Parlamentswahl in Österreich: Sebastian Kurz, der Austro-Messias
Altkanzler Sebastian Kurz wird voraussichtlich nach der Wahl am Sonntag wieder Regierungschef werden. Wie hat das der ÖVP-Chef geschafft?
Türkis, das ist die Farbe von Sebastian Kurz’ ÖVP, dem gestürzten österreichischen Kanzler. Weil seine Regierungskoalition mit der rechten FPÖ im Mai an der „Ibiza-Affäre“ zerbrach, wählt Österreich am Sonntag ein neues Parlament. Und die Kurz-Anhänger dürfen sich freuen. Laut Umfragen dürfte seine ÖVP mit Abstand stärkste Kraft – und Österreichs jüngster Altkanzler bald wieder die Regierungsgeschäfte leiten.
„Die Stimmung ist sehr gut, wir sind überall in Wien unterwegs und guter Dinge, dass es ein gutes Wahlergebnis wird“, sagt dementsprechend Johanna Sperker, ÖVP-Bezirksrätin im bürgerlichen Bezirk Hietzing. „Wer Kurz will, muss Kurz wählen“, lautet die ebenso schlichte wie eingängige Botschaft an das Wahlvolk. Der Kandidat ist das Programm.
Landauf, landab lächelt Kurz von türkisfarbenen Plakaten und verspricht, die Politik, die durch den Zusammenbruch der Regierung unterbrochen wurde, fortzusetzen. Der Wahlkampf unter dem Titel „Wir für Kurz“ soll suggerieren, dass die alte ÖVP zu einer dynamischen Bewegung geworden ist. Eine Bewegung, die das Parlament nicht aufhalten kann. Schließlich hat eine Mehrheit im Nationalrat Ende Mai dem Kabinett Kurz das Misstrauen ausgesprochen – und damit auch dem Kanzler das Amt entzogen.
Verachtung fürs Parlament
Ein legitimer Vorgang in einer Demokratie. Kurz’ Wahlkampfteam macht daraus einen Eingriff in die Souveränität des Volkes: „Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden“, lautet ein ÖVP-Slogan. Die Kurz’sche Verachtung für die Volksvertretung zeigte sich schon, als er noch Kanzler war. Mitunter spielte er gelangweilt mit seinem Handy, während Oppositionelle seine Politik kritisierten. Da war es nur konsequent, dass er nach seiner Abwahl auch sein Nationalratsmandat nicht annahm, sondern sich auf die Reise durch die Bundesländer begab, um „mit den Menschen“ zu sprechen.
Mit seinen 33 Jahren ist Sebastian Kurz gleichzeitig der jüngste Spitzenkandidat bei den Nationalratswahlen und der mit der längsten Regierungserfahrung. 2011 holte ihn der damalige ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger als Staatssekretär für Integration in die Regierung. Der junge Mann, der sein Jurastudium wegen politischer Betätigung schleifen ließ, war während des Wahlkampfs in Wien 2010 aufgefallen, weil er sich routiniert zu artikulieren verstand. Seit frühester Jugend rhetorisch geschult, kommt er fast ohne Ähs und Ahs aus und spricht in eingängigen Sätzen.
Als Chef der Jungen ÖVP (JVP) tourte er damals mit einem schwarzen „Geilomobil“ durch die Bundeshauptstadt und verteilte Kondome in der – damaligen – Parteifarbe schwarz. In einer katholisch geprägten Partei, die sich mit dem Thema Sexualität noch immer schwertut, ist das so ziemlich das Frechste, was ein Jungpolitiker so machen kann. Dem 25-jährigen Staatssekretär schlug anfangs Misstrauen vonseiten vieler NGOs entgegen. Doch siehe da: Kurz setzte Initiativen, gewann erfolgreiche Promis mit Migrationshintergrund für einen Imagewechsel des Zuwanderers und setzte sich für eine Erhöhung der dürftigen Entwicklungshilfe ein.
