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Petition der WocheKinderlos ist ungleich kinderlos

Für Ivonne Urban ist es ein Unterschied, ob man gewollt oder ungewollt kinderlos ist. Und der soll auch im Sozialgesetzbuch stehen.

Ivonne Urban will die Interessen von ungewollt Kinderlosen in der Öffentlichkeit thematisieren Foto: Paula Troxler

Kein Minister sorgt zur Zeit für so viel Diskussion wie Gesundheitsminister Jens Spahn. So auch beim Thema Pflegeversicherung und der geplanten Mehrbelastung für Kinderlose. Um 0,1 Prozentpunkte soll der Beitrag für Kinderlose steigen, in vielen Medien wie auch auf Social Media wurde das kommentiert. Besonders im Fokus: Ungewollt Kinderlose.

Auch Ivonne Urban ist ungewollt kinderlos und wünscht sich, dass seelische Belastungen der Betroffenen gesellschaftlich wahrgenommen werden: „Wenn nur von Kinderlosen gesprochen wird, wächst der Druck auf diejenigen, die eigentlich Kinder kriegen wollen.“ Deshalb hat die 41-jährige Leipzigerin Anfang dieser Woche eine Petition gestartet: „Pflegebeitrag für Kinderlose – Differenzierung ‚ungewollt kinderlos‘ und ‚kinderlos‘ im Sozialgesetzbuch“.

Seit Tagen steht sie früher auf und setzt sich auch nach der Arbeit als Bauingenieurin an den PC, um auf Instagram für ihre Petition zu werben und mit Nut­ze­r:in­nen zu diskutieren. Bis Freitag haben 140 Menschen die Petition unterschrieben.

Die Unterscheidung zwischen „kinderlos“ und „ungewollt kinderlos“ ist für Ivonne Urban ein Unterschied, den sie schriftlich haben möchte: „Es ist okay, wenn man keine Kinder will. Aber ungewollt Kinderlose wollen aktiv schwanger werden. Das sollte angesprochen werden.“ Weil das oft nicht der Fall ist, fühlen sich Urban und andere ungewollt Kinderlose stigmatisiert: „Man fühlt sich nur von den Betroffenen, die die gleichen Schicksale erlebt haben, verstanden.

„Wir gehen mit dem Thema Tod und Trauer nicht richtig um“

taz am wochenende

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Urban selbst versucht seit ihrem 22. Lebensjahr Kinder zu bekommen. Mit 38 wurde sie mit Zwillingen schwanger. Sie starben im vierten Monat: „Das war ein großer Wendepunkt in meinem Leben“, sagt Urban. Sie versteht sich als Sternenmutter, die Kinder als Sternenkinder – Kinder, die vor, während oder früh nach der Geburt starben.

Ivonne Urban erzählt, dass sie oft Stummheit begegnete, wenn sie davon erzählte: „Oft wussten meine Gesprächspartner nicht, was sie sagen sollten. Das hat mich wütend gemacht. Bis ich verstanden habe, dass da eine Hilflosigkeit ist. Wir gehen mit dem Thema Tod und Trauer nicht so richtig um in der Gesellschaft.“

Deshalb spricht sie jetzt offensiver darüber: „Wenn mich jemand fragt, ob ich Kinder habe, antworte ich, dass ich Sternenmama bin. Dass das okay ist und ich mich gerne mit dem Thema Tod und Trauer beschäftige, weil es wichtig ist, dass wir das in unser Leben integrieren.“ Urban machte damit gute Erfahrungen und erhofft sich von der Petition, dass sie die Anerkennung von ungewollt Kinderlosen erhöht. Was sie explizit nicht möchte, ist eine Änderung des Pflegebeitrags.

Auf ihre Petition reagierten viele verletzend, sagt Ivonne Urban: „Eine Person aus dem näheren Umfeld ist der Meinung, dass ich das nicht medial diskutieren sollte, sondern in internen Gruppen.“ Dabei engagiert sich Urban bereits in zwei Selbsthilfegruppen, hört zu, tröstet und spricht Mut zu. „Dass diese Person so reagiert, bedeutet für mich: Die Betroffenen sollen unter sich bleiben und die Öffentlichkeit damit nicht belasten.“

Immer wieder höre sie auch von anderen Kinderlosen, dass sie verletzende Kommentare erreichen: „Selbst wenn das Gesetz nicht geändert wird, habe ich vielleicht trotzdem die Öffentlichkeit erreicht“, sagt Urban.

