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Parteitag der Berliner GrünenMachtproben der Ultra-Realos

Bei ihrem Landesparteitag üben sich die Grünen in konstruktiver Krawalllosigkeit. Die Gräben zwischen Linken und Ultra-Realos überbrückt das nicht.

Einstimmig angenommen: der Antrag für den Kampf gegen Rechtsextremismus Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin taz | Die Hauptstadt-Grünen bekennen sich weiterhin zur Umsetzung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“: Das ist eine der Botschaften, die am Samstag von ihrem Landesparteitag im Estrel-Hotel in Neukölln ausging. Und diese Botschaft ist keineswegs so selbstverständlich, wie sie zunächst klingt.

Die Unterstützung für den erfolgreichen Vergesellschaftungs-Volksentscheid von 2021 sei ja schön und gut, aber das könne die Partei ja nun beenden, forderten die „Grüne Realos Mitte“, kurz „Gr@m“, bei dem Parteitreffen. Das war nicht weniger als ein Frontalangriff auf den im Berliner Landesverband traditionell starken linken und enteignungsfreudigen Parteiflügel.

„Als Partei für Mieterinnen und Mieter müssen wir die Realitäten von heute anerkennen“, begründete Tarek Massalme aus dem Kreisverband Mitte für das umstrittene Ultra-Netzwerk „Gr@m“ vor den rund 150 Delegierten das von ihm beantragte Großreinemachen in Sachen „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.

Schwarz-rote Argumente in „Gr@m“-grün

Massalme hatte sich schon in seinem dazugehörigen Parteitagsantrag auf „die finanziellen Risiken einer etwaigen Enteignung“ berufen. Es drohten „untragbare Belastungen für den Berliner Landeshaushalt“ und „drastische Einsparungen an anderer Stelle“, umso mehr, „wenn zugleich die Mieten subventioniert werden sollten“, heißt es in seinem Papier.

In seiner Rede auf dem Parteitag zauberte Massalme noch ein weiteres Argument aus dem Hut: „Vergesellschaftung dämpft keine Mieten, weil sie keine neuen Wohnungen schafft.“ In ähnlicher Weise haben sich bei vielen anderen Gelegenheiten so auch Senatschef Kai Wegner (CDU) und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) geäußert.

Zumindest der linke Flügel wollte beim Thema „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erwartbarerweise weder den Antrag noch die Verteidigungsreden auf sich sitzen lassen.

Für die Parteilinken sagte Katrin Schmidberger, die wohnungs- und mietenpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus: „Ja, die Rahmenbedingungen haben sich verändert, sie sind nämlich für die Mie­te­r:in­nen noch schlimmer geworden. Das heißt, wir müssen handeln, und zwar mit allen Mitteln.“ Dazu gehöre auch die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände profitorientierter Immobilienkonzerne.

Linken-Antrag setzt sich durch

Schmidberger brachte dann auch einen eigenen Gegenantrag ein, in dem sich der Landesverband der Grünen noch einmal klar für die Umsetzung des Volksentscheids von 2021 aussprechen sollte. „Die Ber­li­ne­r:in­nen haben schon eine lasche, unzuverlässige Regierung, für die der Mieterschutz nur eine leere Worthülse ist, sie brauchen nicht auch noch so eine Opposition“, rief sie sichtlich angefressen Massalme und seinen Un­ter­stüt­ze­r:in­nen zu.

Der Antrag Schmidbergers bekam in der folgenden Abstimmung per Handheben schließlich eine Mehrheit von mehr als 70 Stimmen. Zugleich votierten aber immerhin auch über 50 Delegierte für den Antrag der „Gr@m“-Gruppe um Massalme. Obgleich sich die Parteilinken damit klar durchsetzten: Eine überwältigende Absage an den Kurs der auf Landesparteitagen bislang weitgehend einflusslosen Ultra-Realos sieht anders aus.

Der gut achtstündige Parteitag war das erste große Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Flügel und Kreisverbände seit der Chaos-Wahl einer neuen Landesspitze im Dezember vergangenen Jahres. Zur Erinnerung: Die ursprüngliche Kandidatin des Realo-Flügels fiel durch – und das drei Wahlgänge hintereinander: Tanja Prinz aus dem Kreisverband Tempelhof-Schöneberg scheiterte derart krachend, dass sie am Ende unter Tränen den Saal verließ. Der Parteitag wurde unterbrochen. Auch der zweite Platz in der Doppelspitze, für den erneut Parteichef Philmon Ghirmai kandidierte, blieb dadurch vorerst unbesetzt.

