piwik no script img

Perspektivlose Jobs an HochschulenAlbtraumjob Wissenschaftler

Das wissenschaftliche Personal an Hochschulen ist meist nur befristet beschäftigt. Eine Gesetzesnovellierung änderte daran wenig.

Studentische Beschäftigte demonstrieren für einen Tarifvertrag Foto: Christian Mang

Berlin taz | Unter dem Titel „Hire and Fire forever“ präsentierte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Mittwoch die erste Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) seit dessen Novellierung im Jahr 2016. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Das WissZeitVG regelt seit 2007 die Befristung wissenschaftlichen Personals an staatlichen Hochschulen – zu deren Nachteil: Der wissenschaftliche Nachwuchs hangelt sich von einem Zeitvertrag zum nächsten. Laut Gesetz können wissenschaftliche Mitarbeiter*innen für jeweils sechs Jahre vor und nach der Promotion befristet werden, im Sonderfall für zwölf Jahre.

Begründung der Regelung: Für eine innovationsfähige Forschung sei laut Gesetzgeber ein ständiger Zufluss neuer Wissenschaftler*innen notwendig. 90 Prozent des wissenschaftlichen Personals deutscher Unis mussten sich 2015 mit Zeitverträgen zufriedengeben.

Auf Initiative der GEW folgte die Gesetzesnovellierung: Eine Befristung ist nur zulässig, wenn die Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung erfolgt. Zudem muss die Befristungsdauer der angestrebten Qualifizierung entsprechen.

89 Prozent befristet

In der Praxis zeigen diese Änderungen kaum Wirkung: Nach Inkrafttreten der Novelle waren 2018 immer noch 89 Prozent des wissenschaftlichen Personals befristet angestellt.

Das liegt an der breiten Auslegung des Qualifizierungsbegriff seitens der Hochschulen. Neben formalen Zielen der Promotion und Habilitation werden auch nichtformale Ziele, wie die Vorbereitung auf eine Karriere außerhalb der Wissenschaft, als Qualifizierungsziele gewertet und somit gemäß WissZeitVG befristet.

Die Dauer der befristeten Verträge ist laut Evaluation von 24 auf 28 Monaten nur gering gestiegen. Anders als gefordert, orientieren sich die Hochschulen bei Festlegung der Laufzeit jedoch nicht an der tatsächlich benötigten Zeit für die angestrebte Zielerreichung.

Trotz des rasant steigenden Zulaufs wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen an den Unis erhöht sich die Zahl der Promotionen unverhältnismäßig gering. Das Ergebnis der Studie: Sowohl die Qualifizierung der angehenden Wissenschaftler*innen, als auch die „Innovationsfähigkeit“ der Forschung leiden unter dem derzeitigen Befristungsunwesen.

Nichtsdestotrotz wolle man sich laut dem Vizevorsitzenden der GEW, Andreas Keller, von diesen Ergebnissen nicht entmutigen lassen. Gemäß dem Grundsatz „Dauerstellen für Daueraufgaben“, gehe es nun darum, sich aktiv an der Umsetzung des Gesetzes an den Hochschulen zu beteiligen, sowie weitere Gesetzesänderungen auf den Weg zu bringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Pardon, aber solche Reaktionen sind eine Frechheit! Die Arbeit eines wissenschaftlichen Mitarbeiters ist weder soziale Hängematte noch nur zur Selbstoptimierung der eigenen Karriere gedacht. Solche Sätze hört man i.d.R. nur von unbefristeten W3-Professuren.

    Ein Lehre-WiMi verbringt oft 80% der Zeit damit Lehrveranstaltungen zu organisieren und was an Zeit übrig ist, hilft man den Kollegen auf Drittmittelprojekten, damit die für die nächsten 6 Monate ihr Anschlussprojekt bekommen. Projektanträge schreiben sich bekanntlich nicht von allein.

    Die meisten WiMis sind naturgemäß auch in dem Altern in dem Familienplanung relevant ist und spätestens da wird es je nach Uni kritisch. Elternzeit? Befristung pausiert nur auf Kulanzbasis. Verlängerung der Promotionszeit? Nur wenn die Personalabteilung gütig ist und maximal 2 Jahre, erfahrungsgemäß aber nur für die Dauer der Elternzeit. Kleinkinder sind nach der Elternzeit bekanntlich selbständig.



    Hauskredit weil die Wohnung zu klein wird? Mit 6-Monatsverträgen? Viel Spaß beim Zinsen zahlen!

    All das ignorieren die Profs gerne weil sie diese Probleme mit 6666€ Gehalt, Verbeamtung nicht haben und 2/3 entweder keine Familie haben oder einen Ehepartner der alles alleine schmeißt. Wie praktisch.

    Das alles führt dazu, dass eigentlich nur noch die Idealisten und Idioten WiMis werden. Wie wollen sie unter diesen Bedingungen "wirtschaftsferne" Grundlagenforschung machen, wo einem der Dr. hinterher nicht mal etwas nützt?

    Grüße von einem befristeten Kollegen ;)

  • Die weit überwiegende Zahl der Stellen für „wissenschaftliche Hilfskräfte“ dient doch auch dem Zweck viele Studenten in der Phase Diplom/Promotion temporär finanziell zu unterstützen. Der Aspekt „temporär“ ist wichtig, ansonsten wird der Vorteil vieler zugunsten weniger umverteilt.

