Parteitag der Grünen: Noch kurz durchhalten
Die Umfragen geben es nicht her, trotzdem reden die Grünen auf dem Wahlparteitag von der Kanzlerinnenschaft. Eine gewisse Nöligkeit ist aber zu spüren.
Dafür sind solche Veranstaltungen ja auch da. Auf dem kleinen Parteitag mit rund 100 Delegierten werden eine Woche vor der Wahl weder wegweisende Beschlüsse getroffen noch Grundsatzfragen ausdiskutiert. Stattdessen hält die versammelte Parteiprominenz vier Stunden lang Wahlkampfreden, die als Parteitag gelabelt mehr Sendezeit erhalten als es bei einem beliebigen Marktplatzauftritt der Fall wäre. Winfried Kretschmann spricht zu diesem Anlass, Claudia Roth, die Spitzenkandatinnen der Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, Robert Habeck und natürlich Annalena Baerbock. Von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wird sie trotz Umfragewerten um die 16 Prozent nach wie vor als „unsere erste Kanzlerkandidatin“ anmoderiert.
Die zentrale inhaltliche Botschaft in der Rede der Parteichefin: Vor uns und unserer Klimapolitik muss niemand Angst haben, wir können sowohl als auch. Sowohl die Wirtschaft als auch die soziale Gerechtigkeit hätten die Grünen im Blick. „Das geht Hand in Hand. Klimaschutz sichert Arbeitsplätze, unseren Industriestandort und damit den sozialen Wohlstand“, sagt Baerbock.
Um den Vorwurf der Wirtschaftsfeindlichkeit zu entkräften – auf dem parallel stattfindenden FDP-Parteitag warnt Christian Lindner mal wieder vor „Klimaschutz by Bullerbü“, der den Wohlstand gefährde – war vor Baerbock schon der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die Bühne gestiegen. „Wenn eine Partei weiß, wie man klimagerechten Wohlstand schafft, dann sind wir es“, sagte er und setzte zu einer Aufzählung an, die mit Next-Generation-Batterien startete und mit Quantencomputern endete.
Gegen den Vorwurf wiederum, in sozialen Fragen einen blinden Fleck zu haben, bieten die Grünen am Nachmittag unter anderem Frank Bsirske auf. Der Ex-Verdi-Chef kandidiert als Grüner für den Bundestag. Demokratien seien stärker, sagt er, wenn die Ungleichheit gering ist. Außerdem stimmt der Parteitag dem Leitantrag des Bundesvorstands zu. Er trägt den Titel „Sozialpakt für klimagerechten Wohlstand“ und beinhaltet ein Best-of der sozialpolitischen Forderungen aus dem Wahlprogramm, zum Beispiel die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, eine leicht verschärfte Mietpreisbremse und 50 Euro mehr im Monat beim Hartz-IV-Regelsatz.
Die Fehler der anderen
Neben diesen Inhalten und den Durchhalteparolen schwingt an diesem Sonntag zwischendurch aber auch noch etwas anderes mit: eine gewisse Nöligkeit angesichts des Wahlkampfs und der aktuellen Lage der Partei. „Man liest schon so einiges, auch die Wahlanalysen, auch wenn die Wahl erst in einer Woche stattfindet, aber spannend“, klagt Baerbock zwischendurch. Später am Tag wird sich Co-Parteichef Robert Habeck dann noch darüber beschweren, dass wegen der anderen Parteien im Wahlkampf nicht die richtigen Themen diskutiert worden seien.
„Irgendwas war nicht richtig in diesem Wahlkampf“, sagt er zu Beginn seiner Rede. Dieser Satz klingt erst einmal spannend, eine ehrliche Fehleranalyse der Grünen wäre ja tatsächlich interessant. Eine Woche vor der Wahl liefert Habeck das in aller Öffentlichkeit aber natürlich doch nicht. Stattdessen beklagt er sich darüber, dass trotz bester Ausgangsbedingungen der Klimaschutz in den letzten Wochen nicht den richtigen Stellenwert bekam. „Es wurden Popanze aufgebaut, die verhindern sollten, dass ein Wettbewerb um die zukünftige Gestaltung dieses Landes beginnt.“ Am Ende ruft er die Partei dann übrigens noch dazu auf, „für Annalena“ zu kämpfen. Vom Kanzleramt sagt er aber nichts mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“