Parteitag nach Wahlniederlage: Jusos bringen die SPD auf Trab

Die Wahl verloren, nun Juniorpartner in einer CDU-Regierung: Berlins SPD streitet heftig über Kurs und Personal. In der Kritik: Parteichefin Giffey.

Franziska Giffey steht am Rednerinnenpult

Wollte vor allem Schwarz-Grün verhindern: Franziska Giffey Foto: dpa

BERLIN taz | Kann man eine Parteispitze so dezent demontieren, dass die gar nicht anders kann, als dem eigenen Rückzug zuzustimmen? Darum geht es an diesem Freitag, als die Berliner SPD zum ersten Parteitag nach der Wahlniederlage im Februar zusammen kommt. Denn dass Fehler passiert sind im Wahlkampf und schon davor, dass die SPD-Bilanz im rot-grün-roten Bündnis nur mäßig war – das ist unstrittig.

Doch statt in die Opposition zu gehen, haben die beiden Lan­des­che­f*in­nen Franziska Giffey und Raed Saleh die SPD als Juniorpartner in eine Koalition mit der CDU geführt. Damit retteten sie, zumindest vorerst, auch ihre eigene Position in der Partei: Einen Abwahlantrag gegen die Führung hat vor diesem Parteitreffen niemand gestellt. Doch es gibt einen Antrag der Jusos, in dem nichts weniger als Abschied auf Raten gefordert wird.

Die Spitze der Partei dürfe nicht mehr weitgehend von Man­dats­trä­ge­r*in­nen bestimmt wird, heißt es darin. „Es darf keine SPD aus den Senatszimmern geben“, formuliert es Sinem Tasan-Funke, Berlins Jusochefin, in ihrer Rede. Ein kaum verholener Angriff auf Giffey und Saleh. Umgesetzt würde dies aber erst nach der nächsten Vorstandswahl 2024. Tasan-Funke erhält dafür lautstarke Unterstützung. Doch wird eine Mehrheit der Delegierten auf dem Parteitag dem Antrag, der auch eine intensive Aufarbeitung der Niederlage vorsieht, zustimmen?

Zu Beginn erhalten Saleh und Giffey die Möglichkeit, eigene Fehler einzugestehen, die Aufarbeitung von sich aus einzufordern – und damit die Möglichkeit, den Kri­ti­ke­r*in­nen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch es sind viele: Beim Mitgliederentscheid, ob die SPD die Koalition mit der CDU eingehen und Kai Wegner statt Franziska Giffey zum Regierenden machen soll, stimmten nur 54 Prozent mit „Ja“.

„Wir haben die Wahl verloren, auch weil wir Krisen nur verwaltet haben und bei polarisierenden Stadtdebatten unkenntlich geblieben sind“, sagt Saleh, der auch Fraktionschef im Abgeordnetenhaus ist. Schonungslos müssten nun die personellen, inhaltlichen und strukturellen Probleme – die allerdings keineswegs eindeutig zu benennen seien – aufgearbeitet und behoben werden. „Ich habe verstanden“, schließt Saleh, erntet aber für den eher müden Auftritt wenig Applaus.

Der Parteitag ist das erste große Treffen nach der verlorenen Wiederholungswahl am 12. Februar. Die SPD hatte mit einem voll auf Spitzenkandidatin Giffey zugeschnittenen Wahlkampf mit 18,4 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren und war nur noch 53 Stimmen vor den Grünen gelandet. Die Fortsetzung des bisherigen rot-grün-roten Bündnisses wäre dennoch möglich gewesen – doch einem überraschenden Schritt entschied das Sondierungsteam, mit dem großen Wahlsieger CDU eine Regierung zu bilden und nahm dafür sogar den Verzicht auf das Rote Rathaus in Kauf. Dort residiert nun Kai Wegner.

