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Polit-Kunst der Pakistanerin Bani AbidiAuf Karatschis Wegen

Die Pakistanerin Bani Abidi zeigt in ihren pseudo-dokumentarischen Videos den Irrsinn nationaler Identitäten. Sie kritisiert damit totalitäre Zustände auf der ganzen Welt.

Pari Wania, 7:42 pm, 22. August 2008, Ramadan, Karachi Foto: Bani Abidi/Kunsthaus Hamburg

HAMBURG taz | Welch ein Irrsinn! Da knackt ein junger Pakistani Nüsse mit der Stirn, will ins „Guinness-Buch der Rekorde“. Für seine Heimat soll er das tun, als Ausweis nationaler Identität; seine Fans haben ihn gedrängt. Ja, haben die Pakistaner nichts anderes, um sich zu definieren?

Genau das ist Frage, die die pakistanische Künstlerin Bani Abidi in ihren pseudodokumentarischen Videos stellt. Zu sehen sind sie im Kunsthaus Hamburg; es ist ihre erste große Einzelausstellung in Deutschland. Und Abidi weiß, wovon sie spricht: Ihre Eltern, indische Muslime, sind zur Staatsgründung ins islamische Pakistan gezogen; Abidi lernte Indien mit 21 Jahren kennen. Dort habe sie erstmals ihren Platz in der nordindischen Geschichte gefunden, sagt sie. Später, beim Kunststudium in Chicago, fand sie indische Freunde und begriff, wie systematisch die im Dauerkonflikt lebenden Länder ihren Leuten exklusive „nationale Identitäten“ einimpften, wie radikal teils auch der Nationalismus in der Diaspora war.

Das Video „Mangos“ zeigt das sehr klar; zwei Expats, eine Inderin und eine Pakistanerin, tauschen Mango-Erinnerungen aus, finden Parallelen und vehement verfochtene Unterschiede. Anderswo berichten pakistanische und indische Nachrichten über dasselbe Ereignis – eingefärbt wie einst die BRD- und DDR-Nachrichten über den Mauerbau, zu erleben noch heute im Lübecker Willy-Brandt-Haus.

Nur dass die deutsch-deutschen Sendungen authentisch sind und Abidis Videos fiktiv. Doch zwischen Realität und Fiktion wandelt Abidi gern. Das heißt nicht, dass sie Realität durch einen Kniff mal eben zur Kunst erhebt. Sie fokussiert vielmehr gezielt, was die Medien ignorieren – etwa die Menschen, die gelangweilt der Ankunft einer VIP harren, während Karatschis Straßen gesperrt sind und der Verkehr erstarrt.

Personenkult und Warterei

Für Abidi sind das Kindheitserinnerungen, alltäglich waren Personenkult und Warterei. Absurd die Tatsache, dass das Staatsoberhaupt das Leben derjenigen lähmte, die es zu regieren vorgab. Abidi inszeniert den Aufmarsch der gleichfalls wartenden Würdenträger mit derselben Ironie wie die lustlos winkenden Kinder – und Landsleute erfassen den Witz sofort. „Natürlich ziele ich in erster Linie auf das pakistanische Publikum“, sagt sie. Aber Pakistans Galerien und Museen fehle oft das Geld für Projektoren, sodass sie dort selten ausstellen könne.

Vielleicht ist das nicht der einzige Grund, aber in jedem Fall ist das tiefgestapelt: Abidis Kunst erschließt sich auch jenseits des pakistanischen Kontexts, sonst hätte sie kaum in London, Toronto, New York, auf der Documenta 13 ausgestellt. Denn Pakistan steht hier für totalitäre staatliche Praktiken, dient als Negativ-Ikone.

Wie, wenn Pakistan so kosmopolitsch wäre wie einst? Wenn christliche und hinduistische Minderheiten toleriert würden?

Dazu gehören auch ständige Attentate von Anhängern der urdusprachigen indischen Einwanderer und der afghanischen Paschtunen, die sich seit Jahrzehnten bekämpfen. Mit der Folge, dass sich die Bewohner der 18-Millionen-Einwohner-Stadt in ihren Wohnungen verschanzen und die Regierung Straßensperren errichtet.

„Security Barriers“ hat Abidi eine Serie digital bearbeiteter Fotos solcher Absperrungen genannt. Auf den kleinen, bereinigten „Video-Zeichnungen“ wirken sie wie Abziehbilder oder Baumarkt-Werbung – kontextfrei und zynisch abstrakt, wenn man bedenkt, wozu sie dienen. Abidi indes findet diese Industrie der Angst übertrieben: „Zum Glück wird die Reglementierung des öffentlichen Raums ständig durchbrochen: Irgendwer findet sich immer, der einen Tee auf dem Bürgersteig trinkt.“

Ein kosmopolitischer Traum

Bügeln, schminken, Zeitung lesen wird allerdings keiner auf Karatschis Wegen. Deswegen wirken Abidis Fotos von Menschen, die das tun, so fremd. Und was der Pakistaner an Namen und Uhrzeit erkennt, muss man dem Europäer erklären: Die – selbstverständlich gespielten – Szenen wurden in der Abenddämmerung des Ramadan fotografiert. Um diese Zeit sitzt die muslimische Mehrheitsgesellschaft beim Fastenbrechen zu Hause und isst.

Dann sind die Straßen leer, und Abidi fängt an zu träumen: Wie, wenn Pakistan so kosmopolitisch wäre wie einst? Wenn christliche und hinduistische Minderheiten toleriert würden und sich im öffentlichen Raum zu Hause fühlten?

Bani Abidi

Bani Abidi: Exercise in Redirecting Lines. Noch bis 30.10. im Kunsthaus Hamburg

Abermals hat Abidi emblematische Szenen geschaffen, die politisch sind, aber nicht flach agitatorisch. Denn Abidi spielt gern, ist ein Profi nicht nur des experimentellen Films, sondern auch des absurden Theaters, das einen gerade wegen seiner unaufdringlichen Freundlichkeit berührt.

Da geht es auch um Situationen, die jeder erleben kann, der etwa einen Stempel, eine Beglaubigung braucht. Dann muss er Schlange stehen, sich durchleuchten lassen – sinnentleerte Rituale in Abidis Video „The Distance From Here“. Das Ganze spielt auf irgendeinem Platz, keiner sieht die Entscheider. Denn auch die Beamten sind Teil der kafkaesken Maschinerie, die Bittsteller verurteilt zum Warten auf Godot.

Besonders gelungen ist der zentral platzierte Schlussakkord. Da hat Abidi Dokumente so fotografiert, dass die gestapelten Blätter zu fast zeichnerischen Linien verschwimmen. Ästhetische, fast monochrome Bilder sind es geworden – abstrakt und willkürlich wie jede Währung, sei es Geld oder ein Dokument. Wer ist also mehr wert: ein Mensch mit Papieren oder ohne? Für Abidi eine rhetorische Frage.

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