Bei einem nächsten Wahlgang mehrere Tage darauf holte mit Nina Stahr aus Steglitz-Zehlendorf eine Kandidatin der Realos zwar bereits im ersten Rutsch fast 90 Prozent der Delegiertenstimmen. Ghirmai wurde mit rund 74 Prozent wieder gewählt. Die Nerven lagen dennoch blank. Hier die Linken und die gemäßigten Realos, zu denen Stahr gehört, dort „Gr@m“. Letztere hatten Prinz unterstützt und erklärten sich nach ihrer Niederlage zu Opfern hinterhältiger Diffamierungskampagnen.

Aufarbeitung des letzten Chaos-Parteitags

Landeschef Philmon Ghirmai sagte am Samstag, er und Nina Stahr hätten seit Dezember „sehr konstruktive“ Gespräche geführt. Er sei froh, dass die Berliner Grünen in der Lage seien, „das Geschehene aufzuarbeiten“. Was wiederum zeige: „Wir machen als Partei unsere Hausaufgaben und wir arbeiten mit einem gemeinsamen Willen und großem Respekt an uns und unseren Strukturen.“

Tatsächlich versuchten sich die Delegierten im Estrel nach außen hin in Diszipliniertheit. Selbst die Debatte um „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ – so engagiert die Redebeiträge waren – lief nicht aus dem Ruder, wie nach den Erfahrungen beim Parteitag im Dezember durchaus zu vermuten war.

Die Parteitagsregie hatte freilich auch ordentlich darauf hingewirkt, indem sie mit ihrem Leitantrag schwerpunktmäßig auf ein Thema setzte, das geeignet war, große Einigkeit herzustellen: der Kampf gegen AfD, Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und Queerfeindlichkeit, dazu ein konsequentes Vorgehen gegen Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen in Polizei, Justiz und Verfassungsschutz. Faktisch alles grüne Selbstverständlichkeiten.

Trotzdem gab es im Vorfeld sogar hier parteiinternen Knatsch zwischen dem linken Flügel und den „Gr@m“-Leuten. Während die Ultra-Realos die Arbeit des Verfassungsschutzes über den grünen Klee lobten, forderten die Linken und gemäßigte Realos eine grundlegende Neuordnung der Sicherheitsarchitektur auf Landesebene.

Nina Stahr erklärte in ihrer Rede, sie freue sich, dass es gelungen sei, die verschiedenen Positionen in einem modifizierten Leitantrag „zusammenzubinden“. Am Ende sei so „etwas wirklich Gutes“ rausgekommen.

Effektive Alternative zum Verfassungsschutz

„Es ist kein Geheimnis, dass wir den Verfassungsschutz kritisch sehen“, verdeutlichte Stahr noch einmal die Sichtweise des Landesvorstands, die genau so auch Eingang in die Neufassung fand. Das Lob des „unverzichtbaren Beitrags“ der Verfassungsschützer:innen, den „Gr@m“ unbedingt in den Leitantrag schreiben wollte, sucht man dafür vergebens.

So werben die Grünen nun für eine „effektive Alternative als Weiterentwicklung der bestehenden Verfassungsschutzarchitektur“. Mit dem Wort „Alternative“ als freundliche Umschreibung für Abschaffung des Verfassungsschutzes als Fernziel könne er leben, sagte am Rande des Parteitags ein Vertreter des linken Parteiflügels zur taz.

Konkret soll der Nachrichtendienst nach dem Willen der Landes-Grünen künftig in „zwei Säulen“ aufgespalten werden: ein unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung und ein von polizeilichen Aufgaben klar abgegrenzter nachrichtendienstlicher Verfassungsschutz. Denn klar sei: In seiner jetzigen Form habe der Verfassungsschutz zu oft nicht funktioniert.

Warum auch immer, „Gr@m“ revoltierte nicht. Der Leitantrag wurde ohne Gegenstimmen und bei nur vier Enthaltungen angenommen. Der Ausgang der Abstimmung über den Vergesellschaftungs-Volksentscheid zeigte gleichwohl eines: Der Samstag dürfte längst nicht das Ende der Debatte sein – und in der geht es um mehr als um den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Es geht um Macht im Landesverband.