Um den Schwenk zu rechtfertigen, brüskierten und beschimpften Giffey und Co-Chef Raed Saleh die beiden bisherigen Koalitionspartner Grüne und Linke und warfen ihnen Unzuverlässigkeit vor. In den Augen der SPD war das wohl nötig, um eine Mehrheit für die Koalition beim eigens anberaumten Mitgliederentscheid zu bekommen. Die fiel mit 54 Prozent allerdings viel knapper als anfangs erwartet aus. (taz)

Giffey wiederum sieht die Fehler auch bei den Anderen, etwa bei ihren Vorgängern als Parteichef, schließlich dauere der Niedergang der Berliner SPD bereits eine ganze Weile. Oder bei den einstigen Koalitionspartnern Grüne und Linke, von denen sie etwa bezweifelt, dass jene in der Sicherheitsdebatte nach der Silvesterrandale an der Seite der SPD gestanden hätten. Daher sei auch ein Weiter-So mit Rot-Grün-Rot nach dem 12. Februar nicht möglich gewesen. „Es wäre an vielen Stellen schwieriger geworden“, so Giffey. „Wir hätten einen Dauerstreit gehabt zwischen SPD und Grünen. Die SPD wäre zu einer Klagemauer des Stillstands in Berlin geworden.“

Giffey verspricht linke Politik

Mit Schwarz-Rot hingegen könne man zwei Pluspunkte verbuchen. Zum einen werde die SPD „der linke, der sozialpolitische Part in diesem Bündnis sein“, verspricht Giffey. Zum anderen habe man eine lange Phase in der Opposition verhindert, aus der man nach Giffeys Überzeugung auch nach der nächsten Wahl 2026 nicht herausgekommen wäre. Denn: Schwarz-Grün, das ebenfalls mögliche Bündnis, das in der „Luft gelegen habe“, würde sich „überall verfestigen, wo es dazu gekommen ist“, so die einstige Regierende Bürgermeisterin und jetztige Wirtschaftssenatorin.

Mitglieder der SPD auf dem Parteitag

Franziska Giffey, Raed Saleh und Cansel Kiziltepe auf dem Parteitag am Freitag Foto: dpa

Giffey, 2022 nur mit mageren knapp 60 Prozent als Parteichefin bestätigt, erhält für ihre Analyse viel Applaus. Sie erntet aber kurz darauf auch höhnisches Aufstöhnen, als sie erklärt, die Farbattacke der Klimagruppe Letzte Generation auf die Bundeszentrale der Partei während deren Feier zum 160-jährigen Jubiläum habe sie in den vergangenen Wochen „am meisten erschüttert“. Die Spaltung der Partei wird da offenbar.

An der Aussprache beteiligen sich rund 80 anwesende Delegierte mit drei- bis vierminütigen Beiträgen; sie dauert mehr als drei Stunden. Diese Ausdauer ist keine Selbstverständlichkeit, schließlich ist Freitagabend und das lange Pfingstwochenende steht an, und zeigt, wie dramatisch die Lage der Partei eingeschätzt wird. Die Jusos erhalten immer wieder Dank für ihren Antrag, vielfach wird Schwarz-Rot die Zukunftsfähigkeit abgesprochen. Einige Delegierten warnen vor einer Austrittswelle. Widerspruch gegen die Jusos ist eher selten.

Am Ende dann die Überraschung: Saleh und Giffey treten noch einmal ans Pult. Die Debatte über die Zukunft der Berliner SPD habe mit diesem Tag erst begonnen, sagt Saleh. Dann fordert er als „Zeichen der Geschlossenheit“ von sich aus die Annahme des Antrags der Jusos. „Wir sind offen, den Weg zu gehen, für den sich die Partei auf diesen Weg ausspricht“, ergänzt Giffey in einem bemerkenswerten Auftritt.

Danach stimmen die Delegierten mit nur einer Gegenstimme für die Initiative der Jusos. Allerdings war der Antrag im Vorfeld des Parteitags an einigen Stellen entschärft worden. „Funktionsträger*innen im Landesvorstand sollen künftig nicht identisch sein mit denen“ an leitenden Stellen in Regierung oder Fraktion, heißt es dort. „Sollen“ aber ist eben nicht gleichbedeutend mit müssen. Es soll auch nicht mehr alle Mitglieder des Vorstands betreffen.

Absehbar ist damit aber auch: Das Spitzenduo Saleh und Giffey dürfte nach der nächsten Vorstandswahl 2024 Geschichte sein. Wer den gewieften Machttaktiker Saleh kennt, kann sich vorstellen, wer von beiden die besseren Chancen hat, an der Spitze der Berliner SPD zu bleiben. (Mitarbeit: Adefunmi Olanigan)

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