    • @alterego:

      Das ist in der Theorie richtig, nur leider nicht wie es umgesetzt wird. Das Problem ist das auch wissenschaftlicher Mitarbeiter (also Menschen die bereits promoviert haben.) fast nur befristet eingestellt werden. Im übrigen ist das bei fast allen öffentlichen Forschungseinrichtungen auch so. Als promovierter Physiker muss ich leider daher davon berichten, dass die meisten meiner ehemaligen Kommilitonen heute nicht mehr in der Wissenschaft tätig sind. Der Hauptgrund ist bei den Meisten das sie keine langfristige Perspektive in der Wissenschaft gesehen haben und nicht das Risiko eingehen wollten mit Ende dreißig Arbeitslos zu werden.



      Dafür sind viele Lehrer geworden…



      Im übrigen ist diese Entwicklung tödlich für die deutsche Industrie, die ja traditionell einen Teil ihrer R&D an die Institute abgibt. Wenn der nun aber von Kollegen übernommen wird die um irgendwann doch mal eine Festanstellung zu bekommen nach ein paar Jahren ins Ausland gehen, muss man sich über den Abfluss von technologischem Knowhow sicher nicht wundern.

  • Es stecken ein paar Ungereimheiten in dem Artikel.

    Beginnend mit dem Foto. Fordern studentische Beschäftigte jetzt auch Dauerstellen?

    "Trotz des rasant steigenden Zulaufs wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen an den Unis erhöht sich die Zahl der Promotionen unverhältnismäßig gering. "

    Eine Interpretation dieser Aussage ist fast nicht möglich. Aber es kann doch kein Ziel sein, die Zahl der Promotionen unverhältnismäßig zu erhöhen (siehe auch Diskussionen über Sinn und Zweck von Promotionen).

    Welche Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter hat sich dann erhöht? Leute unterhalb der Promotion, die weisungsgebunden in temporären Projekten arbeiten? Oder Leute oberhalb der Promotion? Dann kann sich logischerweise auch nicht die Zahl der Promotionen erhöhen.

    Angesehen davon, hat die Reform es praktisch unmöglich gemacht, jemanden für wenige Monate zu finanzieren, zB als Abschlussfinanzierung, wenn die Promotion im geplanten Zeitrahmen nicht fertiggestellt werden konnte. Die Leute stehen dann ohne Finanzierung da, nehmen vielleicht einen Job an und vergessen die Promotion (siehe oben.).

  • 8G
    83421 (Profil gelöscht)

    In der DDR gab es die von der GEW gewuenschte Regelung: nach einiger Zeit waren alle



    Mittelbaustellen fuer die naechsten 30 Jahre besetzt und die spaeter Kommenden hatten keine Chance. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, und die Unis sollten da voran gehen.

    • @83421 (Profil gelöscht):

      Was hat das Argument Leistungsgesellschaft mit 89% befristeten Verträgen zu tun? Der Durchschnitt liegt bundesweit bei 8,3 Prozent. Auch Forscher haben ein Anrecht auf stabile planbare Lebensverhältnisse. Sollen alle Talente die Grundlagenforschung betreiben, für ein sicheres Einkommen und stabile Lebensverhältnisse zur Wirtschaft wechseln um dann als großen Wurf eine 100Mp Kamera im Smartphone zu präsentieren die kein vernünftiger Mensch braucht? In vielen Bereichen ist gerade die Wirtschaft, um ihr Geschäftsmodell nicht zu gefährden, die größte Innovationsbremse. Wir brauchen unabhängige Forscher um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu sichern. Und die haben wie jeder das Recht auf einen normalen Arbeitsvertrag. Dazu kommt noch das sie weniger verdienen als in der Wirtschaft. Klingt nicht nach einem wirklich fairen Arbeitsverhältnis.

    • @83421 (Profil gelöscht):

      Unsinn! Wenn man sich die ganze Zeit Gedanken drüber machen muss, ob man in sechs Monaten noch nen Job hat, hat man den Kopf nicht frei, um kreativ Wissenschaft zu betreiben. Vor allem keine Grundlagenforschung, die u.U. auf Jahre hinaus keinen messbaren Ertrag erbringt (oder vllt sogar niemals).

      • 8G
        83421 (Profil gelöscht)
        @BigRed:

        Mich hat das eher angespornt.

        • 0G
          00406 (Profil gelöscht)
          @83421 (Profil gelöscht):

          Ich arbeite seit über 30 Jahren an der Uni. Das Thema wird überhaupt nicht verstanden. Die Uni ist nicht dazu da, einen lebenslangen Job anzubieten. Außer für Professoren und Verwaltungsmitarbeiter. Studierende und Promovierende sollen ausgebildet werden, um dann später einen Job in freier Wildband nachzugehen. Ich habe an der Uni z.B. 50.000 Studierende mit 5000 Absoventen. Jedes Semester!!! Selbst ein sehr kleiner Teil könnte nie und nimmer auf einer Dauerstelle beschäftigt werden, weil es die nicht gibt und die auch nie geben wird. Ich kann Akademikern nur raten, schnellstmöglich die Uni zu verlassen und nicht mit Ende 30 dann festzustellen, auf der Strasse zu sitzen, wenn die 12-jährige Befristung endgültig ausläuft.