Politik und Armut: „Leute wie wir werden immer am Rand bleiben“
Über Armut spricht im Wahlkampf kaum jemand. Was denken Menschen mit wenig Geld über Politik und wen wählen sie am Sonntag? Ein Besuch bei der Tafel.

Ahmet ist als Kind aus der Türkei gekommen, seit über 40 Jahren lebt er in Deutschland. Wie alle in diesem Text nennt er nur seinen Vornamen. Zur Zeit arbeitet er in einem 2€-Job. Weil er hier zur Tafel kommen kann, spart er sich zehn Euro die Woche. Wie er auf die Politik, auf die steigenden Preise blicke? Er zuckt die Schultern.
Ist halt die Wirtschaft, meint er. Die wichtigsten Themen sind für ihn zur Zeit die Ukraine und das Klima. Wählen würde er deshalb meistens die Grünen oder SPD. Nur einmal habe er CDU gewählt, in den 90ern, aber da hatte er eine Wette verloren. Zu konservativ, zu bürgerlich, meint der Mitte-50-Jährige.
Zur Martin Luther Kirche kommen Menschen wie Ahmet, die zu wenig haben, um sich Lebensmittel nur aus dem Supermarkt zu kaufen: Bürgergeld- und Grundsicherungsempfänger:innen, BAföG-Bezieher:innen oder Leute, die Wohngeld bekommen. Auch viele Geflüchtete aus der Ukraine nutzen das Angebot.
Soziale Sicherheit und Teilhabe sind kaum Thema
Alleine 5,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger:innen gibt es in Deutschland, doch sie hört und sieht man wenig. Während im Bundestagswahlkampf vor allem über Migration und innere Sicherheit diskutiert wird, kommen Themen wie soziale Sicherheit und Teilhabe kaum vor. Und das, obwohl die Verbraucherpreise laut dem Statistischen Bundesamt seit 2020 um rund 20 Prozentpunkte gestiegen sind. Zum Vergleich: Eine erwachsene Person erhält 2024 und 2025 563 Euro an Bürgergeld im Monat.
„Leute wie wir, die werden immer komplett am Rand bleiben“, meint Zosia. Mit so wenig Geld könne man einfach nicht am Leben teilnehmen, die Angst am Ende des Monats nicht mehr genug Geld zum Essen zu haben hinge wie ein Damoklesschwert über allem. Zusammen mit Marion, die sie bei der Tafel kennengelernt hat, wartet die 45-Jährige darauf, dass ihr Buchstabe augerufen wird. Sie selbst will die Linke wählen. Doch ob die was an der Gesamtsituation ändern kann? Alle seien gegeneinander und keiner habe eine Lösung, sagt Zosia: „Zu viele Männer, die nicht miteinander kommunizieren können“.
Marion, 62, will nicht sagen, wen sie wählt. Dass irgendjemand tatsächlich Lösungen für Armutsbetroffene hat, glaubt sie aber nicht. „Sie sagen immer sie wollen die Reichensteuer erhöhen, sollen sie doch mal machen“, sagt sie angriffslustig. Sie erinnert sich noch, wie viel Überwindung es sie gekostet hatte, das erste Mal zur Tafel zu kommen, wegen der Scham. Vor allem, weil sie doch immer gearbeitet hat – als Verkäuferin, dann als Tischlerin, nur den Computerkurs fand sie schwierig. Trotzdem weiß sie, dass sie Glück hat. Sie hat ein Netzwerk, eine Tochter, die mal aushelfen können. „Andere Leute haben das nicht“.
„Angst wird zur Währung“
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Eine Person läuft vorbei. Bei der Frage, wen sie wählt, bleibt sie kurz stehen: „Die Linke, macht für mich als Schwarze Person am meisten Sinn.“ Sie geht weiter. Dann kommen Michi und Miriam rein. Michi arbeitet in der Behindertenwerkstatt in der Nähe, seine Mitbewohnerin Miriam hat zuletzt im Sicherheitsservice gearbeitet. Beide wissen noch nicht, ob oder wen sie wählen, nur dass es nicht in die richtige Richtung geht. Gegen Drogen und Alkohol müsse was unternommen werden, und dass es so viele Obdachlose gibt, weil die Wohnungen so teuer sind.
Hermann will am Sonntag wählen gehen – die Linke. Wegen der sozialen Aspekte und weil sie kritisch seien gegen die Kriegstreiberei, wie er sagt. Die hohen Stimmenanteile für die AfD, glaubt er, sind nur ein Symptom einer Krankheit, die wesentlich tiefer reiche. Angst werde von den Rechten zur politischen Währung gemacht. „Wir müssen uns emotional und intellektuell von Angst emanzipieren“, glaubt Hermann. Sonst ist die Politik zwar weiterhin repräsentativ, aber eben nicht demokratisch.
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