Polizeigewalt in den USA: Helden vom Sockel stoßen
Ein Polizist richtet seine Waffe auf unbewaffnete Jugendliche. Das Video empört – und zeigt, dass das Bild von Beamten korrigiert werden muss.
Ein weißer Polizist, schwarze Teenager, eine Waffe und Jugendliche am Boden. Erneut ist in den USA ein Video aufgetaucht, das einen Polizeibeamten zeigt, der offenbar unbegründet und übertrieben aggressiv in einem Einsatz agiert.
Wie zunächst die Webseite Mashable und dann die Washington Post berichteten, ereignete sich der Vorfall am Wochenende in McKinney im US-Bundesstaat Texas. Dort war es bei einer Party in einem öffentlichen Freibad der Gemeinde zu einem Konflikt gekommen. Die Polizei der 140.000-Einwohner-Stadt spricht in einer Stellungnahme von einer „Ruhestörung“, an der mehrere Jugendliche beteiligt gewesen sein sollen.
Das Video, das auf Youtube mittlerweile mehr als 4,5 Millionen mal angesehen wurde, zeigt einen Streifenpolizisten, der seine Waffe völlig unbegründet auf eine Gruppe von unbewaffneten Jugendlichen richtet und ein Mädchen auf den Boden zwingt, sie mit seinem gesamten Körpergewicht herunterdrückt und ihren Kopf auf den Asphalt presst. Mehrfach hört man den Beamten rufen: „Get your ass on the ground.“
Die Lage auf dem Video scheint chaotisch, aber keineswegs dramatisch gefährlich zu sein. Die einzige Aggressivität geht von dem Beamten aus, die Situation wird schließlich durch andere Polizisten beruhigt. 12 Beamte sind am Ende bei einer doch harmlosen Streiterei im Einsatz – letztlich wurde laut Polizei ein erwachsener Mann festgenommen.
Die Post hat den Beamten im Video als Eric Casebolt identifiziert, seit zehn Jahren Polizist, ein erfahrener Beamter. Die Polizei McKinney bestätigt den Namen nicht, erklärt aber, ein Kollege sei vom Dienst freigestellt worden, bis in einer Untersuchung alles aufgeklärt sei.
Der Vorfall erregt in den USA großes Aufsehen. Die tödlichen Schüsse auf Michael Brown in Ferguson, der Tod von Freddie Gray in Baltimore, die übermäßige Polizeigewalt in New York und anderen Städten gegen Afro-Amerikaner haben in den vergangenen Monaten Protestwellen und eine öffentlich geführte Rassismusdebatte ausgelöst. Der Vorfall in Texas nun schreibt diese Geschichte von Gewalt und Rassismus fort. Eine aufgeladene Situation in einer Stadt, in der Afro-Amerikaner etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen und die Mehrheit der Bürger weiß ist.
Der Bürgermeister der Gemeinde nördlich der Metropole Dallas äußerte sich „verstört und besorgt“ über den Vorfall, der Vater des 14-jährigen Mädchens fordert Bürger via soziale Netzwerke dazu auf, bei der Polizei die Entlassung des Beamten zu fordern. Seine Tochter gibt dem örtlichen Ableger des Fernsehsenders Fox ein Interview, und der 15-jährige Brandon Brooks, der das Video filmte, sagte BuzzFeed: „Mich haben die Cops nicht mal angeguckt, es war, als wäre ich unsichtbar.“ Brooks selbst ist weiß.
Heroisiert und glorifiziert
Schwer verletzt wurde in McKinney niemand, die Polizei hat auf den Vorfall reagiert und eine Untersuchung angeordnet. Warum dann diese Aufregung, und warum wird gerade dieses Video im Netz nach oben gespült, könnte man sich fragen. Jeder Vorfall dieser Art verdient und braucht eine Öffentlichkeit. Es erscheint fast ermüdend, bei der Suche nach Erklärungen immer wieder bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anzukommen, doch sie haben Amerikas Gesellschaft in vielen Bereichen nachhaltig verändert und das betrifft auch die Rolle der Polizei.
Sie wurden, ähnlich wie die Einsatzkräfte der Feuerwehr, heroisiert und glorifiziert. Das Klischee des Freundes und Helfers wurde erweitert durch den Helden, der sich schützend vor eine in Angst erstarrende Gesellschaft stellt. Mit der Glorifizierung jedoch ging auch der Freibrief einher, der jedem Mann und jeder Frau in Uniform per se ausgestellt wurde. Eine Macht, die nicht hinterfragt wurde und quasi nicht angreifbar war. Eines der tragischsten Beispiele ist der Fall Michael Brown: Ein Grand Jury entschied im November 2014, kein Verfahren gegen den Polizisten Darren Willson zu eröffnen, der Brown erschossen hatte.
