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Pessimistische SätzeRadikal einen Mittelweg suchen

Radikal daherreden kann jeder, zynisch sein kann Söder, heulen und davonrennen die FDP. Das reicht aber nicht.

Erklärt gerne: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) unterhält sich mit Schü­le­r:in­nen einer Meisterklasse, im September 2024 Foto: Sven Hoppe/dpa

W ie konnte es dazu kommen, dass das „Wir schaffen das“-Prinzip für viele Leute offenbar zu einer unerträglichen Zumutung geworden ist? Darüber sprach ich in dieser Woche mit Jagoda Marinić, Schriftstellerin und Public Intellectual. Im Gespräch sagte sie sinngemäß, es sei auffällig, dass bei vielen Deutschen die Sätze grundsätzlich nach unten gehen, also im Negativen enden. Das trifft selbstverständlich speziell auf unsereins zu, die kritischen Milieus. Unsere beliebtesten Sätze werden mit einer Drohung eingeleitet und enden in einer Apokalypse. Wenn nicht sofort dies und das aufhört oder gemacht wird, dann… ist die Menschlichkeit am Ende, haben die Nazis gesiegt, ist die Klimakatastrophe nicht mehr aufzuhalten.

Da müssen wir raus. Das zentrale Versprechen der Moderne ist, dass wir etwas schaffen können. Um das einzulösen, müssen wir erstmal anfangen, unsere Sätze zu einem guten Ende zu bringen, sonst können wir auch in der Realität nichts Gutes anpeilen und schaffen.

Jetzt wird man verständlicherweise einwenden: Hä, wo alles immer schlimmer wird mit Erderhitzung, Fossilismus, Kriegen, Terror, Trump, AfD, BSW und so weiter?

Gerade deshalb. Der Dagegen-Impuls ist notwendig zum Aufrütteln, aber er reicht nicht. Es wird da regressiv, wo er nur dazu dient, durch einen klassischen Antagonismus oder eine anachronistische Denkfigur eine Welt von gestern zu suggerieren, in der man sich auskennt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was meine ich damit? Zum Beispiel sollen die Grünen gerade in eine nicht mehr existierende Bundesrepublik zurückgeschubst werden. Deshalb wird jetzt auch mit den alten Begrifflichkeiten hantiert, „Realo-Putsch“, „linker Flügel“, „Mitte“ als Schimpfwort. Es wird getan, als sei es moralische Verwerfung, Hybris oder einfach Irrsinn, den gemäßigt progressiven Teil der liberaldemokratischen Gesellschaft zu repräsentieren und seine Anschlussfähigkeit an den gemäßigt konservativen Teil herstellen zu wollen zum Zwecke einer Mehrheits-Allianz für Zukunftspolitik.

Die Partei ist erwachsener geworden

Letztlich steht dahinter die große Sehnsucht, zurück in den gemütlichen fossil-emanzipatorischen Sozialdemokratismus zu können, in dem alles klar schien und jeder seine Rolle hatte. Die Konservativen von Union und SPD hielten den Laden mit den politischen Mitteln und fossilen Energien des 20. Jahrhunderts am Laufen, die „Progressiven“ hatten die Kritik- und Sprechrolle: Zu wenig Gerechtigkeit, zu wenig Emanzipation.

Stimmt ja auch. Nur dass die veränderte physikalische Realität durch die Erderhitzung einen fundamentalen Change bedeutet, der nicht in das alte Lagerdenken einzupreisen ist und auch nicht auf eine Nazistory zu reduzieren. Eine gute neue Geschichte, die gerade erst entsteht, ist schwer zu erzählen, das merken auch wir Medien im Moment. Viele mediengesellschaftliche Erörterungen, Moralanfälle, Personalisierungs-, Macht- und Heimatfilm-Inszenierungen gehen nicht nur an der Realität der Geschehnisse bei den Grünen vorbei, sondern vor allem an den zentralen Fragen.

Ich hoffe, ich ersticke nicht mal an dem Satz, aber: In den letzten Jahren konnte man nicht mehr ignorieren, dass die Partei erwachsener wurde und bereit, sich unangenehmer staatspolitischer Verantwortung zu stellen (Ukraine, Bundeswehr). Radikal daherreden kann jeder, zynisch sein kann Söder, heulen und davonrennen kann die FDP, aber radikal einen Mittelweg suchen und beschreiben, der die zweifelnden, nörgelnden, nostalgischen und die aufbruchbereiten Teile einer Gesellschaft in die gemeinsame Richtung einer ordentlichen Zukunft bewegt, das ist doch mal ein interessanter und lösungsorientierter Politikansatz.