Die Flitterwochen endeten, als Kurz in der folgenden Regierung zum Außenminister avancierte und bald mit dem Flüchtlingssommer 2015 konfrontiert war. Mit seinem feinen Gespür für opportune Politik witterte er die Stimmung im Land und machte die Migrationsabwehr zu seinem Thema. Ungezählte Male prahlte Kurz damit, er habe die Westbalkanroute quasi im Alleingang geschlossen.
Plötzlich hart beim Thema Migration
Nicht ohne Grund ließ Kurz den Hardliner beim Thema Migration raushängen. Die ÖVP drohte unter die 20-Prozent-Marke zu rutschen. Umfragekaiser war monatelang Heinz-Christian Strache mit seiner rechten FPÖ, der das Thema „Ausländer“ besetzt hatte. Was dann folgte, beschreibt der damalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in seiner aktuellen Autobiografie als „Machtergreifung“ und „Umsturz“ – von und durch Sebastian Kurz. „Kurz hatte das Grand Design im Mai 2016 schon im Kopf, das er dann im Jahr 2017 auch umsetzte. Ich sollte für ihn die Koalition aufkündigen und den Schwarzen Peter nehmen, damit er unbefleckt in Neuwahlen gehen könne.“ So Mitterlehner in seinem Buch.
Als er abgelehnt habe, sei es zum endgültigen Bruch gekommen. Mitterlehner schreibt über „Mobbing“ und „Intrigen“ sowie „teilweise frei erfundene“ Geschichten, die über ihn in den Boulevard lanciert worden seien. Mitterlehner warf jedenfalls im Mai 2017 genervt das Handtuch, und die Partei hob den jungen Hoffnungsträger auf den Schild. Der ließ sich von der ÖVP mit weitgehenden Vollmachten und Durchgriffsrechten ausstatten und die Koalition mit der SPÖ platzen. Oberflächlich verwandelte er die verknöcherte „schwarze“ Partei in eine hippe „türkise“ Bewegung. Und hatte damit Erfolg: In den Umfragen schnellte die ÖVP über Nacht über die 30-Prozent-Marke.
Der neue Schwung war für viele ein Grund, Kurz zu wählen. Gerade bei jenen Konservativen, die den rechten Strache verhindern wollten. Dass Kurz die FPÖ mit in die Regierung holen würde, hätten viele sich nicht erträumt. Unter dem Hashtag #KonservativeMitAnstand haben viele von ihnen Videos ins Netz gestellt, auf denen sie ihre Entscheidung begründen, diesmal nicht ÖVP zu wählen.
„Er ist ein junger Politiker, der den Leuten auch zuhört“, sagt der 18-jährige Philipp Stadler, der im Einkaufszentrum im Wiener Westen Freundschaftsbänder verteilt. Deshalb unterstütze er Kurz. Stadler, der im ersten Semester Wirtschaftsrecht studiert, ist seit drei Jahren bei der JVP aktiv, die unter Kurz zu einem der wichtigsten Rekrutierungspools für politisches Personal geworden ist. Auf der eigenen Homepage heißt es, „mit über 100.000 Mitgliedern“ sei sie „die größte politische Jugendorganisation Österreichs“.
Plötzlich hippe Bewegung
Der Politologe Anton Pelinka sieht einen entscheidenden Wandel, der sich unter Kurz vollzogen habe: „Die junge ÖVP war in der Vergangenheit völlig unbedeutend, Karrieren wurden über den Bauernbund, den Wirtschaftsbund oder den Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbund gemacht.“ Das sind die drei wesentlichsten Säulen, auf denen die ÖVP aufgebaut ist. Dass deren Einfluss jetzt zurückgedrängt wurde, nehmen viele im Partei-Establishment dem jungen Shooting-Star übel.
