Politologe über die CDU in Sachsen: „Anzubandeln wäre suizidal“
Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD? Andreas Püttmann stellt fest, dass die Grenze zwischen Konservatismus und Rechtspopulismus verschwimmt.
taz: Herr Püttmann, Teile der Union können sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen, die Parteiführung ist strikt dagegen. Wir groß sind die inneren Spannungen in der Partei?
Andreas Püttmann: Sie sind groß, aber mehrheitlich klar zuungunsten der AfD verteilt, mit Unterschieden je nach Landesverband. Ich sehe nicht, dass ein Rechtsbündnis realistisch wäre. Dafür haben doch zu viele aus der Geschichte gelernt. Die Unionsanhänger insgesamt lehnen zu drei Vierteln, die im Osten zu zwei Dritteln eine Koalition mit der AfD ab. Kaum ein Fünftel, im Osten ein Viertel befürwortet sie. Im Juli sprachen sich 27 Prozent der sächsischen Wahlberechtigten für eine schwarz-blaue Koalition aus, bei 26 Prozent Wahlabsicht für die AfD. Vor dem Hintergrund, mit der AfD anzubandeln, wäre es für die CDU geradezu suizidal, zumindest der sichere Weg zu deren Juniorpartner. Die AfD-Klientel ist eine große Minderheit, aber weitgehend isoliert.
Wenn das Kräfteverhältnis so klar ist – woher dann die Nervosität, die sich etwa am Umgang mit der Meldung über einen angeblichen Parteiausschluss Hans-Georg Maaßens zeigte?
Die Nervosität in Sachen Maaßen hat nur mit der aktuellen Wahlsituation zu tun. Man hätte halt gern auch die paar Prozent rechtsorientierte Wechselwähler eingesammelt, um das Kopf-an-Kopf-Rennen im Land zu gewinnen und einen Propagandaerfolg der AfD zu vereiteln.
Maaßen hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer geraten, sich im Wahlkampf vom Adenauer-Haus zu distanzieren. Wie sollte Kretschmer damit umgehen?
Eine zu pointierte Distanzierung von der Bundespartei als Reaktion auf unwillkommene Einreden wäre sicher schädlich. Sie erschiene auch wenig glaubwürdig, röche nach Inszenierung eines der CSU nachgespielten „Mir san mir“. Die ist aber eine eigenständige Partei – und ging trotzdem im letzten Landtagswahlkampf mit ihrem Kollisionskurs gegenüber „Berlin“ baden.
Viele, etwa die Werte Union, sehen rechtspopulistische Politik à la AfD offenbar als eine Art konsequenteren Konservatismus. Was ist da dran?
Ja, manche Rechtskonservative halten die Rechtspopulisten nur quasi für Verwandte mit etwas schlechteren Manieren. Diese Sicht zeugt von einem Mangel an historischer Bildung. Neurechte Ideologen, die die AfD inspirieren, beziehen sich auf die „Konservative Revolution“ der Weimarer Republik, eine antidemokratische, präfaschistische Bewegung.
Warum sind bestimmte Teile des einstigen CDU-Milieus heute für eine Ideologie und Sprache empfänglich, die sich durch derartige Verachtung für die Institutionen auszeichnet?
Weil sie gesellschaftspolitisch in den letzten Jahrzehnten von Niederlage zu Niederlage geeilt sind im Streit um Abtreibung und Frauenquoten, Gesamtschule und Atomkraft, ratifizierte Gebiets- und Eigentumsverluste im Zuge der Wiedervereinigung, Wehrpflicht, Mindestlohn, Homo-Ehe und Einwanderung. Manche sind darüber verbittert und unterscheiden nicht mehr zwischen politischen Inhalten und dem Regelwerk der Demokratie, zwischen einer sich nun mal wandelnden Gesellschaft und dem Staat.
Die politische Klasse ist verhasst, auch von vielen, die selbst dazugehören. Weshalb?
