piwik no script img

Pilotprojekt GrundeinkommenNeustart von Grund auf

Nach zwei Jahren im Projekt Grundeinkommen hat die Industriekauffrau Elisabeth Ragusa ein Studium begonnen – und kann sogar Geld zurücklegen.

Anlehnen und durchstarten: Elisabeth Ragusa geht nochmal zur Uni Foto: Andree Kaiser

Sie hat ihr Leben nochmal gründlich geändert. Elisabeth Ragusa geht jetzt zur Uni. Geradezu „euphorisch“ war sie in den ersten Tagen, sagt sie. „Endlich habe ich mich getraut, nun fühle ich mich am richtigen Platz.“ Seit Anfang April studiert Ragusa Lehramt für Grundschulen mit den Fächern Deutsch und Naturkunde an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Die Neustudentin ist eine der Teil­neh­me­r:in­nen des Pilotprojekts Grundeinkommen. Für drei Jahre erhalten 122 Leute 1.200 Euro pro Monat steuerfrei geschenkt, zusätzlich zu ihren sonstigen Einnahmen. Mit diesem Sozialexperiment, das vor zwei Jahren begann, wollen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen erforschen, wie sich Menschen verhalten, wenn ihre materiellen Grundbedürfnisse gedeckt sind. Machen sie einfach weiter wie vorher und legen das Geld zurück, hören sie auf zu arbeiten, geben sie ihrem Leben eine neue Richtung? Die Antworten sollen die seit 20 Jahren laufende Debatte über den Sinn eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bun­des­bür­ge­r:in­nen bereichern. Die taz fragt bei einigen Teil­neh­me­r:in­nen regelmäßig nach, welche Wirkung der Zuschuss bei ihnen auslöst.

Nahezu täglich fährt Ragusa nun in die Stadt. Sie wohnt im baden-württembergischen Ort Teningen, ein paar Kilometer nördlich von Freiburg. Bis vor Kurzem hat die 28-Jährige als Industriekauffrau in einer Druckerei gearbeitet, die Etiketten zum Beispiel für Weinflaschen herstellt. Diese Tätigkeit war nicht schlecht, brachte auch ein leidliches Gehalt, und doch fühlte sie sich nicht ganz richtig an. „Das soll ich jetzt noch 30 Jahre machen?“, fragte sie sich.

Schon nach dem Abitur vor zehn Jahren hat Ragusa daran gedacht, zu studieren. Aber bei der Berufsberatung sei sie „abgespeist“ worden. Und mit finanzieller Unterstützung der Eltern fürs Studium konnte sie damals nicht rechnen. So wählte sie die sichere Variante der Lehre zur Industriekauffrau.

Ihre Freunde waren erstaunt

Und ohne das Grundeinkommen hätte sie den Wechsel auch jetzt nicht gewagt, sagt Ragusa. Erst die sicheren 1.200 Euro gaben ihr den Anstoß. Zusätzlich erhält sie gut 1.000 Euro Bafög und verdient 520 Euro mit einem Minijob. Obwohl sie die Hälfte des Grundeinkommens und des Bafögs zurückgelegt, bleiben ihr monatlich 1.600 Euro zum Leben, womit sie über die Runden kommt. Ihr Ziel ist es, auf diese Art auch nach dem Ende des Pilotprojekts finanziell noch ein paar Jahre durchzuhalten und das Studium möglichst schnell abzuschließen.

„Meine Freunde waren erstaunt, dass ich komplett neu starte“, sagt die Studentin. „Und mich haben all die Eindrücke umgehauen“ – die neuen Leute, die ständige Kopfarbeit, die Vorlesungen und Seminare. „Ich habe keine Ahnung von Physik“, gibt sie zu. Biologie und Chemie sind ebenfalls nicht einfach. „Aber ich liebe es, Neues zu lernen.“

Das ist eines der Argumente, die zugunsten des bedingungslosen Grundeinkommens als Alternative zum bisherigen Sozialsystems immer wieder genannt werden. Die Bürgerinnen und Bürger bekämen dann die Möglichkeit, sich frei von materiellen Sorgen weiterzuentwickeln und weiterzubilden, was nicht nur der persönlichen Lebenszufriedenheit, sondern der Gesellschaft insgesamt diene. Zufriedene Beschäftigte seien produktiver. Außerdem könne man davon ausgehen, dass sie eher bereit seien, auch in höherem Alter noch zu arbeiten – ein Vorteil in Zeiten des Arbeitskräftemangels.

Solche Gesichtspunkte mögen eine Rolle spielen für die überwiegende, grundsätzliche Zustimmung zum Grundeinkommen. Erst kürzlich haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und die Universität Konstanz neue Umfrageergebnisse veröffentlicht. Demnach unterstützen 53 Prozent der wahlberechtigten Bür­ge­r:in­nen die Idee, während 36 Prozent sie ablehnen. Ähnliche Ergebnisse wurden schon vor Jahren ermittelt. Nicht über­raschend waren in der Umfrage eher diejenigen dafür, die sich zum Beispiel wegen geringer Einkommen ausrechnen können, von einem Grundeinkommen zu profitieren. Leute mit höheren Einkommen, die das alles in Form steigender Steuern bezahlen müssten, sehen diese Sozialreform dagegen überwiegend kritisch.

