piwik no script img

Parteizugehörigkeit und echte ProblemeDarf man Lindner-Wünsche aufhängen?

Die kommt da weg, sagt die Macht. Und meint Lindners Postkarte zu Weihnachten. Nö, sagt hingegen der Autor. Und wer hat gewonnen? Lesen Sie selbst!

„Gesegnete Weihnachten und einen erfolgreichen Start in das neue Jahr“ Foto: Liesa Johannssen/reuters

Z u dieser Jahreszeit begibt es sich stets, dass wir so ein Seil durch das Wohnzimmer spannen, an dem wir Weihnachtskarten aufhängen. Familien­tradition seit 1998. Mittlerweile ist es aber so, dass offenbar kaum ein normaler Mensch mehr Weihnachtskarten verschickt. Weshalb ich diesmal in meiner Not ein paar geschäftliche Karten aufgehängt habe, damit das nicht so dünn aussieht. Eine davon war vom Bundesvorsitzenden der Freien Demokraten.

„Was ist denn das?“, knurrte die Macht, der ich von einem Kreuzberger Standesbeamten anvertraut worden war.

„Eine Weihnachtskarte mit guten Wünschen von Christian Lindner“, antwortete ich.

„Die muss weg“, sagte sie.

Ich sagte, warum das denn, gegen die Karten von Politikern einer anderen Regierungspartei habe sie doch auch nichts.

„Die kommt da sofort weg.“

Ich sagte, Lindners Wünsche („Gesegnete Weihnachten und einen erfolgreichen Start in das neue Jahr“) seien aber doch sprachlich und inhaltlich im Grunde nicht zu beanstanden, selbst von unserer woken Tochter nicht.

„Aber wenn das Gäste sehen!“, sagte die Macht. „Was müssen die dann von uns denken!“

Verstehe: Sie könnten denken, dass es uns an Haltung fehlt, an klarer Kante, an einem Bewusstsein für die Unterscheidung zwischen den Guten (wir) und den Bösen (die anderen). Ich steh da eh schon unter Verdacht. Die Weihnachtskarte könnte mich vollends erledigen.

Jetzt ist es aber so, dass es auch Mitbürger gibt, die niemals eine Weihnachtskarte von Robert Habeck aufhängen würden und ihn für ein nationales Unglück halten wollen. Damit meine ich nicht jene Leute, die am Donnerstag bei einer Protestaktion in Schüttsiel die Privatsphäre Habecks verletzten und sein Recht, sich frei zu bewegen. Ich meine anständige Demokraten.

Ich verstehe die identische psychologische Bedürfnisstruktur, die hinter der emotionalen Ablehnung des einen oder des anderen steht. Es ist der Wunsch nach Klarheit, nach Sicherheit, nach der Position auf der anderen Seite des Falschen. Aber der Ambivalenz der liberalen Moderne kann und darf man als politischer Mensch nicht entkommen. Das „kleinere Übel“, das die Haltungslinken gern verdammen, ist ungleich besser als das größere Übel. Die produktive Einstellung in dieser Gegen­wart ist eben nicht eine sich verhärtende Position, auf die ja „Haltung“ im alten Denken von unsereins hinausläuft.

Ich will überhaupt nicht verkennen, wie schwierig es ist, mit dieser Bundesregierung die dramatischen Versäumnisse der Vorgängerregierungen und der beiden erstarrten Ex-Volksparteien aufzuholen. Ich sehe auch die fehlende Koalitionsperspektive. Aber im europäischen Vergleich ist eine wurschtelnde Regierung aus drei liberaldemokratischen Mitte-Parteien ein Zeichen von gesellschaftlicher Stabilität. Ja, auch die Bundesrepublik ist bedroht durch den Aufstieg populistischer und demokratiefeindlicher Kräfte. Aber gerade deshalb müssen wir uns auf diesen Angriff konzentrieren und darauf eine Antwort finden, die die demokratische Mehrheit zusammenhält und eben nicht auseinandertreibt.

Meine Differenzen mit Lindners Politik liegen im Bereich der Details praktischer Politik. Die Grundbedingung für die Zukunft unserer freien Gesellschaft ist aber nicht die Position zu Wärmepumpe und Schuldenbremse, sondern zu Demokratie, Rechtstaat und EU.

Kurzum: Die Weihnachtskarte von Christian Lindner bleibt hängen. Unklar ist mir noch, ob das auch für alle Protestleute und für Sahra Wagen­knecht gelten würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Schüttsiel"... Es heißt SchLüttsiel



    In Thüringen hat sich vor Zeiten ein FDP-Mann mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Und der Vorsitzende der Bundes-FDP..., hat der was dazu gesagt? Ein Hort der demokratischer Stabilität...



    Die Karte muss weg. Da liegt kein (Weihnachts-)Segen drauf.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      "... hat sich [...] ein FDP-Mann mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen."

      ** FDP-Vize Wolfgang Kubicki sieht in der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen einen großen Erfolg für den Kandidaten seiner Partei. Kubicki sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich." ** [Süddeutsche Zeitung - 5.2.2020]

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Ricky-13:

        Kubicki. Ein Grund mehr.