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6 Kommentare

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  • Das Szenario der grünen Mehrheit um Katrin Schmidberger sieht nach der grünen Regierungsübernahme/ Beteiligung 2026 dann etwa so aus. Enteignungsgesetz bis Ende 27, darauf sofortige Klagen der Wohnungsbauunternehmen (bei Unternehmen wie Heimstaden aus dem EU-Ausland geht es dann bis zum EugH), Entscheidungen der letzten Instanz dann so bis 2032. Bei den Wahlen 2031 bittet Bau-Senatorin Schmidberger dann um Geduld und gibt sich überzeugt, dass die Entschädigungen trotz des angespannten Umfeldes (private Bauträger haben das Bauen nahezu eingestellt, aufgrund der Massenflucht aus der Ukraine hat sich die Wohnsituation inzwischen noch einmal drastisch verschlechtert und zu massiven Mietsteigerungen geführt) im Rahmen liegen werden. Nach dem Verdikt der Richter über eine marktgerechte Entschädigung und der Insolvenz von staatlichen Wohnungsbaugesellschaften, die trotz Inflation weiter zu 6,50 € qm vermieten müssen, verlangt die Senatorin neben einem Bundeszuschuss ein sofortiges Sondervermögen, die Erhöhung der Grunderwerbs- und Grundsteuer, eine Vermieter-Sonderabgabe usw. Zudem wird in allen Senatsverwaltungen außer Soziales, Fahrradwege und energetische Sanierungen eine globale Minderausgabe von 10% verordnet, Deutsche Oper und Volksbühne werden geschlossen...

    Pünktlich zu den Wahlen 2036 ist dann alles in trockenen Tüchern und Berliner Mieter sind auf Dauer auf der Sonnenseite des Lebens. Die Grünen erhalten 51% der Wählerstimmen und die Bausenatorin wird zur ersten Bürgermeisterin befördert.

  • Der Begriff "Realos" ist vollkommen ungeeignet zur Beschreibung derer Positionen.



    Das hat wenig mit Realpolitik zu tun, sondern ist einfach nur Politik aus der neoliberalen Mottenkiste.



    Diesen "Realos" geht es um dasselbe wie der FDP: die Reichen reicher machen auf Kosten aller anderen.



    Und da diese bundesweit den Ton in der grünen Partei angeben, (jahrelang waren zwei dieser Realos Parteivorsitzende - Baerbock & Habeck), ist dies auch weitestgehend Parteilinie.



    Umweltschutz dient hier nur als Feigenblatt, um Wähler anzusprechen, die eigentlich damit nichts zu tun haben wollen. Die Grünen sind die größten Wählertäuscher in diesem Land.

  • In einer ARD-TV-Doku zur Wohnungsnot wird auf eine Studie der Universität München verwiesen, wonach 20 Prozent der Mieter in München klagen könnten, weil ihre Miete weit über dem Mietspiegel liegt.



    Auf die Verantwortung des Staates auf diesen masssiven Missstand angesprochen verwies Wohnungsbauministerin Geywitz darauf, dass der Staat keine Nanny sei und nicht in eine freie Vertragsbeziehung zwischen dem Besitzer einer Wohnung und dem jeweiligen Mieter eingreifen könne.



    Diese neoliberale Unverschämtheit der wichtigsten SPD-Wohungsbaupolitikerin prangerte kein Politiker der Grünen an.



    Die Grünen Realos Mitte schon gar nicht, denn ihnen ist der Kampf gegen massive jahrzehntelange Wohnungsspekulation in Berlin, massenweise kriminelle Entmietung, Gentrifizierung, hundertausende fehlende Sozialwohnungen egal, weil sie als Gutverdienende in ihren durchsanierten - oftmals von Mama und Papa finanzierten - Eigentumswohungen in Berlin-Mitte leben, wo vielleicht noch 5 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung der DDR leben.

    • @Lindenberg:

      Was ist denn daran neoliberal, wenn jemand klagen kann?

  • Klar durchgesetzt mit 70 zu 50 Stimmen? Für mich deutet es darauf hin, dass weite Teile einer Enteignung kritisch gegenüberstehen und verstärkt auf Neubau setzen wollen, was die Ultralinken ja vehement verhindern.

    • 0G
      09399 (Profil gelöscht)
      @eicke81:

      Niemand verhindert Neubau. Aber Neubau allein ist keine Lösung, um die noch halbwegs bezahlbaren Bestandsmieten zu schützen. Die durchschnittliche Bestandsmiete liegt bei etwas mehr als 7 Euro/qm. Die Angebotsmieten für neu gebaute Wohnungen sind doppelt so hoch. Das Problem: Die Wohnungskonzerne erhöhen möglichst schnell die Bestandsmieten. Und für dieses Problem gibt es leider nur eine Lösung: Die Vergesellschaftung, für die in Berlin eine klare Mehrheit der Bevölkerung gestimmt hat. Es ist ein Skandal dass diese Wahl von der aktuellen Regierung missachtet wird. Und es ist gut, dass die Grünen sich als demokratische Partei dieser Wahl erneut angeschlossen.