Existenzsorgen kann sie sich sparen

Mich haben all die Eindrücke umgehauen, die neuen Leute, die ständige Kopfarbeit

Elisabeth Ragusa, Bezieherin des Grundeinkommens

Über die glückliche Fügung zusätzlichen Geldes ist auch Sarah Bäcker, eine weitere Teilnehmerin des Pilotprojektes, voll des Lobes. Zusammen mit ihrer 13 Monate alten Tochter Alva testet sie gerade einen ihnen bisher unbekannten Spielplatz in Berlin-Kreuzberg. Kürzlich sind sie in der Nähe mit Alvas Vater in einer Wohnung zusammengezogen.

Neben den 1.200 Euro des Forschungsprojektes erhält Bäcker 620 Euro Eltern- und 250 Euro Kindergeld. Mit der Summe lässt es sich leben. „Das Grundeinkommen hat mir in dieser Zeit die Existenzsorgen erspart“, sagt Bäcker. Unter normalen Umständen hätte sie jetzt wohl aufstockendes Bürgergeld und Wohngeld beantragen müssen.

Nach anderthalb Jahren Elternzeit will die Architektin im kommenden September wieder anfangen zu arbeiten – zunächst mit 24 Stunden wöchentlich bei ihrem alten Arbeitgeber. Auch dabei verschafft ihr das Grundeinkommen, das noch bis Mitte 2024 läuft, finanziellen Spielraum und Möglichkeiten für mehr Selbstbestimmung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Warum braucht die Studentin ein Grundeinkommen. Das Geld spart sie fast zu 100%. Mit 2700 Netto gehört sie als Single zu den Top 30% in der Einkommenspyramide. Was ist das für ein Experiment? Wenn meine Frau und ich zusammen für unsere 4-köpfige Familie 5400 Euro Netto hätten für jeweils 10 Stunden Arbeit im Monat, dann würden wir wahrscheinlich auch nicht mehr Malochen gehen. Aber wer macht dann die Arbeit, die man nicht 30 Jahre machen möchte?

  • Selbstverständlich ist die Empfänger Perspektive positiv - insbesondere bei diesen Einkünften.

  • In den Beispielen oben wird BGE nur auf kurze Zeit gezahlt, die der Klient aus Eigeninteresse sinnvoll nutzt. Die Hängematten-Gefahr sehe ich bei dauerhaftem BGE.

    "Leute mit höheren Einkommen, die das alles in Form steigender Steuern bezahlen müssten, sehen diese Sozialreform dagegen überwiegend kritisch." Zu denen gehöre ich auch.

    Man sollte die Einkünfte einschließlich BGE mal durchdeklinieren von null bis 300 000€ Einnahmen aus Arbeit und Kapitalerträgen. Hierbei muss vor allem die Krankenkasse (!) und das Wohngeld oder Subvention der Sozialwohnung mit eingerechnet werden. Wer zahlt wie viel drauf? Wer bekommt mehr Geld? Ab wie viel Lohn+BGE lohnt es sich nicht mehr, durch z.B. Überstunden oder Leistungs-Prämien ein höheres Arbeitseinkommen zu erzielen? Gibt es deshalb eine Teilzeitwelle und ein Mangel an geleisteten Stunden in manchen Branchen?



    Gibt es schon saubere Berechnungsmodelle? oder wird vielleicht die Krankenkasse vergessen oder der Anspruch auf eine Sozialwohnung aufrechterhalten?



    die derzeitige Krankenkasse ist graduell bereits ein BGE. Für eine überschaubare Schutzgebühr volle Leistung, nur wenn man ordentlich verdient, muss ein höherer Kostendeckungsbeitrag oder für die Armen mit bezahlt werden.



    BGE bedeutet IMHO, dass eine (einfache) Grundversorgung der Krankenkasse im BGE enthalten ist. Extras, die die Unterschiede zwischen den Gesetzlichen K. ausmachen, müssen dann ebenso wie die Privatleistungen zusätzlich bezahlt werden. Privat versicherte zahlen weniger Beträge, da jetzt die PK nur noch die Differenz zwischen Privatleistung und Grundversorgung zahlen muss. Oder man tritt ganz aus der PK aus und begnügt sich auch als Reicher mit der Grundversorgung. Wenn es lebensgefährlich wird, kann man ja immer noch aus eigener Tasche die Extras zahlen.

    • @Christoph Strebel:

      Das nachfolgende Generationen schon jetzt nicht mehr bereit sind für ihre Arbeit und ihren Lohn zu Leben, zeigen doch bereits jüngste Entwicklungen. Der Diskurs über die 4-Tage-Woche oder dass immer mehr schon jetzt nur noch in Teilzeit arbeiten möchten, Frugalismus..