Die Videos wie das aktuelle aus Texas helfen, dieses überhöhte Bild von den uniformierten Helden aufzubrechen. In McKinney zeigt sich im Kleinen die Aggressivität und auch die rassistischen Vorurteile, mit denen viele Polizisten immer wieder ihren Dienst bestreiten. Mit jedem dokumentierten Vorfall wird deutlicher, dass die amerikanische Gesellschaft die Debatte um die Rolle der Polizei und ihre unkontrollierte Härte führen muss. Aber das Bild der strahlenden Helden ist nicht leicht zu dekonstruieren. An jenem Freibad in McKinney stand am Sonntag ein Schild, auf dem der Polizei gedankt wird: dafür, dass sie für die Sicherheit der Bürger sorge.
Leser*innenkommentare
Fotohochladen
Helden ohne Socken!
nzuli sana
In dem Film Wassup Rockers von Larry Clark fahren Skaters in LA, zum ersten Mal aus South Central in die Beverly Hills, um dort die tolle lange Treppe zum Boarden auszuprobieren.
Ein Cop fährt an sie dran und will dass sie verschwinden, die Latinos hätten dort nichts verloren.
Einer der Skater macht sich an das Copauto und schnappt sich das Pausenbrot und isst es auf.
Wenigstens.
B. Reichert
Tut mir leid, aber ich kann da keinen Übergriff der Polizei erkennen. Die Personen leisten Widerstand, befolgen offensichtlich nicht die Anweisungen und versuchen, die Polizeimaßnahme zu behindern.
KarlM
Na ja, das Einschreiten hätte auch etwas strukturierter erfolgen können. Statt mit kleckerweise eintreffenden Kräften.
Dann muss auch kein isoliert stehender Beamter gleich mit der SW drohen!
lions
@B. Reichert Schauen Sie genau hin, der Cop läuft der Gruppe hinterher und greift sich das Mädchen. Wo ist dann folgend der Widerstand ? Sie würden vll auch mal gern mit so nem jungen Mädchen derartig umspringen, wenn Sie hier die Filzbrille nicht absetzen wollen.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@B. Reichert Ah ja? Welche Anweisungen wurden denn konkret gegeben?
mowgli
Rassismus ist eine hochexplosive Mischung aus chronifizierter Angst und akuten Überlegenheits-Fantasien. Rassisten sind Opfer und Täter zugleich.
Seit es Gewalt gibt auf der Welt, hat die menschliche Psyche eine (übertriebene) Tendenz zur Vorsorge. Das Hirn versucht, Gewalt dadurch zu verhindern, dass es Kategorien bildet. Es kann nichts anderes. Weniger leistungsfähige Gehirne machen dabei viele Fehler. Auch, weil es oft gar nicht die eigenen, realen Gewalterfahrungen sind, die Angst machen, sondern die glaubhaft überlieferten. Wenn ein schwarzer Teenager z.B. aggressiv auf Strafen reagiert, die er für unberechtigt hält, dann steht das morgen in der Zeitung. Uns zwar hübsch aufgebauscht. Schlichtere Gemüter denken dann beim lesen nicht: "Gewalt macht böse und ist zu vermeiden." Sie denken: "Schwarze sind gefährlich. Man muss ihnen mit Gewalt begegnen. (Danke, liebe Polizei!)"
Aus konkreten Menschen in konkreten Situationen werden so blöde Klischees. Wieso das alles? Weil manche Menschen sich überfordert fühlen mit der Bewältigung ihrer Konflikte - oder, wie hier, mit den Problemen derer, für die sie verantwortlich gemacht wurden. Auslöser der Szene scheint das Gefühl einer inkompetenten weißen Mutter gewesen zu sein, ihre übergewichtiges Goldkind könnte sich weder allein noch mit ihrer Hilfe gegen eine halb so schwere, schwarze "Rotznase" wehren, die es beleidigt oder geschubst hat. Vielleicht sind einfach zu viele Waffen unterwegs in den USA. Man weiß da nie, wer schießt, wenn ihm etwas nicht passt.