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15 Kommentare

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  • Ich verstehe den Ansatz und die Gedanken von Frau Urban gut, auch wenn ich sie nicht alle teile.



    Sie hat aber recht: kinderlos sein ist als Frau in einer bestimmten Zeitspanne leidernun mal kein privates Thema! Man wird sehr viel darauf angesprochen, mit konfrontiert etc. Und manchmal steht eben keine Entscheidung dahinter sondern eine regelrecht komplexe leidensgeschichte. Das ist kaum jemandem bewusst und kann sehr sehr belastend.



    Ist es nicht verständlich, dass für Personen, die dies durchleben/durchlebt haben ein höherer Beitrag wie ein Schlag ins Gesicht ist?



    Man könnte ja auch fordern: höhere Beiträge für Menschen deren Eltern tot sind. Die haben ja auch mehr Zeit usw. Arbeiten zu gehen. Ob nun gewollt oder ungewollt kinderlos: ich finde es den falschen Punkt um mehr Geld zu kassieren!

    Und ja: als Eltern von toten Kindern ist es manchmal gut zu merken, dass es sie gab, dass sie nicht nicht zählen nur weil sie nicht irgendwann in die Rente einzahlen und einen"Beitrag" leisten. Daher: Danke für's ansprechen Frau Urban!

    • @IkM:

      Ich finde die Trennung in gewollt und ungewollt grundfalsch. Vor langer Zeit hatte eine Freundin zwei Abtreibungen und später wollte sie mit ihrem Partner unbedingt ein Kind. Beide hatten darunter gelitten, dass es nicht klappte. Ist diese Frau nun gewollt oder ungewollt kinderlos - schließlich hatte sie ja schon zwei mal eine Chance, ein Kind zu bekommen?

  • Es geht hier nicht um Gerechtigkeit im hohen moralischen Sinn sondern allein um finanzielle Gleichstellung bei unterschiedlichen Lasten. Wer Kinder versorgt, hat hohe Ausgaben, wer keine Kinder versorgt, hat mindestens die Möglichkeit zu einem höheren Einkommen und Lebensstandard (auch der rein monetär gemessen). Wer keine Kinder versorgt und nicht arbeitet und in die Sozialversicherung einzahlt, tut das aus freier Entscheidung und möchte im Alter trotzdem versorgt sein. Der ohnehin sehr kleine Ausgleich in die Gemeinschaftskasse scheint mir da mehr als angemessen.

    • @Axel Berger:

      Auch kinderlose zahlen bereits über höhere Steuern und Abgaben für die Kinder anderer mit.



      Egal ob die Eltern selbst irgendetwas beitragen oder ob die Kinder jeweils etwas beitragen werden.



      Und das ist auch völlig in Ordnung so. Die Lasten sind bereits angemessen verteilt. Man kann nicht erwarten, dass die Kosten für eine Lebensentscheidung komplett auf die Gemeinschaft aufgeteilt werden und man mit jeder anderen Lebensentscheidung finanziell gleichgestellt wird.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Potamopyrgus:

        Was für höhere Steuer meinen sie? Den Kinderfreibetrag? Der ist ein Witz, damit lässt sich kein Kind ernähren, einkleiden und ausbilden.



        Sie haben 15 T€, ein Kind hat mehr Aufwand für das Existenzminimum.



        Also bezahle ich schon ihre Steuern mit.

  • Dazu fällt mir eigentlich nix mehr ein.

    Mal abgesehen davon, dass das eine urprivate, intime Entscheidung ist, für die sich niemand irgendwie erklären müssen sollte. Wer überprüft oder unterscheidet denn, wann was gewollt oder ungewollt ist? Wie oft muss mans denn nachweisbar ehrlich probiert haben, bevor die Kriterien erfüllt sind? Wer kontrolliert die Angaben?

    Wie siehts denn mit denen aus, die zwar gern Kinder hätten, aber nicht den passenden Partner dafür finden oder sich in einer sozialen Notlage befinden und deshalb keine Kinder haben? Was ist mit unehelichen Kindern bzw. (noch) nicht anerkannten Elternschaften?

