Polizeigewerkschafter über Rassismus: „Ich verstehe den Vorwurf nicht“
Wer nichts verberge, kann sich auch kontrollieren lassen, sagt Polizeigewerkschafter Witthaut. Eine unabhängige Beschwerdestelle findet er dennoch nicht gut.
taz: Herr Witthaut, im Zuge der NSU-Affäre ist die Polizei in die Kritik geraten: Sie habe nur gegen Migranten ermittelt und Rechtsextreme als Täter ausgeschlossen. Was sagen Sie dazu?
Bernhard Witthaut: Ich kann nachempfinden, dass die Angehörigen emotional stark betroffen sind und dass dann auch pauschal Vorwürfe erhoben werden. Aber man kann es den Kollegen in der Mordkommission nicht vorwerfen, dass am Ende nur noch in eine Richtung ermittelt wurde. Dass das Bundeskriminalamt nicht zentral die Ermittlung übernommen hat, ist das Ergebnis politischen Gerangels und die Entscheidung der Innenminister. Wir können aber heute nicht wissen, ob das BKA überhaupt andere Ermittlungsansätze gefunden hätte als die Mordkommissionen.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, hat von „institutionellem Rassismus“ gesprochen.
Das ist völlig falsch, und das weise ich vehement von uns. Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind, und es gibt bei der Polizei auch kein Mentalitätsproblem. Und ich kann nur plädieren, mit dem Wort „Rassismus“ etwas vorsichtiger umzugehen, wenn einem an einer sachlichen Auseinandersetzung gelegen ist.
Was kann die Polizei tun, um bei Migranten wieder mehr Vertrauen zu gewinnen?
Wir sind schon seit Jahren dabei, nicht nur die interkulturelle Kompetenz unserer Kolleginnen und Kollegen zu fördern, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund den Weg in den Polizeidienst zu öffnen. Und da es immer mehr werden, kann es um das Image der Polizei in der Migranten-Community nicht so schlecht bestellt sein.
57, ist seit dem Jahr 2010 der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Zuvor war er als Hauptkommissar in Niedersachsen im Dienst. Witthaut hat vier Kinder und ein Parteibuch der SPD.
Im Rahmen der NSU-Affäre wurde bekannt, dass zwei Polizisten in Baden-Württemberg mal beim Ku-Klux-Klan waren. Muss die demokratische Einstellung von Bewerbern stärker kontrolliert werden?
Bei der Polizei gibt es keine Gesinnungstests. Natürlich interessiert bei den Einstellungsgesprächen, ob die demokratische Grundhaltung vorhanden ist. Auch die Gewerkschaft der Polizei ist sehr daran interessiert, dass Leute, die sich etwa während der Ausbildung in Uniform mit dem Hitlergruß abbilden lassen, meist unter dem Einfluss alkoholischer Getränke, sofort aus dem Polizeidienst entlassen werden. Solche Fälle gibt es. Der Selbstreinigungsprozess funktioniert aber. Und aus meiner Sicht machen solche schwarzen Schafe angesichts von 260.000 Polizisten bundesweit allerdings nur einen verschwindend geringen Anteil aus.
Dennoch bleiben die schwarzen Schafe beim Ku-Klux-Klan.
Was mich an dem Fall ärgert, ist, dass man das nicht rechtzeitig aufgeklärt hat und auch später, als man es wusste, gezögert hat, daraus Konsequenzen zu ziehen. Das halte ich für falsch.
Opferverbände beklagen, dass die Polizei bei rassistischen Taten oft einseitig ermitteln würde. Zu Recht?
Ich verstehe den Vorwurf nicht. Da muss man sich jeden Einzelfall genau ansehen. Die Polizei muss ja be- und entlastendes Material sammeln, im Auftrag und in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. Es kommt aber oft vor, dass erst in der Gerichtsverhandlung die wahren Tatmotive zutage treten.
Die Amadeu Antonio Stiftung wirft der Polizei vor, dass Rassismus als Motiv zu oft vorschnell ausgeschlossen werde.
Die Stiftung geht von 190 Mordfällen seit 1990 aus, bei denen ein rechtsradikales Motiv vorgelegen haben soll, die offiziellen Zahlen liegen bei 46 oder 47. Die Stiftung sagt aber nicht, wie sie zu dieser Beurteilung kommt. Es wäre aus meiner Sicht wichtig, mal aufzuklären, worauf diese Differenz beruht. Vielleicht kommt es auch darauf an, ob man die Zahl vor Beginn eines Verfahrens erhebt oder danach. Sonst wird nur mit Vorwürfen gearbeitet, aber das Problem nicht gelöst.
Menschen mit dunkler Hautfarbe klagen darüber, dass sie häufiger von der Polizei kontrolliert werden als andere Bürger. Gerade wurde eine Petition eingebracht, um verdachtsunabhängige Kontrollen zu verbieten. Ist das angebracht?