Waffen aber müssen sein in den USA. Der Sicherheit wegen. Wäre die Sache dumm gelaufen, hätte es wieder Tote und in der Folge neue Gewalt gegeben. Dann hätten die Hasenfüßen noch lauter um Hilfe gerufen. Die Möchtegern-Helden aber wären noch überforderter gewesen und hätten neue Fehler gemacht (Gewaltspirale). Sind eben auch nur Menschen und mitunter dumm vor Angst. Genau wie alle anderen.
KarlM
Konfuser gehts nicht?
Lesen Sie einfach nochmal nach welche Ethnie in welcher Alterskohorte und welches Geschlecht für die Masse Der Straftaten gegen das Leben lt. FBI-Statistik verantwortlich ist?
Den hoblophoben Unfug dürfen Sie auch beiseite lassen, warum erklärt sich auch aus der Deliktstatistik. Aber saubere Kausalitäten sind bei einem so hochemotional besetzten Thema ja auch nur hinderlich, oder?
Dafür treffen Ihre beden Schlussätze mehr zu als Sie glauben mögen. Mal drüber Nachdenken!
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@mowgli Meines Erachtens sind Rassisten zuallererst Arschlöcher.
seiend
Nicht hinnehmbar, was man da sieht ! Ich sehe da keinerlei andere angemessene Maßnahme, als solche Rassisten in Uniform sofort aus dem Staatsdienst zu entfernen. Da gibt es für mich auch nichts zu diskutieren. Solche Leute schaden eindeutig und helfen in der Summe überhaupt nicht. Schrecklich. Zero tolerance für so etwas !
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@seiend Rassisten aussortieren, richtig. Aber wie soll die US-Polizei von heute auf morgen mit so wenig Personal auskommen?
Eike
Der Artikel geht leider zur Hälfte am Thema vorbei, und übersieht den Rassismus in den USA. Die diversen von der Polizei getöteten Menschen, die in dem Artikel aufgezählt werden verbindet eines: sie waren sehr dunkelhäutig.
Auch in dem hier geschilderten Fall ist Rassismus wichtig: Die Jugendlichen die von der Polizei auf den Boden gezwungen werden, und mit der Pistole bedroht werden, sind alle dunkelhäutig. Der hellhäutige Junge, der den Vorfall filmt, wird dagegen von den Polizisten gar nicht beachtet. Dunkelhäutige Menschen müssen aus Sicht der Polizei anscheinend grundsätzlich erniedrigt und kontrolliert werden.
Der Vorfall entzündet sich außerdem daran, dass hellhäutige Erwachsene die dunkelhäutigen Jugendlichen rassistisch beschimpfen. Als die sich verbal wehren, werden sie von den Erwachsenen geschlagen. Hintergrundinformationen gibt es hier:
http://www.washingtonpost.com/news/morning-mix/wp/2015/06/08/go-back-to-your-section-8-home-texas-pool-party-host-describes-racially-charged-dispute-with-neighbor/
KarlM
Kommt auch ziemlich drauf an, wer wirklich die Störer waren!
Gemeldet wurden ja bei dem Auftreten ausschließlich Afroamerikaner?
Aber was ist wirklich vorgefallen?
Genervte Anwohner die wirklich Grund zu Beschwerden hatten?
Dumme"Rassisten" die nach belieben Verbalinjurien verteilen?
Oder haben alle Seiten das billigend hochgekocht und nun wills keiner gewesen sein?
Was die polizeilichen Maßnahmen angeht, so ist Ihnen sicher die entsprechende FBI-Statistik bekannt?
KarlM
Sehr geehrte Frau Haverts,
was soll die in diesem Zusammenhang wiederholte Erwähnung des Falles B.? Das Resultat des Sektionsbefundes und der Tatortspuren kann gerne nochmals erläutert werden, fall es immer noch nicht verstanden wurde.
Zum Sachverhalt selbst:
Ob die Maßnahme an sich "unbegründet" war, ist aus dem Bildmaterial nicht falsifizierbar.
Ferner ist es nicht geklärt, ob die Androhung von Zwangsmitteln per se unbegründet war oder nicht.
Es ist nicht nachweisbar, ob die sichtbaren Personen unbewaffnet waren oder nicht.
Die Androhung eines Schusswaffengebrauches ist nicht zwingend an ein mit SW bewaffnetes pol. Gegenüber geknüpft!
Es erschliest sich nicht warum hier nur Zwang gegen dunkelhäutige Heranwachsende ausgeübt wird.
