Parteitag der Linkspartei: Aufbruch in ungewisse Zukunft
Die scheidenden Parteivorsitzenden riefen ihre Partei dazu auf, zusammenzuhalten. Doch was wäre die Linke ohne alte Konflikte?
Und dennoch war der Ton auf dem siebten Bundesparteitag der Linkspartei ein neuer. Sowohl die beiden scheidenden Parteivorsitzenden als auch die weiter amtierenden Fraktionsvorsitzenden betonten in ihren Reden, wie wichtig es jetzt sei zusammenzuhalten und nach vorn zu schauen. Der Wunsch, einen Schlussstrich zu ziehen unter die quälenden und meist öffentlich ausgetragenen Rangeleien der letzten Jahre, wurde deutlich.
Das spricht dafür, dass die Führung von Partei und Fraktion den Ernst der Lage erkannt zu haben scheint. Es dürfte höchste Zeit sein. Die heftigen innerparteilichen Streitereien der Vergangenheit insbesondere mit Sahra Wagenknechts und ihrem Anhang nicht nur um die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik haben deutliche Spuren in der Wähler:innengunst hinterlassen. In den Umfragen liegt die Linkspartei derzeit nur noch zwischen 6 und 8 Prozent. Da kann, wenn sie nicht schwer aufpasst, die Fünfprozenthürde bis zur Bundestagswahl in bedrohliche Nähe rücken.
Auf den tiefen inhaltlichen Konflikt mit Wagenknecht ging Nochparteichef Bernd Riexinger in seiner Abschiedsrede am Freitagnachmittag nur indirekt ein. Er sei „froh, dass wir unseren klaren Kurs für Solidarität mit Geflüchteten auf dem letzten Parteitag mit überwältigender Mehrheit gestärkt haben“, sagte er. „Gerade in Zeiten, in denen große Verteilungskämpfe bevorstehen, müssen wir daran erinnern: Der Gegner steht oben, nicht neben uns!“
Eindringlich warb Riexinger auch dafür, der Klimafrage eine größere Bedeutung beizumessen. Er wisse, dass es in der Partei Stimmen gebe, die meinten, die Linkspartei sollte sich auf den Kampf für den Sozialstaat und den Frieden beschränken, weil alles andere nur den Grünen helfen würde. Doch eine solche Verengung sei falsch, weil die Klimafrage „längst eine Überlebensfrage“ sei und „Klimagerechtigkeit zugleich eine Verteilungs- und Klassenfrage“.
Riexinger warnt vor Fall in die Bedeutungslosigkeit
Es war eine kämpferische, aber auch nachdenkliche Rede. Sie zeigte das schwierige Spannungsfeld auf, in dem sich die Linkspartei bewegt. So warnte Riexinger davor, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Ein Blick in die europäische Geschichte zeige, „wie schnell einst ruhmreiche linke Parteien in der Bedeutungslosigkeit versinken“ können.
Unter Bezug auf den linken italienischen Intellektuellen Lucio Magri, der in einem grandiosen wie traurigen Buch den Aufstieg und Niedergang der Kommunistischen Partei Italiens beschrieben hat, benannte er als die großen Gefahren für eine linke Partei: Opportunismus und Anpassung einerseits, Sektierertum und Besserwisserei andererseits – und mangelnde innere Solidarität. Aber auch: die fehlende Bereitschaft, sich gesellschaftlichen Umbrüchen zu stellen. Da den richtigen Weg zu finden, ist in der Tat nicht einfach.
Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch setzte andere Schwerpunkte. Nachdem er sich kurz bei Riexinger und Kipping bedankt hatte, „wenn wir es auch miteinander nicht immer leicht gehabt haben, wie wir wissen“, ging er über in die Verkündung positiver Botschaften. „Lasst uns mehr über unsere Erfolge reden“, sagte Bartsch. „Wenn wir unsere Stärken in die Waagschale werfen, wenn wir von unseren Erfolgen reden und unsere Erfolge ins Schaufenster stellen, dann können wir viel erfolgreicher sein.“
Also lobte Bartsch überschwänglich die Regierungsbeteiligungen in Thüringen, Bremen und Berlin: „Ja, wir sollten stolz sein auf das, was wir geschafft haben!“ Seine unüberhörbare Botschaft: Mitregieren lohnt sich.
Den designierten Parteivorsitzenden Wissler und Hennig-Wellsow sprach Bartsch seine Unterstützung aus: Er freue sich, „dass die Partei hier mit Janine und Susanne zwei Frauen an die Spitze wählen wird, die bewiesen haben, dass sie bei Sturm bestehen können und einen klaren Kompass haben“. Nach dem Parteitag werde es darum gehen, gemeinsam und geschlossen zu agieren. „Bündeln wir unsere Kräfte, dann ist viel möglich“, so Bartsch. Sein Ziel sei, dass die Linkspartei bei der Bundestagswahl zweistellig abschneide. „Das ist wirklich drin.“
Kipping wirbt für Regierungsbeteiligung
Auch die Co-Parteivorsitzende Katja Kipping bemühte sich, ihre Partei auf eine Regierungsbeteiligung im Bund einzuschwören – und ihr das nötige Selbstvertrauen einzuimpfen. „Die Zeiten, an der Seitenlinie zu stehen, sind vorbei. Gehen wir auf den Platz und greifen wir an“, rief sie den wenigen Menschen in der coronabedingt spärlich besetzten Halle in Berlin-Kreuzberg und den rund 500 zugeschalteten Delegierten im Rest der Republik zu.
