Parteitag der FDP: Wieder eine One-Man-Show
Christian Lindner plädiert auf dem Parteitag der Liberalen für mehr Europa und mehr Frauen in der FDP. Nach seiner Rede leert sich der Saal.
Um die Freien Demokraten ist es seit dem Scheitern von Jamaika ruhiger geworden. Die liberale Opposition interessiert wenig, wenn sich die Große Koalition streitet, die Grünen eine neue Parteispitze haben und die AfD auf Krawallkurs ist. Lindners Antwort auf dem Parteitag war eine Rede, in der er die Außenpolitik nach vorne stellte. Wir sind die Partei in der Tradition Hans-Dietrich Genschers, die Deutschland verantwortlich führen kann, hieß das.
„Wenn Deutschland sich nicht bewegt, wird sich auch in Europa nichts bewegen“, sagte er. „Jetzt ist Leadership nötig.“ Merkel habe auf Macrons Initiativen zu Europas Neustart nur vage reagiert: „Wenn Kohl und Genscher 1989 die gleiche Zögerlichkeit gehabt hätten wie Merkel heute, wäre es nicht zur Deutschen Einheit gekommen. Es ist Zeit für das deutsche Ja zu Europa“, sagte Lindner.
Vor allem die ökonomischen Initiativen Macrons wie ein eigenes Budget für die Eurozone für Europa sieht die FDP immer noch kritisch. Lindner befürwortete aber „ein europäisches FBI, einen EU-Haushalt mit Schwerpunkt bei Zukunfstechnologien“ und eine gemeinsame Verteidigung im Rahmen der Nato.
Kontroverse zwischen Kubicki und Lindner
Im Vorfeld des Parteitages hatte vor allem die Kontroverse zwischen Parteivize Wolfgang Kubicki und Lindner zur Russland-Politik für Schlagzeilen gesorgt. Kubicki forderte die teilweise Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, während die FDP-Mehrheit und Lindner Russland nur wieder in die G8 aufnehmen wollen. „Eine Konfrontation mit Russland kann niemand wollen, aber genausowenig können wir Völkerrechtsbrüche tolerieren“, sagte Lindner in Anspielung auf die Krim-Besetzung. „Wie in Russland gedacht wird, zeigt die Verweigerung der Einreise für einen anerkannten Journalisten wie Hajo Seppelt.“
Die Außenpolitiker der FDP würden von Kubickis Vorschlägen abraten, weil das die Hardliner im Kreml stärken würde. Er sehe das auch so. Die von Kubicki angestoßene öffentliche Kontroverse verteidigte Lindner aber: „Ein Meinungsspektrum macht uns nicht schwach, sondern stark. Niemand der hier eine am Ende unterlegene Meinung vertritt, ist am Ende beschädigt.“ Über einen Antrag von Kubicki zur Russland-Politik soll später auf dem Parteitag abgestimmt werden.
Zweites Thema: Frauen in der FDP. „Weil wir wachsen wollen, müssen wir bei Frauen stärker werden. Denn es wählen uns mehr Männer als Frauen.“ Über eine Quote für Vorstandsämter denkt die FDP daher ergebnisoffen nach, die Entscheidung soll zu einem späteren Zeitpunkt fallen. Dennoch sei dies keine Anpassung an grüne Vorstellungen: „Grüne und Linke wollen tendenziell jeden Unterschied zwischen Geschlechtern verwischen. Die FDP ist die Alternative für Frauen, die selbstbestimmt leben wollen und die sich von jeder Form der Gender-Ideologie freimachen wollen“, sagte er.
Die Grünen bekamen diesmal weniger als gewohnt ihr Fett ab – die nächsten Jamaika-Verhandlungen in vier Jahren brauchen schließlich eine Entgiftung des Verhältnisses zwischen Grünen und Liberalen. Dafür boten die Feiern zum 200. Geburtstag von Karl Marx den willkommenen Punchingball: „Man kann sich ja nur über Elogen auf Marx wundern. Haben wir vergessen, dass im Namen von Marx Millionen Menschen in Unfreiheit gelebt haben. Das ist kein Grund zu feiern. Ein Land, das sich mehr mit Karl Marx als mit Blockchain beschäftigt, ist dabei den Anschluss zu verlieren.“
Gedämpfte Digitalisierungseuphorie
Das war das dritte Thema, wie schon bei den Parteitagen zuvor: die FDP als Digitalisierungspartei. „Innovation Nation“, heißt das Parteitagsmotto diesmal. „Unser Land ist dabei die Grundlagen für seinen zukünftigen Wohlstand zu verspielen. Mit ‚Innovation Nation‘ stellen wir die Wohlstandsfrage dieser Gesellschaft. Wir sehen, was für riesige Arbeitgeber die Digitalkonzerne geworden sind. Also sorgen wir dafür, dass die Arbeitsplätze bei uns entstehen.“
Erstmals mischte sich aber auch deutliche Kritik in Lindners Digitalisierungseuphorie: Das FDP-Plakat „Digital first, Bedenken second“ sei wohl im Überschwang entstanden, die Rede von Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress eine Zäsur gewesen. Der Facebook-Gründer hatte dort angekündigt, mit einer Software zukünftig Hasspostings auszusondern. „Was macht es mit uns, wenn ein kommerzielles Unternehmen entscheidet, welche Meinung wir äußern dürfen und welche nicht“, sagte Lindner.
Kritiken, der Liberalismus sei „auserzählt“, wies er zurück. „Liberalismus war zu jeder Zeit die umfassende Antwort auf Unfreiheit. Wir brauchen kein neues Narrativ“, schloss Lindner. Aber mehr Redner, die die eigenen Delegierten im Saal halten können, braucht die FDP auf jeden Fall.
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