    Und wer würde denn, falls finanzielle oder steuerliche Nachteile drohen, diese Frage aufrichtig beantworten?

    Für mich ist das ein absolut gruselig autoritätrer Ansatz, der aus meiner Sicht völlig zurecht harten Gegenwind bekommt.

    Macht die Gesellschaft kinderfreundlicher, schafft die Kita Gebühren ab, stellt Eltern mehr Hilfen zur Verfügung, etc. Dann braucht das Thema auch keinen Einzug in die Pflegeversicherung halten.

  • Das ist gleich auf mehreren Ebenen unsinnig. Niemand bekommt Kinder, um Sozialbeiträge zu sparen, was sich finanziell auch gar nicht lohnen würde. Ob man nun gewollt oder ungewollt keine Kinder hat,spielt bei den Kosten überhaupt keine Rolle. Und wie sollte bewiesen werden,dass jemand tatsächlich ungewollt kinderlos ist



    Kinder zu haben ist etwas schönes,aber es ist nichts total planbares, so ist die Natur eben. Ich glaube,wenn man sich nicht darauf versteift, Kinder haben zu müssen, dann kann man auch kinderlos sehr glücklich werden.

  • Auch diese Differenzierung "gewollt" und "ungewollt" kinderlos ist diskriminierend! Wie bitte beweist man das eine oder andere? Wieso muss man sich rechtfertigen?



    Und in 20-30 Jahren, wenn die Erde 10Mrd und mehr Einwohner hat geht das Spielchen dann andersherum?

    • @Potamopyrgus:

      Ich bin "ungewollt kinderlos" und gleichzeitig "gewollt kinderlos", da ich mein freies Leben ohne Kinder auch sehr genieße. Ich sehe mich nicht als "asozial", wenn ich die Vorteile ohne Kinder auch erkenne. Ich muss nicht nachweisen, dass ich das eine oder andere bin, denn "gewollt" und "ungewollt" Kinderlose bezahlen einen etwas höheren Beitrag als Eltern von lebenden Kindern. Die Petition will, dass beide Begriffe im Gesetz genannt werden, weil es beides gibt. Mal habe ich das Bedürfnis eine Kinderwunschbehandlung zu machen und ein anderes Mal gehe ich feiern und freu mich, dass ich so lange bei der Party bleiben kann, wie ich will. Es sind 2 unterschiedliche Lebensformen, aber über meine "ungewollte Kinderlosigkeit" darf ich nicht reden. Dann kommen Antworten: "Gib nicht auf." usw., aber ich bin nicht Gott, das ich darauf Einfluss habe.

    • @Potamopyrgus:

      Diese Differenzierung erinnert mich an alte Zeiten, als kinderlose Frauen als nicht normal galten - jetzt sind es halt dann nur die gewollt Kinderlosen.

    • @Potamopyrgus:

      Die gewollt Kinderlosen sind halt neuerdings wieder die Asozialen.

    • @Potamopyrgus:

      Die taz hat hierzu am 01.02.21 einen bemerkenswerten Artikel über die ökologischen Folgen betr. "Kinder " verfasst.

      taz.de/Soziale-Fol...awandels/!5744802/

      ich hoffe, ich verletze damit keine Sternenmütter

  • Noch etwas. Es geht doch um finanzielle Belastungen, und dabei ist es doch Wurst, warum frau/man... kinderlos ist.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Frag ich mich, wie man den ungewollten Kinderlos Status testen kann?

    Und auch ungewollt Kinderlose haben 2 bis 3 hunderttausend € mehr pro Nicht-Kind.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Menschen, die Kinder haben wollen, aber aus welchen Gründen auch immer es nicht funktioniert, sollten nicht von dieser Art Bürokratie behelligt werden und auch noch die Beweislast haben.

      Andererseits: Bei fast 100.000 Abtreibungen pro Jahr (ohne Dunkelziffer) ist schon einiges an Willenserklärungen aktenkundig. Schließlich ist vor einer Abtreibung eine Beratung verpflichtend. Da wird der Unwille zum Kinderkriegen offiziell bekundet. Diesen Hebel könnte man durchaus nutzen.