Manche nennen das ja neuerdings „Habeckismus“.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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19 Kommentare

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  • Wenn die Grünen in die Mitte gehen, neue Wähler gewinnen, aber die alten verlieren - die Linken, die Aktivisten, die Unerwachsenen - WAS hat sie dann gewonnen ?



    Schröder hat mit seiner Agenda die SPD so geschädigt, ihren Markenkern so kaputt gemacht und das ist unwiderruflich.



    Und die Grünen - werden sie sich nun auch kaputt machen?



    Wir brauchen die Grünen nicht in der Mitte in Anbetracht von Afd und Sahra Wagenknecht, da stimmen die Gleichgewichte nicht mehr.



    Vielleicht, nur vielleicht sollte Habeck einfach die Partei wechseln um Karriere zu machen.

    • @Linkerhand:

      Nicht vergessen: B90/Die Grünen waren bei der Agenda 2010 voll dabei (Göring-Eckardt). Unionisten (Roland Koch) machten im Bundesrat Druck und hätten es gern noch schärfer gehabt.

  • Danke für diesen Kommentar.

    Ich lasse ihn noch eine Runde sacken.

    Die eine Grundfrage ist es, die mich fängt:



    Wie konnte es dazu kommen, dass das „Wir schaffen das“-Prinzip für viele Leute offenbar zu einer unerträglichen Zumutung geworden ist?

    In der Tat würde es mir wohl wie Hohn vorkommen, wenn einer der jetzigen Politikerriege so etwas von sich geben würde. Zu sehr ist klar, dass man nicht mehr viel schafft. (Mit "man" ist "die da oben" gemeint).



    Zu sehr hat man offensichtlich Deutschland an die Wand gefahren. Mit noch einer Vorschrift, noch einem Verlangen.

    Aber ich schweife ab. Es ist wichtig wieder ins machen zu kommen. Der Ansatz war da. Die Fortschriftkoalition hätte eine Chance sein können. Leider wäre es nur über Unmengen an OPM (Other Peoples Money) gegangen, was zu recht gestoppt worden ist.

    Die nächste Regierung muss unbedingt den Schröder Effekt wiederholen:



    Wir machen vielleicht nicht alles anders, aber vieles besser!



    Darauf, und nur darauf beruht meine Hoffnung.

    • @Dr. Idiotas:

      Frau Merkel hat mit voller Kraft



      Dreißig Jahre nichts geschafft.



      Aber das ganze Land in Autosuggestion



      Mit Hilfe von Friede Springer und Liz Mohn.



      „Wir schaffen das". Schon.



      de.wikipedia.org/wiki/Autosuggestion



      Nun folgt die nächste Generation



      Die möchte nicht die Letzte sein;



      Schafft keine Sekunde für sich allein.



      „Wenn wir hingegen noch die Klimakurve kriegen, machen wir das keine Sekunde lang nur für uns."



      taz.de/Klimabewegu...-den-USA/!6038183/

      • @starsheep:

        Danke …anschließe mich

        Alles nah an Wolfgang “ick setz mir mal bei Richie“ Neuss - 🚬 der mit der Pauke:



        “Es reicht nicht! Keine Gedanken zu haben.



        Man muß auch unfähig sein - sie auszusprechen!“ - 🙀🥳🧐 -

  • Wäre es nicht eher ideal, wenn die jeweiligen Parteien klar ihre jeweilige Richtung vertreten, und dann gemeinsam dieser Mittelweg gesucht und gefunden wird (Ich weiß...naiv und idealistisch was ich da schreib)



    Aber so ist es doch sinnvoller, als wenn jeder/jede versucht jede und jeden mit faden und farblosem Argumenten zu überzeugen

  • Was ich Habeck (und noch viel mehr Özdemir) krumm nehme ist, dass sie in das allgemeine Gejaule über Migration einstimmen und das Nicht-Problem [1] zum Problem reden.

    Ansonsten... ah, ja. Die Mitte. Nur die Egozentriker*innen wähnen sich ständig in der Mitte.

    [1] www.theguardian.co...008-research-shows

  • „Habeckismus“. Ist das anstgeckend?

    • @starsheep:

      Latürnich!