        Wie der Herr, so's Gescherr -



        Aber wer ist wer?



        en.wikipedia.org/w...C3%ADma_Wormtongue

      • @Ricky-13:

        Hola. Da wollemer doch mal die Jungs von der 🔥 SchutzVO zu Hambi bitte nicht vergessen! Woll



        Öcher Prente Lasset: “Thomas Kemmerich - den kenn ich. Der ist in Ordnung. Bin mit dem zur Schule gegangen!“ - wa ahl Frittezang! Mach dr Kopp zu!

    • @95820 (Profil gelöscht):

      anschließe mich - „so oft sind die Frauens ja doch die besseren Männäs!;)“



      & wie schnell wirste dich doch zum Knirps! Gellewelle&Wollnichtwoll 🙀🥳

  • Ich lese und abonniere die Taz wegen einer Tiefe der Sachinformation, die ich in allen anderen mir bekannten Medien vergeblich suche. Vielen Dank dafür. Kommentaren und Meinungsartikeln zustimmen zu können, erwarte ich hier eher nicht. Diesmal bei Herrn Unfried ist es anders.



    Vera Lengsfeld schreibt in ihrem Blog von heute: "Ja, der verbale Umgang ist in unserer Gesellschaft verroht. Es ist aber ein Prozess, der von Politik und Leitmedien in Gang gesetzt wurde." Es tut wohl, wenn sich die Taz im Vergleich zu anderen dabei zurückhält.

  • Da wird ja geradezu feierlich verkannt, dass Herr Lindner mit seinem auftreten als Oppositioneller innerhalb der Regierung für einen großen Teil der miesen Zustimmungswerte und damit auch dem erstarken der AfD verantwortlich ist.



    Und das alles nur, um seine Porschefreunde nicht zu verprellen.

    • @der_bjoern:

      Glauben Sie ernsthaft, die AfD hätte weniger Wähler, wenn die FDP eine harmonischere Performance liefern würde?

      Den Arbeiter interessiert das große AfD-Thema Migration nicht mehr, wenn die FDP sich mit den Grünen besser verstehen würde?

      Für das Erstarken der AfD - einer Defizit-Partei ohne eigene Konzepte - sind alle Parteien von der Linkspartei bis zur CDU/CSU verantwortlich.

      In Sachsen und Thüringen ist die FDP quasi unbekannt.



      AfD nun weißgott nicht.

      In einer Regierungskoalition Opposition zu spielen, ist übrigens eigentlich eine Spezialität der Linkspartei.

      Da ist die FDP noch harmlos gegen.

      Das konnte man in Berlin sehr gut studieren.

    • @der_bjoern:

      Wenn die FDP die links-grünen Wünsche einfach durchgewunken hätte, dann wären die Zustimmungswerte für die FDP noch weiter gefallen. Vielleicht hätte das die Zustimmungsverluste der SPD und der Grünen etwas verringert. Die gesellschaftliche Mehrheit wäre hingegen (ziemlich sicher) keinesfalls weniger frustriert und/oder verärgert, als es jetzt der Fall ist.

  • Ein Grund, Lindners Weihnachtswünsche nicht anzunehmen könnte die Verachtung sein, die die FDP für das ärmere Drittel der Bevölkerung zeigt, als da wären verhinderung von Klimageld, Kindergrusi, und polemisieren gegen Arbeitslose und Migranten. Kurz: Eine Politik für Reiche, die nach unten nach den ärmsten Tritt. Das ist nicht besonders weihnachtlich und genau der Geist, der wirklich zur Spaltung der Gesellschaft geführt hat und den ideal Nährboden für die AfD bereitet. Damit steht die FDP nicht allein da (Schröder lässt grüßen), aber die FDP plakatiert diese Haltung als Hauptfeature.

  • Auch Auslassungen manipulieren, könnte der Autor argumentieren. Ob das dann mehr Klarheit schafft, wenn dort eine Lücke klafft? Ich wette, dass viele warten: auf so eine von Lindners Karten, denen es scheint doch viel blöder, käme sie von Markus...



    /



    "Das (...) Zitat von Bill Gates, dem Gründer von Microsoft sagt: „Wer die Bilder beherrscht, beherrscht die Köpfe.“ Recht hat er."



    Quelle taz-Archiv:



    taz.de/Bilder-einer-Luege/!326905/

  • Von Walter Moers gibt es eine bebilderte Anleitung zur Hostienschändung (in "Schöner Leben mit dem kleinen Arschloch", 1992), die auch als lustiger Freizeitspaß für die ganze Familie adaptiert werden kann.



    Als Ersatz für die - nicht trivial zu beschaffenden - Messiasfleischpflanzerln ("Pfannkuchen" darf man in Berlin ja nicht sagen, wenn man keine Dämonen beschwören will) kann hierbei auch eine beliebige andere dünne Platte aus pappiger saugfähiger Substanz verwendet werden.

    Danke, gerne.

    "La meilleure subversion ne consiste-t-elle pas à défigurer les codes, plutôt qu'à les détruire?"



    -- Roland Barthes

    • @Ajuga:

      Alter Schwede - das nenn ich mal eine frühe Luftgitarre - wa.