      Ihre Argumentation, die Krankenkasse sei bereits BGE kann ich wirklich nicht nachvollziehen. Ersteinmal nennt sich soetwas Solidarität und hat mit BGE herzlich wenig zu tun. Und dann ist es doch so, dass wirklich gut Verdienende durch die Einkommenshöchstgrenze gut geschützt werden, vor zu viel Beitragszahlung, nicht wahr..

    • @Christoph Strebel:

      Zur Finanzierung gab es mal eine ziemlich hochkarätige Arbeitsgruppe in der BGE-Initiative Rhein-Main, Arbeitsberichte hier: bge-rheinmain.org/material/finanzierung

      Was die Hängematten-Gefahr angeht: Es ist klar, dass die Höhe des BGE immer wieder angepasst werden muss. Im Idealfall kann sie steigen, weil die Produktivität steigt und andere Kosten (Krankheit, Kriminalität, Umweltzerstörung, Krieg...) sinken.



      Wenn diese Rechnung nicht aufgeht, weil die Leute "faul" und unproduktiv werden, dann muss das BGE auch wieder sinken, so dass "die Hängematte" eben ungemütlicher wird. Es gibt Vorschläge, dass das BGE an das BIP gekoppelt wird, ich halte es für sinnvoller, in regelmäßigen Abständen eine Volksabstimmung über seine Höhe zu machen.

      Die Gesundheitsversorgung sollte m.E. einfach steuerfinanziert sein. Aber eigentlich ist die Frage, wie man das organisiert, unabhängig vom BGE.

  • Das Problem an dem Projekt ist, dass es nicht repräsentativ ist. Bereits bei der Beantragung musste man angeben, was man wohl mit dem Geld machen würde. Ich habe beispielsweise angegeben, dass ich es direkt zum Kauf zusätzlicher Aktien anlegen würde. Erst nach der Bewerbung habe ich erfahren, dass es bestimmte Gehaltsgrenzen gibt, die in meinem Fall überschritten sind. Angesichts einer solchen Ausschreibung ist es nicht verwunderlich, dass vermeintliche Erfolgsgeschichten geschrieben werden.

    Fraglich ist allerdings, ob es sich hierbei um eine Erfolgsgeschichte handelt. Frau Regusa hätte auch ohne das Projekt die Umschulung machen können. Ich frage mich allerdings, wie sie neben dem "Grundeinkommen" auch noch einen so hohen Bafög-Betrag erhalten kann.

    • @DiMa:

      Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dass man bei der Beantragung angeben musste, was man mit dem Geld machen würde. Verwechseln Sie das nicht mit den laufenden Verlosungen von www.mein-grundeinkommen.de/ ?

      Das mit dem oberen und unteren Gehaltsgrenzen (mein Einkommen war zu niedrig) hat ja den Sinn, dass es bereits eine Menge Projekte gibt und gab, die bedingungslose Geldtransfers an ärmere Leute untersuch(t)en, von daher haben die Macher sich dafür entschieden, sich mal mit der Wirkung auf die Mittelschicht zu befassen.



      Finde ich nachvollziehbar, auch wenn ich selbst dadurch keine Chance hatte, ausgelost zu werden.



      (Und natürlich haben sie das vorher nicht gesagt, damit wir keine falschen Angaben zu unserem Einkommen machten, um so ein 3-jähriges BGE zu bekommen.)

      • @Eric Manneschmidt:

        Es mag sein, dass es sich um zwei verschiedene Projekte handelt und ich beides verwechsle.

        Ungeachtet dessen wird im vorliegenden Projekt eine Auswahl bzw. Vorauswahl getroffen: "die sich für die wissenschaftlichen Fragestellungen am besten eignet."

        In diesem Zusammenhang ist aufgefallen, dass das Projekt darauf hinweist, dass Sozialleistungen wegfallen können und verweist dabei ausdrücklich auf das Bafög (siehe www.pilotprojekt-g...kommen.de/studie1).

  • Wird nicht immer von den Befürwortern des Grundeinkommens argumentiert, dass die Finanzierung auch dadurch gewährleistet wird, dass Verwaltungskosten eingespart werden und andere Hilfen wegfallen? Dann sind die Fallbeispiele doch gänzlich ungeeignet das Projekt zu stützen, da beide Personen zusätzlich 870 bzw. 1.000 € als staatliche Zuwendung bekommen.

    • @unbedeutend:

      Naja, das Bafög würde das BGE wohl ersetzen. Eltern- und Kindergeld zwar auch, aber dafür würde das Kind ja auch ein BGE erhalten.



      Sinnvollerweise (aus meiner Sicht) ein volles BGE. Es gibt allerdings auch viele BGE-Befürworter, die meinen für Kinder solle es weniger Geld geben. Ich hab nie so recht verstanden, warum.

  • Hannes Koch , Autor des Artikels, Freier Autor
    Nach zwei Jahren im Projekt Grundeinkommen hat die Industriekauffrau Elisabeth Ragusa ein Studium begonnen – und kann sogar Geld zurücklegen. [cms-article=5941546]