Polizist schoss auf Geflüchteten: Mehr Schüsse als nötig?
Ein Zivilpolizist schoss vergangene Woche auf einen Geflüchteten in St. Georg und verletzte ihn schwer. Die Polizei spricht von Notwehr, andere bezweifeln das
Die Polizei hatte den Vorfall, der sich am ersten Februar in der Robert-Nhil-Straße zugetragen hatte, wie folgt beschrieben: Ein Beamter in Zivil sei von zwei Passantinnen um Hilfe gebeten worden, die einen stark alkoholisierten und aggressiven Mann mit einem Messer beobachtet hätten. A. habe sich dem Beamten gegenüber sehr aggressiv verhalten und ihn mit einem Messer angegriffen, woraufhin der Polizist ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht habe. A. habe jedoch weiter versucht, auf den Beamten einzustechen, sodass der Polizist geschossen habe, um den Angriff abzuwehren.
Augenzeugen schildern die Tat anders. Auf dem Blog Topafric findet sich ein Video vom Tatort kurz nach den Schüssen. Darin berichtet jemand, wie er die Szene gesehen hat: A. habe, nachdem er das Pfefferspray abbekommen habe, an seine Tasche gegriffen und einen Satz in Richtung des Polizisten gemacht. Dieser sei zurückgewichen und habe auf den Mann geschossen. Der Angeschossene sei zu Boden gegangen, der Polizist habe etwas von seiner Hand weggekickt – wohl das Messer – und nach mindestens fünf Sekunden zwei weitere Schüsse auf den am Boden Liegenden abgegeben. „Das ist eine sehr lange Zeit in einer solchen Situation“, sagt der Zeuge und fragt auf englisch: „Warum die Schüsse, wenn der Mann schon am Boden liegt? Und nachdem der Polizist das Messer schon weggekickt hat? What the fuck?“
In dem Video sieht man, wie der Zivilbeamte noch eine ganze Weile neben dem am Boden liegenden A. steht, während andere Polizisten bemüht sind, Passanten vom Tatort fernzuhalten. A. ist schwer verletzt, er wurde am Bein und am Bauch getroffen. Er liegt noch immer auf der Intensivstation, schwebt aber nicht in Lebensgefahr. Die Polizei ermittelt intern gegen den Zivilpolizisten. Auch die Staatsanwaltschaft prüft, ob die drei Schüsse auf A. gerechtfertigt waren. Beide wollten sich aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht weiter äußern.
Stop shooting us, fordert die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ und ruft zur Demo auf:
Treffpunkt Mittwoch, 8. Februar um 17 Uhr am Lampedusa-Infozelt, Steindamm 82.
Here is not America ist das Motto. Schüsse auf Schwarze durch weiße PolizistInnen dürften nicht zu einer neuen Methode der Hamburger Polizei werden und nicht unbestraft bleiben, fordern sie.
Die AktivistInnen wollen außerdem Oury Jallohs, Jaja Diabis und Laye Condés gedenken, die in Polizeigewahrsam starben.
Der Linken-Abgeordnete Martin Dolzer hat erhebliche Zweifel an der Geschichte, wie die Polizei sie erzählt. Drei Tage lang habe er recherchiert und in St. Georg Menschen befragt, die den Vorfall gesehen hatten oder in der Nähe waren. „Nach allen Schilderungen drängt sich der Eindruck auf, dass der Polizist nicht aus Notwehr gehandelt hat“, sagte er zur taz. Im Rahmen von Racial Profiling komme es in letzter Zeit zunehmend zu brutalen Übergriffen auf Geflüchtete und zu Jagdszenen. „Die Schüsse sind der traurige Höhepunkt dieser Zuspitzung.“
A. ist Mitglied der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ und arbeitet bei einer Zeitarbeitsfirma. Der Sprecher der Lampedusa-Gruppe Ali Ahmed verurteilte die Schüsse auf seinen Mitstreiter als rassistische Attacke. „Es sieht aus, als wollte der Polizist ihn töten“, sagte er.
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