Womit ist belegbar : "an sich harmlosen Streiterei.." ? Das ist schon wegen Unkenntnis der Vorgeschichte und dem begrenzten Bildauschnitt eine gewagte Vermutung.
Wo leben Sie eigentlich? Jeder kann nachlesen das die Kernaufgabe von "Polizei" in der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung besteht. Das ist selbst in den Staaten mit diesem fragwürdigen "Stadtpolizeikonzept" nicht viel anders...
Wer natürlich bei ner Ruhestörung so vorgeht, braucht sich auch nicht wundern..
KorBo
@KarlM @KARLM Ist das Polizeideutsch? Oder auf welchem fernen Planeten drücken sich Menschen ernsthaft so aus?
KarlM
@KorBo Polizei, StA, Rechtsmedizin und allgemein Todesursachenermittlung. Ist wirklich so.
DasNiveau
@KarlM Dem Link von Eike nach ging es dabei um ein Handgemenge zwischen Partygästen und unerlaubtes Betreten von Privatbesitz. Die Ruhestörung kommt nur noch hinzu.
KarlM
Trotzdem muss man sich nicht vom "Jagdeifer" überwältigen lassen und Heranwachsenden vom Kaliber "dumm und stark" so gegenübertreten.
Dafür braucht ein einzelner Beamter sich auch nicht in eine Situation begeben wo er entwaffnet werden könnte! Bei den sichtbar geringen Distanzen nützt nämlich selbst die Kurzwaffe nur noch wenig!
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@KarlM Ihr Beamtendeutsch ändert nichts an der sozialen Sach- und Schieflage. Netter Versuch zwar, aber es ist halt dem gesellschaftlichen Klima nicht zuträglich, wenn man Rassismus wegredet.
KarlM
Es ist auch nicht hilfreich wenn Neurotiker überall "Rassismus" sehen, was letztlich auf ein nicht mehr ernst genommen werden hinausläuft.
Die "amtsdeutsche" Sachverhaltsbeschreibung kann und soll nichts an katastrophalen gesellschaftlichen Missstanden schönreden, das geht garnicht.
Es geht lediglich darum mögliches rechtswidriges Handeln aller Beteiligten durch Aufzeigen von Einzelheiten zu erläutern.
CäptnTrips
Hätte nicht gedacht ausgerechnet KarlM einmal zuzustimmen hier auf der TAZ.
Das ganze wird auch meiner Meinung mach hochgekocht. Und das tut der Auseinandersetzung mit dem tatsächlichem Problem der mangelnden Polizeiarbeit in den USA nicht gut.
Ich sehe hier ebenfalls keinen Rassismus. Es war eben eine Gruppe schwarzer Jugendlicher die wegen ungeladenen Eindringen auf das Privatgrundstück von der Polizei hinausgeführt werden sollten.
Also werden natürlich auch Zwangsmaßnahmen ausnahmslos gegen die schwarzen Jugendlichen angewendet.
Was anderes wäre es natürlich, wenn auch weiße und Latinos in der Gruppe waren, die aber von der Meldung
an die Polizei nicht erfasst wurden, weil hier der Party-Organisator irgendwelchenm Stereo-typen erlag.
Dann ist es aber nicht ein Problem des Rassismus innerhalb der Polizei.
Zuletzt: Was ich aber stattdessen sehe ist eine wirklich schlechte Vorgehensweise der Polizei.
Da in der Minderzahl, hätte diese sich tatsächlich zurückhalten und Verstärkung anfordern sollen. Damit wäre das Spießrutenlaufen das im Video zu sehen ist erledigt gewesen und wildes Herumschreien der Polizisten, Einzelverfolgung und verzweifeltes Ziehen der Schußwaffe ebenfalls.
Man kann diesbezüglich Dankbar sein, das nicht mehr passiert ist und niemand wirklich verletzt wurde..
Alternativ wäre zu wünschen gewesen, die Jugendlichen hätten sich einfach ohne Androhung von Zwangsmaßnahmen getrollt und/oder der Veranstalter hätte zuvor auf womögliche Provokationen verzichtet.
Wissen wie das alles genau ablief, können wir nicht. Das Video und die magere Berichterstattung zum Vorfall reichen nicht aus um hierüber zu urteilen.
KarlM
Lange nicht mehr eine so sachliche Kritik an dem Einsatz gelesen!
Sie sollten dazu die Artikel schreiben, wirklich.