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        …anschließe mich - vor allem wennste des bedenkst



        “Das Suffix -ismus ist ein Mittel zur Wortbildung durch Ableitung (Derivation). Das entstandene Wort bezeichnet in der Regel eine Abstraktion, oft ein Gedanken- und Glaubenssystem, wie zum Beispiel eine Lehre, eine Ideologie bzw. Weltanschauung oder eine Religion, aber auch einen gesellschaftlichen Zustand oder ein künstlerisches Genre. Es kann sowohl an Substantive (Alkohol-, Putsch-) angefügt werden als auch an Adjektive (sozial-, extrem-), Aus diesen Substantiven mit dem Suffix -ismus können Adjektive mit dem Suffix -istisch gebildet werden.…



        & Däh



        “Bei vielen Begriffen mit der Nachsilbe -ismus handelt es sich um Begriffe für Meinungen, Lehren, Schulen und Ideen (Beispiele: Kapitalismus, Liberalismus, Sozialismus, Militarismus, Anarchismus, Dualismus).“



        Na da putzt ein Habeckismus aber sowas von ungemein - naturellement! Wollnich

        Tja - Wat mut - dat ismut! Gellewelle

        • @Lowandorder:

          Und wenn dann noch im Journalismus der gemütliche „Sozialdemokratismus" (© Peter Unfried) besungen wird, dann ist wohl der Humorismus in einer neuen Ära angekommen.

          • @starsheep:

            Shure - ollen Tagore



            “„Narren hasten, Kluge warten,



            Weise gehen in den Garten.“

            Das allgemeine Drifting - hat auch in der taz dem selbsternannten Linken Portal - 🙀🥳🧐 - seine Sprache gefunden! ( - “ismus - Weltpolitiker“ usw usf !;((



            Du packst dich an die Nase und denkst



            Ja isses denn wahr oder träum ich denn!



            Nein. Der Befund ist leider klar!



            Es ist wahr - es ist wahr •

  • „Nur dass die veränderte physikalische Realität durch die Erderhitzung einen fundamentalen Change bedeutet, der nicht in das alte Lagerdenken einzupreisen ist“ - frei nach Willem Zwo: Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Batterien!“

  • Nun will ich nicht gleich hier ein ABER einbringen - doch es erscheint mir nötig. Nach rechts, oder wie man beschönigend gerne sagt: in die Mitte streben viele, wenn nicht gar alle - zumindest bei Selbstdarstellung. Doch wo ist die linke, sozialkritische Variante? Weg? Nicht mehr nötig? Oder was??

  • Danke “ …das merken auch wir Medien im Moment…“ - 🥳🙀😂 -



    You made my day - da kann ich amüsiert kopfschüttelnd Musikmachen gehn!



    &



    Bis zum nächsten Mal. Shure.



    “Wir“ - Peter Unfried - kennen keine Parteien mehr!

    Na Mahlzeit - SM “Es ist vollbracht!“



    images.app.goo.gl/n6xCevHMj7LuS8Tg9



    & für Peterchens 🌑fahrt



    ditte => images.app.goo.gl/YsqLJTBDiMZqDTwi6



    always at your servíce - Gellwelle

  • Ich würde das mal anders ausrichten, das Fehlende:



    Neu und längst überfällig wäre: Mal konkret werden.



    Vor lauter Müsste Könnte Sollte... wird alles inhaltlich verwässert bis es so verdünnt ist, dass niemand mehr weiß wer eigentlich was will.



    Früher war das eher so (also bei uns im Betrieb): Einer sagt was schlaues, einer was dummes. Danach wird analysiert was nun denn daraus folgt und was welchen Vor- oder Nachteil hat. Dann wird entschieden, Nachteile dabei möglichst umschifft



    Heute sagt man 'sowohl als auch', und am besten sollte man erstmal zuwarten und untereinander abstimmen. Das Abstimmen passiert nur nie, weil ja niemand in der Lage ist mal seine eigene Position in verständlichen Worten zu bestimmen, gar zu artikulieren für andere. Wachsweich gehts dann weiter im Diskurs, möglichst niemandem wehtun, schon gar nicht persönlich daran beteiligt sein. Usw. Usw. Und so eiert man dann von harmloser Sprechblase zu wohlmeinendem Verständnis für alles und nix.



    2024 halt.

    • @Tom Farmer:

      Danke, unsere Diskussionskultur sehr genau beschrieben!

  • So weit die positive Ausdeutung des Habeckismus...natürlich kann man das typisch deutsch auch als freiwillige Selbstzersäbelung der eigenen Grundsätze deuten, die so lange stattfindet, bis einen auch der Söder-Markus toll findet und Schwarz-Grün doch nach der nächsten Bundestagswahl geht.



    Das Problem: Grüne ohne öko, ohne links sind einfach eine CDU ohne Krawatte und mit einem Drei-Tage-Bart wie der Robert oder Kretschmann in BaWü. Wirkt alles netter, von der Politik her der Abschluss der Einheitsbreiisierung.



    Die Grünen probieren was, so fair muss man sein, trotzdem machen sie sich in ihrem Bemühen, die letzten roten Linien abzuräumen überflüssig.

    • @Bambus05:

      Ganz Ihrer Meinung - super ausgedrückt.