Polens neue Regierung: Die schwere Last des Donald Tusk
Der Sieg über die PiS-Populisten ist ein Hoffnungsschimmer für den liberalen Westen. Doch auf die neue Koalition in Warschau warten schwierige Aufgaben.
P olens neuer Ministerpräsident Donald Tusk wurde vom Portal Politico ganz oben auf die jährliche Rangliste der einflussreichsten Menschen in Europa gesetzt. Das Politico ist eins der derzeit wichtigsten Foren für internationale Politik. Grund für dieses Urteil war zweifellos der Sieg von Tusk gegen Jarosław Kaczyński bei den Parlamentswahlen. In Wirklichkeit geht es aber bei der Verleihung dieser „Goldmedaille“ um etwas ganz anderes.
Die polnischen Wahlen dienen heute in Europa als Hoffnungsschimmer in schwierigen Zeiten. Im Jahr 2024 werden die Bürgerinnen und Bürger in bis zu 70 Ländern der Erde an die Urnen gehen. Die düstere Prognose besteht, dass die Populisten vielerorts gewinnen werden. Der jüngste Sieg eines Populisten in den Niederlanden ist umso bemerkenswerter, als das Land als eine der Wiegen der Globalisierung und der Toleranz gilt.
In anderen Ländern wird die Rückkehr der Populisten durchaus ernst genommen. Das beste Beispiel ist die anhaltende Popularität Donald Trumps in den USA. Erstaunlicherweise tappen ihre Konkurrenten trotz der vergangenen Jahre offenbar noch immer im Nebel. Vor diesem Hintergrund scheint Tusk tatsächlich ein Politiker zu sein, der das gefunden hat, wonach viele noch suchen: eine wirksame Strategie, um Wahlen in einem Land zu gewinnen, in dem der Populismus an der Macht etabliert war.
Die These vom „mächtigsten Mann Europas“ ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn Tusk hat Kaczyński nicht allein besiegt, sondern mit Unterstützung einer ganzen Reihe anderer Parteien und Politiker. Die neue Regierung wird eine Koalition von den Konservativen aus der Polnischen Volkspartei bis zur progressiven Linken. Aktuell scheint sie zwar geeint, aber es besteht kein Mangel an Themen, an denen sie sich entzünden könnte. Ersten Unmut gab es bereits über die Frage von Religionsunterricht in den staatlichen Schulen.
ist Vorstandsmitglied der Stiftung Kultura Liberalna in Polen und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich Affective Societies, Freie Universität Berlin. Sie hat zwei Söhne und pendelt zwischen Berlin und Warschau.
ist Chefredakteur des polnischen Online-Wochenblatts Kultura Liberalna und Pop-Back-Fellow an der Universität Cambridge.
Auf juristischem Minenfeld
Problematisch ist auch, die PiS noch über eine Reihe von Institutionen verfügt, obschon die Regierung Tusk bereits vereidigt ist. Diese Woche verbreiteten die polnischen Medien Bilder von der Unterseite des polnischen Fernsehens, das von der neuen Regierung übernommen worden war. Es ging nicht ohne Polizeieinsätze und Proteste der Partei PiS vor dem Fernsehgebäude ab.
Kurz darauf wurde „Wiadomości“, die wichtigste Nachrichtensendung des polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in ein Instrument der Parteipropaganda umgewandelt worden war, aus dem Fernsehprogramm gestrichen. Der Aufbau starker und unabhängiger öffentlicher Medien liegt jedoch noch in weiter Ferne.
Zu allem Überfluss haben die PiS-Politiker ein wahres juristisches Minenfeld hinterlassen. Mit verschiedenen juristischen Tricks haben sie beschlossen, die Chancen auf grundlegende Reformen oder personelle Veränderungen im Staat zu behindern. Man ist versucht zu sagen, dass die Bezeichnung von Tusk als mächtigster Mann Europas während seiner ersten Regierungszeit zwischen 2007 und 2014 angemessener war. 2010 wurde dieser Politiker für seine Verdienste um die Förderung der europäischen Ideen mit dem Karlspreis ausgezeichnet.
Doch erst jetzt sehen wir, wie dringend der Westen politische Hoffnungen braucht. Darüber sind wir ganz und gar nicht glücklich. Wir stammen aus einer Generation, die den Westen als Inspiration und Vorbild ansah. Zumal wir wissen, dass die Übernahme der Exekutive nach der PiS eher der politisch schwierigste Moment in Tusks Biografie ist. Als würde man durch Schlamm waten. Millimeter für Millimeter wird die Entminung dieser legalen Minen erfolgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren