Pläne zur Reform des EU-Strommarkts: Preise sollen wieder sinken

Nicht nur beim Gas, auch beim Strom steigen die Kosten. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will nun die Preisbildung dafür in Europa reformieren.

Ein Strommast in Untersicht

Der Preisbildungsmechanismus sorgt derzeit für rasant steigende Strompreise Foto: Benoit Tessier/reuters

BRÜSSEL taz | Und sie bewegt sich doch: Nach langem Zögern hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für eine Reform des europäischen Strommarkts ausgesprochen. Die CDU-Politikerin kündigte eine „Notmaßnahme“ sowie eine „Strukturreform“ an. Erste Vorschläge werden beim Krisentreffen der EU-Energieminister am übernächsten Freitag erwartet, hieß es am Dienstag in Brüssel.

Eile ist nötig, denn nach dem Gas gehen die Preise nun auch beim Strom durch die Decke. Am Montag wurde die Megawattstunde zeitweise mit mehr als 1.000 Euro gehandelt, ein Rekord. Auf Unternehmen und Verbraucher dürften Tausende Euro Mehrkosten zukommen, zusätzlich zur stark gestiegenen Gasrechnung. Der Grund: Der Strompreis orientiert sich derzeit am Gas.

So will es das europäische Strommarktdesign. Es koppelt die Preise an den teuersten Energieträger, aktuell also Gas. Dahinter steht ein Prinzip, das Anhänger der Energiemarkt-Liberalisierung in der EU seit 20 Jahren hochhalten: die sogenannte Merit Order. Erst werden demnach die Kraftwerke mit den geringsten Grenzkosten genutzt und nach Bedarf teurere zugeschaltet. Das teuerste noch gebrauchte Kraftwerk setzt dann den Preis – und zwar aktuell sehr weit oben, sobald Gaskraftwerke laufen müssen.

Schon vor einem Jahr beschwerten sich Frankreich, Spanien und Portugal über steigende Strompreise und forderten Reformen. Doch Deutschland sagte Nein: „Wir haben ein Gas-, kein Stromproblem“, hieß es in Berlin. Auch die EU-Kommission bremste – und bestellte ein Gutachten bei der Energiebehörde Acer. Ergebnis: Der Markt funktioniert.

Wasserkraftwerke stehen still, AKWs fallen aus

Dieser Meinung ist man in Brüssel heute noch. Das Strommarktdesign habe sich bewährt und für relativ günstige Preise gesorgt, sagte ein Kommissionssprecher. Allerdings hätten sich nun die Rahmenbedingungen geändert. So stehen viele Wasserkraftwerke wegen anhaltender Dürre still. Außerdem fehlt Atomstrom aus Frankreich – dort ist fast jedes zweite AKW ausgefallen.

Die Lage ist so ernst, dass sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Wochenende überraschend für eine Reform des Strommarkts aussprach, nachdem er Änderungen zuvor monatelang blockiert hatte. Dies habe auch von der Leyen gezwungen, sich zu bewegen, vermuten EU-Beobachter in Brüssel.

Allerdings: Man könne keine Lösungen aus dem Hut zaubern, sagte der Kommissionssprecher. Ganz ähnlich klingt es in Berlin. “Wir machen hier Dinge, die würden normalerweise zwei Legislaturperioden dauern“, betonte Habeck. Es müsse ein Mechanismus entwickelt werden, der günstige Energie auch bis zum Verbraucher bringt.

Iberisches Modell

Gemeint ist offenbar Strom aus Sonne und Wind. Das aktuelle Marktdesign treibt auch bei den Erneuerbaren die Preise in die Höhe. Zudem spült es milliardenschwere Extraprofite in die Kassen der Kraftwerksbetreiber und Stromhändler. Eine mögliche Lösung wäre es, diese Übergewinne abzuschöpfen und den Gaspreis zu deckeln, um so auch den Strompreis in den Griff zu bekommen.

Für dieses Modell haben sich Spanien und Portugal entschieden. Die iberischen Länder subventionieren das Gas für die Stromerzeugung – und drücken so die Kosten der Gaskraftwerke. Folge: die Marktpreise sanken. Allerdings geht ein Teil des günstigen Stroms nun auch nach Frankreich.

Ähnliche Mitnahme-Effekte würde es wohl auch in Deutschland geben. Einfacher wäre es, die Stromkunden direkt durch geringere Nebenkosten zu entlasten. Dafür müsste man nicht in den Markt eingreifen. Doch damit würde die EU zu kurz springen, fürchtet Tschechiens Industrieminister Jozef Sikela. Er sagte: Der Energiemarkt habe aufgehört zu funktionieren, deshalb dürfe es auch keine Tabus mehr geben.

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