Die Bedingungen seien zwar nicht optimal, so Kipping. In der Pandemie werde man als Oppositionspartei noch weniger gehört. Aber man könne auch nicht darauf warten, dass sie optimal würden. „Wir müssen gemeinsam ausstrahlen: Mit uns ist zu rechnen.“ Es war ihre letzte und vielleicht stärkste Rede als Parteivorsitzende, die gleichwohl die Botschaft aussandte: mit ihr ist in der Linkspartei weiterhin zu rechnen.
Unter normalen Bedingungen eines Präsenzparteitags, hätten sowohl Kipping als auch Riexinger und Bartsch mit ihren Reden wohl jeweils für frenetischen Beifall gesorgt. Für die Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali gilt das eher nicht. Ihre Rede wirkte etwas untertemperiert.
Auch Mohamed Ali unterstrich, dass die Linkspartei noch viel, viel stärker werden müsse. Doch dafür müsse man eben noch mehr Menschen erreichen. Den Begriff „neue linke Mehrheiten“, die Chiffre für die an Teilen der Basis umstrittene Dreierkoalition von Grünen, SPD und Linkspartei, nahm Mohamed Ali nicht in den Mund.
Zwei weitere Punkte nannte Mohamed Ali als zentral fürs Superwahljahr. Da war zum einen die Forderung, sich nicht pauschal gegen Autos zu positionieren, da diese für viele Menschen das Symbol der Freiheit seien. Warum gerade Autos für die Linke zentral sein sollte, begründete sie nicht. Es war wohl eher der Versuch, sich bei den Anhänger:innen ihrer Vorgängerin Wagenknecht anzubiedern, die gern als Fürsprecherin der „einfachen Leute“ auftritt.
Bekenntniszwang in der Friedensfrage
Als zweiten Punkt benannte Mohamed Ali die Friedenspolitik, die zum Wesenskern der Partei gehöre. Das ist allerdings unbestritten. Doch seit der linke Verteidigungspolitiker und frühere Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn Mitte Januar ein „Diskussionsangebot“ veröffentlicht hat, in dem er für einen deutschen Verteidigungsetat in Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes und unter bestimmten Bedingungen für die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen plädiert, ist die Aufregung und der Bekenntniszwang innerhalb der Linkspartei groß.
So betonten neben Mohamed Ali auch zahlreiche Delegierte in der Generaldebatte am Freitag die Standfestigkeit der Linkspartei in der Friedensfrage. Aber auch Kipping versicherte, nicht „die Friedensfrage zu relativieren“, und Bartsch gab sich ebenfalls friedensbewegt.
Riexinger versicherte: „Unsere Positionen zum Frieden, gegen alle Auslandseinsätze der Bundeswehr stehen.“ Die Linkspartei werde sich „an keiner Regierung beteiligen, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt“. Das gelte „vor und nach den Wahlen“. Die Linkspartei bliebe „die einzige Friedenspartei im Bundestag“.
Die Friedensfrage ist für die Linkspartei eine Identitätsfrage. Dass sie allerdings bisweilen so erbittert geführt wird, liegt auch daran, dass sie eng mit der Frage einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene verbunden ist. Zumindest glauben viele in der Linkspartei das, vor allem jene, die fürchten, dass die Linkspartei in einer Koalition mit SPD und Grünen sämtliche Prinzipien über Bord werfen müsste.
„Einige wie Matthias Höhn“ seien „gerade dabei, linke Grundsätze abzuräumen“, wetterte Lucy Redler von der ganz linken Parteiströmung Antikapitalistische Linke. Es sei nicht möglich, „mit SPD und Grünen zu regieren und dadurch linke Politik zu betreiben“. Aufgabe der Linkspartei sei es vielmehr, „knallharte Opposition zu den Herrschenden zu sein“.
Andere wollten so „knallharte“ Gegensätze nicht sehen. Teil der Bewegung und dennoch in der Regierung zu sein – „ich glaube das lässt sich vereinbaren“, sagte ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen und verwies auf den Berliner Mietendeckel. Mit der Position Fundamentalopposition sei man zumindest in den vergangenen 15 Jahren nicht wirklich weitergekommen.
Bei der vergangenen Wahl in NRW verfehlte die Linkspartei erneut den Landtagseinzug – ein Schicksal, das ihr auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März droht.
Ende eines Kapitels
Mit etlichen Stunden Verspätung schloss der erste Konferenztag um kurz vor 22:30 Uhr. Zuvor war der obligatorische Leitantrag nach mehrstündiger Diskussion, aber ohne größere Änderungen mit rund 85-prozentiger Zustimmung beschlossen worden.
Zum Abschluss wurde es noch einmal feierlich und auch etwas rührselig: Als Abschiedsgeschenk übergab Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler Katja Kipping einen Jahresgutschein für den Berliner Club SO36, weil sie so gerne tanze.
Der ebenfalls sichtlich berührte Hobbykoch Bernd Riexinger bekam eine gusseiserne Pfanne und eine Kochschürze mit der Aufschrift: „La Cucina del Popolo“ – die Küche des Volkes. Dann Applaus brandete unter den paar Dutzend in der Halle Versammelten auf. „Das ist kein Jubel, dass ihr geht“, sagte Versammlungsleiter Benjamin Hoff, „das ist aufrichtiger Dank für die Arbeit von euch“.
Damit endete die knapp neunjährige Amtszeit von Kipping und Riexinger. An diesem Samstag werden die neuen Vorsitzenden gewählt. Dann beginnt ein neues Kapitel.
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