Weil man nicht offener Antidemokrat sein will, sind die Eliten die identifizierbaren Sündenböcke, obwohl die nur Veränderungen abbilden und vollziehen. Die versteckte, bessere Elite gibt es nicht, auch wenn die meisten sich selbst und ihr Gesinnungsbiotop dafür halten. Diese Hybris und Verplumpung des politischen Denkens werden besonders im Internet gezüchtet, wo man unter sich ist. In der Wählerklientel der Union konnte so der alte, toxische Weimarer Rechtskonservativismus wieder erwachen, der vorher weitgehend kulturell isoliert, innerparteilich majorisiert, psychologisch entmutigt und somit politisch einigermaßen eingehegt war.
Weshalb verbietet sich eine Kooperation von CDU und AfD?
Weil schon das AfD-Grundsatzprogramm ein Zerrbild unserer Verfassungswirklichkeit als Quasi-Diktatur zeichnet, von einem „illegitimen Zustand“ spricht, den das Volk beenden müsse. Nicht von ungefähr spielt die Rhetorik von AfD-Politikern ja immer wieder mit dem Gedanken an Widerstand, Bürgerkrieg und Revolution, wenn es etwa heißt, man die AfD sei die „letzte evolutionäre Chance für unser Vaterland“. Die Abgrenzung zum Rechtsextremismus funktioniert so gut wie gar nicht. Ohne oder gegen den völkisch-nationalistischen Flügel der Partei geht nichts, und dies verschärft sich eher, als sich zu bessern.
Ist der Streit über den Umgang mit der AfD innerhalb der Union ein Ost-West-Konflikt?
ist Politologe und katholischer Publizist. Am 22. August ist der 55-Jährige abends zu Gast bei der Sachsen-Gala der taz in der Dresdener Motorenhalle.
In der Ost-CDU fehlen manche Erfahrungen und Entwicklungen, die im Westen in 70 Jahren liberaler Demokratie prägend wirken konnten. Und: Im Osten ist der Einfluss der Kirchen viel geringer, ein oft unterschätzter Faktor für die CDU. Dass eine christlich-ethisch grundierte Partei hier bei nur gut 20 Prozent Christenanteil in der Bevölkerung so stark werden konnte, war eine besonderen Umständen geschuldete Anomalie. Die West-CDU wurde 1990 im Osten geschätzt als Partei des Antikommunismus, der Wirtschaftskompetenz und der raschen Wiedervereinigung. Ihr geistiger Markenkern war zunächst nachrangig. Seit einigen Jahren wächst nun auseinander, was nicht zusammengehört. Auch im Westen, aber eben in anderen Proportionen.
Wie wird die CDU nach Angela Merkel aussehen?
Man darf die Prägekraft einer Person für eine ganze Partei nicht überschätzen, auch nicht bei so langer Führungszeit wie der Angela Merkels. In Zeiten volatiler Parteibindungen könnte schon ein Bruch im Habitus an der Spitze schneller zu Verlusten führen als sich kompensatorisch Gewinne einstellen. Vertrauen verliert man schneller, als man es aufbaut. Ich vermute: Mit Friedrich Merz läge die CDU jetzt um die 20 Prozent, nicht nur inhaltlicher Akzentverschiebungen wegen. Die CDU der Zukunft muss noch mehr als die der Vergangenheit aus der Mitte heraus regieren, nicht nur wegen der Koalitionspartner. Verlorenen Rechten nachzulaufen, würde nicht funktionieren. Es verkennt die Nachhaltigkeit rechtspopulistischer Verhetzung. Angela Merkels ruhige Sachlichkeit, ihr Zuhörenkönnen und Abwägen, ihre Empathie, ihr gelassener und schlagfertiger Umgang mit Anfeindungen, ihre auch mal humorvolle menschliche Souveränität sind hohe Maßstäbe.
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