Personalwechsel am Verfassungsgericht: Karlsruher Klimarichterin geht
Aus der Feder von Verfassungsrichterin Gabriele Britz stammt das Staatsziel Klimaschutz. Nun verlässt sie das Verfassungsgericht.
Breiter bekannt wurde Britz im Frühjahr 2021. Damals erklärte das Bundesverfassungsgericht den Klimaschutz zum Staatsziel und verlangte grundsätzlich eine Orientierung der deutschen Klimamaßnahmen am verbleibenden nationalen CO2-Budget.
Federführende Richterin am Ersten Senat des Verfassungsgerichts war Gabriele Britz. Sicher war es kein lang gehegter Plan, als Verfassungsrichterin das Klima zu retten, doch ihre Geschichte lässt sich in fünf Etappen relativ stringent so beschreiben.
1. Etappe 2010: Die parteilose Gießener Rechtsprofessorin Gabriele Britz wird auf Vorschlag der SPD zur Verfassungsrichterin gewählt. Damals war sie nur einem Fachpublikum bekannt. Sie galt aber als juristische Überfliegerin. Schon mit 32 war sie Rechtsprofessorin, mit 42 die jüngste Frau, die je Verfassungsrichterin wurde. Das Umweltrecht und vor allem das Energieverwaltungsrecht gehörten schon damals zu ihren Forschungsschwerpunkten. Bereits 2004 schrieb Britz ihren ersten Fachaufsatz zu „Klima- und Ressourcenschutzpolitik“. Auch privat interessierte sich Britz für einen Umweltpolitiker. Ihr Ehemann, Bastian Bergerhoff, war Kreisvorsitzender der Frankfurter Grünen und ist heute Finanzbürgermeister (Kämmerer) der Stadt.
2. Etappe 2017: Erst nach einigen Jahren wird Britz in Karlsruhe auch für das Umweltrecht zuständig. Zunächst ist das Familienrecht ihr Schwerpunkt. Der spektakulärste Beschluss in ihrer ersten Karlsruher Phase ist die Einführung einer dritten Geschlechtsoption für intersexuelle Personen. Dagegen liegt das Öffentliche Umweltrecht zunächst noch beim konservativen Richter Michael Eichberger. Doch als dieser in den Ruhestand geht, greift Britz zu und tauscht das Familien- gegen das Umweltrecht. Erst durch dieses beherzte Manöver wurde Britz zur federführenden Richterin bei den Karlsruher Klimaklagen.
3. Etappe 2021: Der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts war eine echte Sensation. Eigentlich rechneten alle Beobachter:innen damit, dass die Klagen unzulässig sind. Denn noch betraf der Klimawandel in Deutschland niemand „gegenwärtig und unmittelbar“ in seinen Grundrechten – was für eine zulässige Klage eigentlich erforderlich gewesen wäre.
Doch der Senat von Richterin Britz konstruierte mit einem innovativen Manöver trotzdem eine Klagebefugnis: Da in Zukunft massive Freiheitseinschränkungen durch den Staat drohen, wenn nicht rechtzeitig umgesteuert wird, seien die Freiheitsgrundrechte jetzt schon „unmittelbar und gegenwärtig“ gefährdet. Dabei wurde der Gesetzgeber verpflichtet, Klimaneutralität ebenso anzustreben wie eine Begrenzung der Erderwärung deutlich unter 2 Grad Celsius. Die direkten Anforderungen an den Gesetzgeber blieben aber relativ zahm. Der Bundestag musste nur zusätzliche Reduktionsziele ab 2030 benennen, damit sich Bürger:innen und Unternehmen frühzeitig darauf einstellen können. Dieser Pflicht kam der Bundestag wenige Wochen später nach und ergänzte das Klimaschutzgesetz. Verschärfungen vor 2030 forderten das Bundesverfassungsgericht nicht. Der Karlsruher Beschluss war ein Weckruf an die Politik, das Verfassungsgericht wollte aber nicht die volle Verantwortung übernehmen.
4. Etappe 2022: Nach dem Paukenschlag des Klimabeschlusses, den weite Teile der Gesellschaft für radikaler hielten, als er im Ergebnis war, setzte das Bundesverfassungsgericht nun wieder auf richterliche Zurückhaltung und erklärte mehrere Klimaklagen für unzulässig, einmal sogar ohne jede Begründung.
In einem Beschluss von Anfang Januar 2023, als zwei Bürger:innen die sofortige Einführung eines Tempolimits forderten, erläuterte Karlsruhe den Gestaltungspielraum des Gesetzgebers. Ein Tempolimit sei nicht die einzige infrage kommende Maßnahme zum Klimaschutz, ja es sei nicht einmal zwingend, dass der Verkehrssektor die eingeforderten CO2-Ersparungen erbringen müsse, wenn sich dies auch in anderen Sektoren realisieren lasse. Diese Zurückhaltung entspricht der Grundüberzeugung von Britz, dass sich das Bundesverfassunsgericht nur in seltenen Ausnahmefällen in die Gesetzgebung einmischen sollte.
Aber Karlsruhe mahnte auch, dass sich das Gewicht des Klimaschutzes mit zunehmender Erderwärmung relativ immer weiter erhöhe. Es wird also spannend sein zu sehen, wie das Gericht in einigen Jahren auf die vermutlich weiterhin zögerliche Politik reagieren wird.
5. Etappe 2023: Diese künftigen Auseinandersetzungen werden allerdings ohne Richterin Gabriele Britz stattfinden, deren Amtszeit am 1. 2. 2023 endete und deren Nachfolgerin Miriam Meßling am vorigen Freitag mit einigen Wochen Verspätung gewählt wurde. Sobald der Bundespräsident Zeit findet, Britz die Entlassungsurkunde zu überreichen, ist sie nicht mehr im Dienst.
Immerhin sorgte Britz noch dafür, dass in Karlsruhe ihre Linie tendenziell weiterverfolgt wird. In einer neuen Rochade der Zuständigkeiten wird am Ersten Senat nämlich nicht ihre von der SPD nominierte persönliche Nachfolgerin Miriam Meßling, zuletzt Vizepräsidentin des Bundessozialgerichts, für das Umweltrecht zuständig sein, sondern der von den Grünen vorgeschlagene parteilose Berliner Rechtsprofessor Martin Eifert. Britz kennt Eifert schon lange. Beide waren einst zeitgleich Professor:innen an der Uni Gießen und hatten damals sogar ein gemeinsames Buch über Energieeffizienz herausgegeben. Nicht zuletzt von Martin Eifert wird es also in den kommenden Jahren abhängen, wie sich das Bundesverfassungsgericht positioniert, wenn die Umweltverbände immer wieder austesten, ob Karlsruhe beim Klimaschutz nun wirklich Druck machen will.
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