Ein Polizist muss sein Erfahrungswissen anwenden können. In der Region, aus der ich komme, gibt es zum Beispiel ein Asylbewerberheim, von dem die Polizei weiß, dass da mit Rauschgift gehandelt wird. Da leben viele Menschen aus afrikanischen Ländern, von ihnen bestimmen viele die Drogenszene. Wenn ein Polizist dann so jemanden am Bahnhof in Osnabrück sieht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Stoff dabei hat, ziemlich hoch. Ob der Betroffene das als diskriminierend empfindet oder lediglich sauer ist, dass die Polizei seine Drogengeschäfte vereitelt hat, mag dahingestellt sein. Wenn ich nichts zu verbergen habe, dann kann ich mich ja auch kontrollieren lassen, oder?
Manchmal eskalieren solche Situationen aber in Gewalt.
Das darf nicht passieren. Der Bürger muss akzeptieren, dass er kontrolliert wird.
In Großbritannien gibt es eine unabhängige Beschwerdestelle, um polizeiliches Fehlverhalten besser ahnden zu können. Eine gute Idee?
Bei uns liegt die Zuständigkeit für die Polizei bei den Bundesländern, in England gibt es eine völlig unabhängige Organisationsstruktur. In Sachsen-Anhalt etwa haben wir eine Beschwerdestelle, die beim Innenministerium angesiedelt ist. Die Erfahrungen dort sind gut. Aber ich finde es falsch, die Polizei unter einen Pauschalverdacht zu stellen. Und das wird mit so einer Beschwerdestelle suggeriert.
Würde es die Polizei nicht entlasten, wenn andere gegen ihre Kollegen ermitteln?
Wenn Kollegen betroffen sind, dann werden ja meist andere Dienststellen mit den Ermittlungen beauftragt. Und dass Polizisten sich in so einer Situation auch nicht scheuen, eine Strafanzeige gegen Kolleginnen und Kollegen zu erstatten, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass sie übermäßig eingeschritten sind, hat sich oft gezeigt. Mittlerweile ist die Polizei sensibilisiert.
Wie geht man mit Rassismus in den eigenen Reihen um?
Die Gewerkschaft der Polizei hat sich schon immer gegen solche Gesinnungen gewandt. Wir waren die Ersten, die es Parteimitgliedern der Republikaner untersagt haben, bei uns Mitglied zu sein. Für unseren Kampf gegen Rechtsextremismus in der Gesellschaft sind wir seinerzeit mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet worden. Und wir haben mit unserer gewerkschaftlichen Bildungsarbeit dazu beigetragen, die Kolleginnen und Kollegen zu sensibilisieren. Die Sensibilität muss auch bei allen Führungskräften vorhanden sein.
Gibt es da ein Ostproblem?
Wenn ich mir die jüngste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung anschaue, dann gibt es in manchen Regionen offensichtlich einen höheren Anteil von Rechtsextremen, und dazu gehören auch manche Regionen in den fünf neuen Ländern. Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Deshalb muss man mit dem Instrument der inneren Führung für eine demokratische Grundhaltung sorgen. Natürlich ist es aber auch so: Wenn manche Polizisten nur in problematischen und konfliktreichen Milieus mit hohem Ausländeranteil zu tun haben, kann das Vorurteile nähren. Deshalb muss man solche Kolleginnen und Kollegen auch mal rotieren lassen. Pauschalschelte bringt uns dagegen gar nicht weiter.
BKA-Chef Jörg Ziercke hat vor Kurzem eine Einstellungsquote für Polizisten mit Migrationshintergrund vorgeschlagen. Was halten Sie davon?
Wir sind gegen eine Quote. Wir finden, jeder Bewerber sollte genau den gleichen Qualifikationsansprüchen genügen und genauso einsteigen wie alle anderen auch. Ein türkischer Kollege sagte mir: Was soll der Unsinn, ich will kein Quotentürke werden. Wir müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund davon überzeugen, zu uns zu kommen. In vielen Präsidien gibt es deshalb bereits eigens Veranstaltungen für Bewerber mit Migrationshintergrund.
Reicht das aus?
Jedes Mal, wenn ein neuer Ausbildungsjahrgang beginnt, sieht man viele neue Kollegen mit Migrationshintergrund. Der Anteil wächst in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich, ich schätze, er liegt derzeit zwischen 3 und 8 Prozent.
Das ist weit weniger als im gesellschaftlichen Schnitt. Warum hinkt die Polizei hinterher?
Unsere Anforderungen sind hoch, auch die gesundheitlichen. Aber wir sind dagegen, das Niveau der Einstellungstests abzusenken, denn wir wollen keine Polizisten zweiter Klasse schaffen. Im Inneren der Polizei müssen wir dafür sorgen, dass Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund nicht diskriminiert werden. Wenn das passiert, müssen sofort die entsprechenden disziplinarischen Maßnahmen getroffen werden. Alle Kolleginnen und Kollegen, Frauen und Männer, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, sollen ganz normal ihren Weg gehen und irgendwann auch Führungspositionen übernehmen, das ist ein ganz normaler Prozess. Er geht vielleicht langsamer als in anderen Bereichen – aber es passiert ja.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen