Pipeline-Lecks in der Ostsee: Streit um Sabotage-Ermittlungen
Dänemark, Schweden und Russland wollen die Lecks bei Nord Stream 1 und 2 untersuchen. Nun steigt das Risiko konkurrierender Ermittlungen.
![Blick aus dem Fenster eines Flugzeugs Blick aus dem Fenster eines Flugzeugs](https://taz.de/picture/5823452/14/31168345-1.jpg)
Damit wird der Weg für die Aufnahme von Ermittlungen zum Sabotagehergang frei. Schwedische und dänische Ermittlungsbehörden hatten diese schon Mitte der vergangenen Woche eingeleitet und angekündigt, in der jeweiligen Wirtschaftszone ihrer Länder mit den Untersuchungen über Umfang und Ursache der Schäden beginnen zu wollen, sobald dies gefahrlos möglich sein werde.
Federführend ist in Schweden der Verfassungsschutz SÄPO, in Dänemark die Kopenhagener Polizei. Die teilte am Freitag mit, die Intention sei „ein gemeinsames internationales Ermittlungsteam einzurichten, das sich unter anderem aus zuständigen Behörden aus Dänemark, Deutschland und Schweden zusammensetzen soll“. Das solle „möglichst zeitnah“ geschehen, da dann eine bessere Chance bestehe, beweiskräftige Spuren auf dem Meeresboden sichern zu können.
Und Russland? Da das Eigentum eines russischen Unternehmens, nämlich das von der vom Staat kontrollierten Gazprom AG, beschädigt ist und die Schäden an den Pipelines von Nord Stream 1 und 2 außerhalb staatlicher Hoheitszonen in internationalen Gewässern liegen, ist Russland nach internationalem Seerecht befugt, wegen der mutmaßlichen Sabotage dort Ermittlungen anzustellen. Hierauf wies am Freitag auch Russlands Botschafter in Dänemark, Vladimir Barbin hin und betonte, Moskau „insistiere darauf“, an solchen Untersuchungen beteiligt zu werden: Dazu habe man das Recht und die Pflicht.
Seerecht ermöglicht Russland nicht, die Ermittlungen zu untersagen
Dänemarks Außenminister Jeppe Kofod wies ein solches Ansinnen zurück: „Das tun wir bestimmt nicht.“ Natürlich werde man „der Sache auf den Grund gehen, aber das machen wir mit unseren Alliierten“. Würde man diese Linie beibehalten, könne das auf einen Streit darüber hinauslaufen, wer die Sabotage an den beiden Pipelines in der Ostsee untersuchen soll, meint Frederik Harhoff, emeritierter Professor für Völkerrecht an der Süddänischen Universität: Es bestehe das Risiko konkurrierender Ermittlungen und davon ausgelöster Konfrontationen.
Es gebe nämlich keine Norm im Seerecht, die es ermögliche, Russland in einem solchen Fall Ermittlungen vor Ort zu untersagen, betont er: Wenn man sich nicht auf ein Abkommen einige, wer Ermittlungen führe und wie diese angelegt werden „riskiert man Chaos“. Vermutlich müsse man an allen Lecks in 80 Metern Tiefe über eine Fläche, die mehreren Fußballfeldern entspreche, den Meeresboden sorgfältig nach Fragmenten und Sprengstoffspuren absuchen: „Da kann dann der eine die Beweissicherung für den anderen ruinieren.“ Eine Alternative zu nationalen Ermittlungen sei eine Untersuchung unter der Regie der Vereinten Nationen. Die hatte Russland am Freitag im UN-Sicherheitsrat vorgeschlagen, dafür aber keine Mehrheit bekommen. Worauf Moskau eigene Ermittlungen angekündigt hatte.
Im Völkerrecht gebe es keine Regeln, wer bei derart konkurrierenden Rechten den Vortritt habe. Schweden und Dänemark könnten das mit gleichem Recht für sich behaupten wie Russland, betont Harhoff. Anders wäre es nur, wenn ein Sabotageakt in Territorialgewässern passiert wäre. Im Gegensatz zu Schweden, das seine Territorialgewässer konsequent für die Pipelinetrasse sperrte, hatte Dänemark 2009 im Tausch gegen ein 20-jähriges Gaslieferabkommen mit Gazprom für ein Teilstück von Nordstream 1 östlich von Bornholm eine Trassenführung über sein Territorium erlaubt. Wer auch immer für den Anschlag verantwortlich ist, vermied einen Sabotageakt gerade an diesem Teil der Pipeline.
Vorwand der russischen Marine für verstärkte militärische Präsenz in der Ostsee
Die mögliche Entwicklung, die Harhoff nun befürchtet: Kriegsschiffe mehrerer Länder könnten mit ihrer Anwesenheit im fraglichen Meeresgebiet bald ihren Anspruch auf das Recht zur Vornahme eigener Sabotageermittlungen und Tauchoperationen demonstrieren. Das Risiko von Konfrontationen, das damit verbunden sein könnte, ist eines der Szenarien, vor denen das schwedische Militär schon vor 15 Jahren warnte und deshalb für eine Nichtgenehmigung der Pipeline plädiert hatte.
Der Bau und noch mehr der spätere Betrieb der Pipeline würden der russischen Marine einen Vorwand für die verstärkte militärische Präsenz in der Ostsee geben, warnte ein Papier des schwedischen Verteidigungsforschungsinstituts FOI über die „Sicherheitsauswirkungen für das Nord Stream-Projekt“, die 2008 für das EU-Parlament erstellt wurde.
Und weiter: Noch folgenreicher könne ein tatsächlicher Sabotageakt werden. Ein Risiko, das der Rapport im Hinblick auf den damaligen Tschetschenienkonflikt und künftige globale Unwägbarkeiten angesichts eines Betriebs der Pipeline über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten nicht ausschließen wollte. Moskau könne in so einem Fall argumentieren, die Anlage mit Russland genehmen Mitteln militärisch gegen äußere Angriffe schützen zu müssen. Damit könnten, so heißt es in der Darstellung, „offensive Militärübungen“ verbunden sein: „Normalerweise ist das zu bewältigen. Aber es ist schwierig, Entwicklungen in Krisenzeiten vorherzusehen.“
Was solche Szenarien vorwegnahmen und Schweden jetzt möglicherweise zu erwarten habe, sei eine längerfristige Anwesenheit russischer Marineeinheiten unmittelbar vor seiner Südküste, meint Mark Klamberg, Völkerrechtsprofessor an der Universität Stockholm, gegenüber der Tageszeitung Aftonbladet: zuerst im Zuge von Untersuchungen der Anschläge, dann für eine mögliche Reparatur der Pipelines und schließlich für deren Schutz vor erneuten Sabotagehandlungen.
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