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Parlamentswahlen in FrankreichMacrons Mehrheit wackelt

Das Lager des Präsidenten liegt nach den Parlamentswahlen hauchdünn vor dem Bündnis des Linken Mélenchon. Die Wahlbeteiligung sinkt auf ein Rekordtief.

Braucht er bald Koalitionspartner? Präsident Macron bei der Abgabe seiner Stimme am 12. Juni

Paris taz | Nach der Bekanntgabe der Hochrechnungen und Teilergebnisse des ersten Durchgangs der Abgeordnetenwahl in Frankreich mahnte Staatspräsident Emmanuel Macron in einer ersten Stellungnahme seine politische Familie zu „Demut“. Der erst kürzlich wiedergewählte Präsident muss nämlich befürchten, dass er nach den Stichwahlen in einer Woche seine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verliert. Insgesamt zeichnete sich am Sonntagabend ein Vormarsch der vereinten Linksparteien ab.

Die meisten Kan­di­da­t*in­nen der bisherigen regierenden Mehrheit haben nicht sonderlich gut abgeschnitten. Premierminister Elisabeth Borne allerdings hat in ihrem Wahlkreis in der Normandie mit mehr als 34 Prozent der Stimmen gute Aussichten für die Stichwahl, doch andere der 15 kandidierenden Regierungsmitglieder gehen mit einem beträchtlichen Rückstand in die zweite Runde.

So geht der bisherige Europaminister Clément Beaune am kommenden Sonntag in Paris mit geringen Chancen in das Wahlduell gegen eine linke Kandidatin. Der frühere Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer ist als Kandidat sogar auf Anhieb aus der Stichwahl ausgeschieden.

Dagegen liegt die „Neue Ökologische und Soziale Volksunion“ (NUPES) mit 25,7 Prozent gleichauf mit der Allianz der Regierungsparteien „Ensemble!“ („Zusammen!“) von Macron, die 25,8 Prozent erzielt hat. Die Kandidaten des Rassemblement National der Rechtspopulistin Marine Le Pen fallen im Landesdurchschnitt mit rund 19 Prozent auf die dritte Stelle zurück, und die Konservativen, Les Républicains und Verbündete, können sich mit 11,4 Prozent noch halten.

Macrons Mehrheit schrumpft

In der Mehrheit der 577 Wahlkreise, wo je ein Sitz in der Nationalversammlung zu vergeben ist, kommt es eine Woche später zu Stichwahlen. Zur Sitzverteilung aufgrund der Resultate der ersten Runde liefern die Umfrageinstitute aber bereits Schätzungen: Macrons bisherige Parlamentsmehrheit dürfte demzufolge ziemlich schrumpfen.

Statt bisher 347 Sitze könnten die Regierungsparteien laut dem Sender BFM nur noch zwischen 258 und 298 Mandate erringen. Die absolute Mehrheit, die Macron das Regieren erleichtern würde, liegt bei 289. Die NUPES könnte in derselben Hochrechnung 170 bis 220 Sitze bekommen. Damit würde sie ihr hochgestecktes Ziel, selbst eine Mehrheit gegen Präsident Macron zu erobern, zwar verfehlen, aber zweifellos einen Achtungserfolg erringen und zur wichtigsten Kraft in der Opposition werden.

Marine Le Pens RN hatte bisher nur 4 Sitze und kann nun mit bis zu 65 Abgeordneten rechnen. Sie selbst triumphierte in ihrer nordfranzösischen Wahlhochburg Hénin-Beaumont mit 54 Prozent. Ihr rechtsextremer Rivale bei den Präsidentschaftswahlen, Eric Zemmour, schied dagegen in einem Wahlkreis bei Saint-Tropez in Südfrankreich als Dritter aus der Stichwahl aus. Seiner Partei „Reconquête“ werden null Sitzgewinne vorausgesagt.

Historisch tiefe Wahlbeteiligung

Etwas besser als befürchtet haben die konservativen Kandidaten von Les Républicains und die mit ihnen verbündeten Zentristen der UDI abgeschnitten. Die Partei von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy steckt in einer Existenzkrise. Von ihren bisherigen 100 Sitzen könnten sie nun mehr als die Hälfte oder sogar bis zu 80 retten. An sie dürfte sich Präsident Macron wenden, falls er in einer Woche keine absolute Mehrheit mehr haben sollte und deswegen Unterstützung oder Koalitionspartner braucht.

Noch ist vieles offen. Denn die Wahlbeteiligung ist mit 47,5 Prozent auf einen historischen Tiefpunkt gesunken, der in den französischen Medien bereits als Armutszeugnis für die Demokratie gewertet wird. Alle für die Stichwahlen qualifizierten Sitz­be­wer­be­r*in­nen hoffen deshalb, dass vor allem sie ihre Sympathisanten in den kommenden Tagen mobilisieren können. Auf eine wirkliche Dynamik setzt die NUPES, die sich selbst zur Etappensiegerin erklärt hat. Ihre Resultate bestätigen, dass Dank der wiedergefundenen Einheit die Linke in Frankreich wieder eine politische Hauptrolle spielen kann.

