Emotionen von Menschen filmisch einfangen?

Man zeigt, wie sie sich bewegen und wie sie machen. Wenn der Kazuo Ohno in New York auf dem Dach tanzt, dann guckst du und staunst und weißt gar nicht, was das bedeutet. Aber es ist faszinierend. Bei vielen dieser Leute staunst du und es gibt dir ein Gefühl des Seins, nehme ich an.

Zugleich wollen Sie mit Ihren Filmen auch Inhalte transportieren. Wie gelingt das?

Wenn man zum Beispiel Kazuo Ohnos Tanz sieht: Der drückt eine Lebensfreude, eine Dankbarkeit ans nackte Leben aus, das ist sein Inhalt. Nicht einfach Unterhaltung, die ist dabei. Viele Zuschauer denken: Oh wie schön, wie ästhetisch. Aber eigentlich geht es bei bei allen Künstlern um Dankbarkeit ans nackte Leben. Wenn du dankbar bist, protestierst du auch gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt.

Retrospektive: Mi, 9.7., bis Fr, 25.7., Hamburg, Metropolis

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