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Pflegereform kommtEin bisschen mehr als nur Applaus

Pflegeberufe sollen attraktiver, Heimplätze günstiger werden. Doch Gewerkschaften kritisieren das Gesetz. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Viel zu häufig mussten sie protestieren: Pfle­ge­r*in­nen in Berlin Foto: M. Golejewski/adora press

Bislang werden viele der rund 1,2 Millionen Pflegekräfte in Deutschland sehr unterschiedlich bezahlt. Ihre Entlohnung ist oft schlecht, die Arbeit hart. In der Folge fehlen im ganzen Land Fachkräfte, zeitgleich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen aber immer weiter an. Die Bundesregierung will den Beruf nun attraktiver machen und hat am Mittwoch Gesetzespläne für eine Pflegereform auf den Weg gebracht. Das Vorhaben hat zwei Ziele: Pflegekräfte sollen mehr Lohn erhalten, außerdem sollen Menschen in Heimen weniger bezahlen müssen.

Aber was bringt die Reform den Pflegebedürftigen wirklich?

Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Geplant ist ein Zuschlag auf die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung: Im ersten Jahr bekommen Heim­be­woh­ne­r 5 Prozent der Pflegekosten erlassen, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und anschließend 70 Prozent. Profitieren könnten zu pflegende Menschen außerdem von einem einheitlichen Personalschlüssel, der in Pflegeheimen gelten soll.

Was sagen die Kritiker?

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz stellt den finanziellen Nutzen für die Heimbewohner in Frage. Demnach kostet die Pflege in den Einrichtungen im Durchschnitt 831 Euro im Monat. Das sei aber nur ein Teil der tatsächlichen Aufwendungen. Denn etwa für Unterkunft und Verpflegung müssen die Bewohner auch aufkommen, hier sieht das Gesetz keine Entlastungen für Heimbewohner vor. Die Preise der Heime sind je nach Anbieter und Ausstattung sehr unterschiedlich.

Zusammengenommen kommen mehr als 2.000 Euro monatlich schnell zusammen. Deshalb werfen Patientenschützer Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Mogelpackung vor. Der Zuschlag werde nicht ausreichen, um die durch steigende Löhne verursachten Mehrkosten auszugleichen, kritisieren sie außerdem. Schon im zweiten Jahr müssten die Bewohner 100 Euro mehr monatlich selbst bezahlen.

Werden Pflegekräfte künftig besser bezahlt?

Das Hauptanliegen der Reform ist eine bessere Bezahlung des Pflegepersonals. Einen bundesweiten Tarifvertrag gibt es nicht. Ein Anlauf dazu ist am Widerstand der Caritas gescheitert, die einer der größten Träger von Heimen ist. Mehr als jedes zweite Heim wird von gemeinnützigen Trägern betrieben. Auf private Unternehmen entfallen nach Angaben des Statistischen Bundesamts 43 Prozent. Die Reform schreibt nun vor, dass die Pflegekräfte nach Tarif oder nach den kirchenrechtlichen Regeln bezahlt werden müssen. Nichttarifgebundenen Betrieben werden die höheren Löhne bis zu einem Deckel ausgeglichen.

Umstritten ist der Maßstab für den regionalen Tariflohn. Die Gewerkschaft Verdi befürchtet, dass Scheingewerkschaften Minilöhne aushandeln, die dann das Tarifniveau bilden. Spahn geht davon aus, dass der Fachkräftemangel den Beschäftigten zu anhaltenden Lohnsteigerungen verhilft.

Was kostet die Reform und wie wird sie finanziert?

Die Bundesregierung rechnet mit Mehrkosten von 1,4 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Eine Milliarde Euro will Spahn als Bundeszuschuss in die Pflegekasse geben. Weitere 400 Millionen Euro bringt eine Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung für Kinderlose. Er steigt von derzeit 3,3 Prozent auf 3,4 Prozent. Die Krankenkassen hegen allerdings Zweifel an der Rechnung des Ministers. „Der vorgesehene Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung fällt viel zu gering aus“, befürchtet AOK-Chef Martin Litsch. Schon in diesem Jahr erwartet er ein Defizit von einer Milliarde Euro. 2023 seien dann die Reserven der Pflegekasse aufgebraucht.

Werden nun wirklich Kinderlose für die Pflege zu Kasse gebeten?

Schon jetzt bezahlen Kinderlose mehr Beitrag für die Pflegeversicherung. Auch in den anderen Sozialversicherungen werden sie schlechter gestellt als Eltern. Sie finanzieren bei der Rente die Ansprüche aus Erziehungszeiten und in der Krankenversicherung die kostenlose Mitversicherung von Kindern und Ehepartnern mit. Damit soll der finanzielle Nachteil der Eltern durch das Großziehen von Kindern ausgeglichen werden.

Werden private Pflegeanbieter mit der Reform nun aus dem Geschäft verdrängt?

Diese These vertritt der Arbeitgeberverband der privaten Heimanbieter. Die geforderte Tariftreue riskiere zusammen mit Vorgaben beim Personaleinsatz und bei den Preisen die Existenz der Unternehmen. Der Verband beziffert den Durchschnittslohn für Fachkräfte auf 3.350 Euro und will gegen die Reform klagen.

Ist das Finanzierungsproblem der Pflege damit langfristig gelöst?

Das wird kaum der Fall sein. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft voraussichtlich weiter an. Das Statistische Bundesamt verzeichnete Ende 2019 insgesamt 4,13 Millionen Pflegebedürftige. Gegenüber der letzten Erhebung aus dem Jahr 2017 war das ein Zuwachs um 20,9 Prozent. Der größte Teil der Betroffenen lebt weiter in den eigenen vier Wänden. 80 Prozent der Pflege findet zu Hause statt. In Heimen lebten Ende 2019 818.000 Pflegebedürftige. Bei einem weiteren Zuwachs werden auch die finanziellen Probleme der Pflegeversicherung wieder in den Fokus rücken.

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2 Kommentare

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  • Müsste man den Kinderlosen, wenn man sie für ihren mangelnden reproduktiven Beitrag zur PV zusätzlich zur Kasse bittet, nicht konsequenterweise auch einen Klimabonus für die von ihnen vermiedenen zukünftigen Emittent*innen auszahlen?

  • "Damit soll der finanzielle Nachteil der Eltern durch das Großziehen von Kindern ausgeglichen werden."

    Die Kinderlosen haben aber auch Herzens-Hobbies, die Geld kosten. Warum werden die nicht auch finanziert von anderen?

    Nebenbei bemerkt gibt es erhebliche mehr Pflegebedürftige zu Hause als in Heimen. Und für die hat die Pflegereform nichts übrig. Geplant war sogar, dass die Leistungen zur flexiblen Verhinderungspflege - der letzte Rettungsanker von Pflegenden wenn sie von 24x7 Pflege ohne Urlaub auf dem Zahnfleisch gehen - reduziert werden. Kam das nun eigentlich? Es wurde im Artikel und auch sonst nicht erwähnt.