Bayerische Hochschulreform: Der Widerstand wächst
Mehr Wettbewerbsfähigkeit soll die geplante Reform den bayerischen Hochschulen bringen. Kritiker rechnen mit einer zunehmenden Ökonomisierung.
Noch ist sie nicht beschlossene Sache. Im Frühjahr soll ein Gesetzentwurf stehen, noch vor der Sommerpause soll er in Kraft treten. Doch was man aus einem Eckpunktepapier, das vom bayerischen Kabinett am 20. Oktober 2020 beschlossen wurde, bereits über die Reformpläne weiß, reicht den Kritikern für ihren Unmut aus.
Erklärtes Ziel des Hochschulinnovationsgesetzes, so der volle Name, ist es, Bayerns Universitäten wie auch die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, also die früheren Fachhochschulen, eigenständiger und wettbewerbsfähiger zu machen. Von einem Dreiklang von Forschung, Lehre und Transfer ist die Rede. Transfer ist dabei neu und heißt: Die Hochschulen sollen ihr Wissen künftig stärker und direkter in die Gesellschaft einbringen, wobei unter Gesellschaft vor allem auch Wirtschaft zu verstehen sein dürfte.
Schließlich ist die Hochschulreform Teil einer ambitionierten Hightech-Agenda von Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sie soll Bayern bis 2023 mit milliardenschweren Investitionen bei modernen Technologien wie etwa der künstlichen Intelligenz international wettbewerbsfähig machen.
Vom Professor zum Gründer
Dementsprechend ist vorgesehen, dass Professoren sich künftig neben Lehre und Forschung auch unternehmerisch betätigen können, beispielsweise durch die Gründung eigener Start-ups. Dafür will Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) Anreize wie Gründungsfreisemester schaffen. Darüber hinaus sollen die Universitäten mehr Autonomie bekommen, etwa Berufungsverfahren selbst regeln und beschleunigen können und mehr englischsprachige Studiengänge anbieten.
Am Ende, so Siblers Plan, würden Bayerns Hochschulen nicht mehr in einer Liga mit der Ruhr-Universität Bochum oder der Freien Universität Berlin spielen, sondern mit Harvard, Cambridge und Co.
Klingt nach großem Wurf, finden die Befürworter der Reform, darunter einige Hochschulpräsidenten. Klingt nach Größenwahn, finden dagegen Kritiker wie der Münchner Soziologe Stephan Lessenich. Der Regensburger Physik-Professor Ferdinand Evers wiederum befürchtet vor allem die Ökonomisierung der Hochschulen. Der Freistaat wolle sie zu reinen Zulieferern der Wirtschaft umfunktionieren, die Wissenschaftslandschaft in Bayern werde bald nicht mehr wiederzuerkennen sein.
„Wir müssen dann so arbeiten, wie der Markt unsere Produkte aufnehmen kann“, kritisiert Evers. Vieles, was die Hochschulen leisteten, finde aber in einem solchen Verwertungsdenken keinen Platz. „Unser Auftrag liegt viel tiefer, und der hat was mit Bildung zu tun und letztlich mit der Verankerung des vernünftigen Denkens in der Gesellschaft“, so der Physik-Professor. „Darauf kommt es an und nicht darauf, dass wir irgendwelche Autos besser bauen.“
Offener Brief mit tausend Unterzeichnern
Mit einem offenen Brief haben sich rund tausend Professorinnen und Professoren an Ministerpräsident Söder und seinen Wissenschaftsminister gewandt, in dem sie vor Gefahren für die Hochschullandschaft warnen und eine breite Diskussion einfordern, wie sie während der Pandemie nicht möglich sei. Ähnlich ist die Stoßrichtung einer Gruppe von Studenten und Wissenschaftlern aus dem akademischen Mittelbau, die ihre „Vision einer bayerischen Hochschullandschaft 4.0“ vorlegten.
Bemängelt wird zudem, dass die Freiheit der Hochschulen mehr eine Freiheit der Hochschulpräsidenten sein werde und diese agieren könnten wie Konzernchefs. Dazu kommt die Sorge, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften künftig ins Hintertreffen gerieten.
Minister Sibler indes zeigt sich überrascht angesichts des heftigen Gegenwinds, der ihm plötzlich entgegenschlägt – und geht in die Erklärungsoffensive. In Video-Livestreams versucht er, seine Vorstellungen einer Hochschulreform zu erläutern und Bedenken auszuräumen. Beim ersten Livestream sind immerhin schon 2.600 Zuschauer dabei. „Wir wollen gerade keine Ökonomisierung der Hochschulen“, verspricht der CSU-Politiker, „und keine undifferenzierte Output-Orientierung.“
Es würden auch keine demokratischen Strukturen zerschlagen, im Gegenteil: Künftig werde eine Studierendenvertretung im Gesetz verankert. Und es entstünden bestimmt keine Nachteile für Fächer, die keinen Transfer in die Wirtschaft leisteten. Schließlich spreche doch schon seine eigene Biografie für sich, so der Deutsch- und Geschichtslehrer. „Ich will einfach nicht mehr, dass tolle Dinge in Bayern erfunden werden, aber dann nicht mehr hier produziert werden.“
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