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5 Kommentare

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  • Wer hätte das gedacht. Die Linke ist angetreten und wird ernst genommen. Der große Rutsch ist nicht gelungen, aber verglichen mit der Situation der linken Parteien vor drei Monaten hat sich alles radikal verändert. Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass NUPES das Themenmanagement in den Griff bekommen hat, Macron muss reagieren, er wird nicht einfach so regieren können. Das ist für Frankreich schon mal ein Schritt nach Vorne. Zweifelos ist die niedrige Wahlbeteiligung eine Herausforderung, aber das spielt für die Verteilung der Sitze dann erstmal keine Rolle, es wird so oder so eine Regierung gebildet.



    Und selbst wenn NUPES nicht die Regierung stellen kann, sie können als Opposition mächtig Druck machen. Was sie auch tun müssen, denn ungeachtet des Denkzettels für Macron - wird er einen neoliberalen Weg gehen wollen, der vor allem auf Kosten der unteren Mittelschicht erfolgen soll. Bisher konnte sich diese Schicht noch gegen solche Versuche wehren, aber jetzt wird es eng, da Macron seine letzte Amtszeit hat und sowieso nicht mehr regieren kann, er kann alles gefahrlos probieren und machen.

  • Die tatsächliche Wahlbeteiligung ist noch DEUTLICH niedriger,als die 47,5 %!



    Meist wird vergessen, dass sich die Franzosen aktiv ins Wählerverzeichnis einschreiben müssen,d.h. dass etwa 20 -30 % der Wahlberechtigten nicht eingeschrieben sind.



    Ausserdem ist das Wählen auch sehr kompliziert gemacht.Wenn man am Wahltag keine Zeit hat muss man aufwendig jemandem die Vollmacht geben. Da ist es in D deutlich einfacher.



    Hinzu kommt, dass vielen Bürgern auch nicht klar ist wofür die diversen neuen Parteien,Gruppierungen stehen und das,was die letzten Jahre von ALLEN etablierten Parteien abgeliefert worden ist,ist überwiegend traurig.



    Ein Zahlenbeispiel aus einem Wahlkreis der französischen Provinz: Hochsavoyen Wahlberechtigt: 115.000.



    Eingeschrieben: 88.000,



    Gewählt: 40.400



    Gültige Stimmen: 39.700



    Die beiden Kandidatinnen,die sich für die nächste Runde kommenden Sonntag qualifiziert haben hatten 9.800 bzw. 9.100 Stimmen. Also reichen ca. 8 % der Wahlberechtigten,um einen Platz im Parlament zu bekommen...



    www.lefigaro.fr/el...irconscription-03/

  • Reißerische Überschrift, at its best. Warum nicht? Die Linke verfehlt knapp die Mehrheit?

  • Bei aller Ratlosigkeit, die bei Wahlen fast überall in den westlichen 'Demokratien' so deutlich wird , so zeigt ein Linksbündnis ein klein bisschen Hoffnung. Auch wenn die Wahlbeteiligung wieder einmal schwächer wurde, sind zumindest weniger Wähler*innen nach rechts abgewandert, als zu befürchten war. Wieder einmal zeigen Wahlen eine gefährliche Lethargie gegenüber der Klimakatastrophe, bei der ja nur geeint und weltumspannend das Allerschlimmste noch verhindert werden könnte. Wo ist der Funke und wer zündet im Kampf gegen die globalen Player, denen es stets um Profit zu Lasten von Umwelt und Überlebensbedingungen geht ? Warum lassen die älteren Generationen die Aktivisten von Fridays so im Stich, obwohl auch ihre Altersversorgung quasi über Nacht dahinschmilzt, wenn wir die Schlote nicht umgehend stilllegen ?

  • -?-..die Wahlbeteiligung ist mit 47,5 Prozent auf einen historischen Tiefpunkt gesunken, der in den französischen Medien bereits als Armutszeugnis für die Demokratie gewertet wird"

    Was ist da los-wovon kommt das??.



    Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt eine Lebensweisheit.



    Das bedeutete dann in diesem Fall, dass die Überzeugung, die Demokratie sei das beste politische System, sich wohl radikal abgelebt haben dürfte! Wahlbeteiligungen nur noch in der Nähe von, oder sogar unter 50%, sind ein Menetekel, dass das ganze demokratische Getue von der Bevölkerung "gewogen u für zu leicht befunden" worden ist.



    Das wird wohl daran liegen, dass hier bei uns im Westen, die mündigen Bürger es hilflos erleben mussten , dass die führenden Parteien unseres besonderen Demokratie-Getues das Ganze so nach und nach zu einer unzweifelhaften Schummelware herabgewirtschaftet haben.



    Sowas kommt von Sowas.