Pelinka sieht einen schwelenden Konflikt zwischen der alten „schwarzen“ ÖVP und der neuen „türkisen“ Partei, die Sebastian Kurz als Bewegung neu erfunden hat. Kritiker sehen in ihr einen Bejubelungsverein für den jungen Parteiführer. Auch die Boulevard machte bei dem Personenkult mit: In manchen Blättern hieß Kurz nur „Basti-Fantasti“. Erst seit dem Ibiza-Video ist etwas mehr Distanz zu spüren.
Zu den weniger glamourösen Seiten der ÖVP will Philipp Stadler, der junge Kurz-Fan, nichts sagen, etwa zum problematischen Wunschkoalitionspartner FPÖ. Berichte über Buchhaltungstricks, die Kosten aus dem Wahlkampfbudget herausrechnen, hält er für substanzlose Spekulationen. Zeitungsberichte, die der ÖVP die Tricksereien vorhalten, hat er nicht gelesen: „Davon weiß ich leider nichts.“ Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Partei findet in der Jungen ÖVP offenbar nicht statt.
Markenzeichen Styling
„Sebastian Kurz ist ein begabter Techniker der Macht mit ausgezeichnetem Beraterstab. Wie Politik im digitalen Medienzeitalter funktioniert, weiß er“, schreibt der pensionierte Radiojournalist Peter Huemer. Kurz ist ständig von einer Armada von PR-Beratern umgeben, die keinen Schritt dem Zufall überlassen. Jedes Händeschütteln, jede neue Aussage werden dokumentiert und fast in Echtzeit über die sozialen Medien der Fangemeinde kommuniziert.
Seine Gestik wirkt zwar antrainiert, wie Verhaltensforscher beobachten, und bei Interviews wirkt er meist angespannt, doch versteht er es, die immer gleichen Sprechblasen wie „Zuwanderung ins Sozialsystem verhindern“ mit großer Routine und Überzeugungskraft vorzubringen.
Nach der Elefantenrunde in einem Privatsender erhielt er von den Zuschauern in fast allen Kategorien die besten Noten, allen voran Kompetenz und staatsmännisches Auftreten. Anton Pelinka ist gnadenlos in seinem Urteil: „Er ist ein Meister der Form, ein Retortenpolitiker, perfekt im Styling.“ Über seine 600-Euro-Rechnung für „Hair Grooming“ – Kurz’ notorischer Haarpflege – schmunzelt die ganze Republik.
Und Kurz' Bilanz?
Johanna Sperker, die ÖVP-Bezirksrätin, sieht das naturgemäß anders. Sie zählt die Erfolge von 17 Monaten Bundeskanzler Kurz auf: „Reform der Mindestsicherung, Familienbonus und Deutschförderklassen eingeführt“. So steht es auch auf den türkisfarbenen Faltblättern, die überall verteilt werden. Gerade in Wien, wo so viele Kinder zu Hause nicht Deutsch sprechen, sei es ein wichtiger Fortschritt, dass Schüler zuerst in separaten Klassen geschult würden bevor sie in ihre Regelklasse zurückdürfen.
Experten sehen das anders, und die Neuerung ist noch zu jung, als dass die Erfahrungen eine solide Evaluierung erlauben würden. Trotzdem darf die Reform in keiner Erfolgsbilanz fehlen.
Egal, wie die Wahl am Sonntag ausgeht, eine erneute Koalition mit den Rechten scheint derzeit kaum vorstellbar. Erst vor wenigen Tagen bezichtigte Ex-FPÖ-Chef Strache Kurz des Wortbruchs. Für Unmut sorgt auch ein Bericht der Boulevardzeitung Österreich, nach dem Ex-Innenminister Herbert Kickl in regelmäßigem Austausch mit den rechtsextremen Identitäten stand. Kurz hat schon angekündigt, Kickl nicht mehr im Kabinett zu dulden. Sollte sich der neue FPÖ-Parteichef Norbert Hofer nicht eindeutiger von Rechtsextremen abgrenzen, sei eine erneute türkis-blaue Koalition ausgeschlossen.
Sebastian Kurz, der Mann mit dem ausgeprägten Sinn für Opportunismus, weiß: Auch wenn eine erneute Regierung mit der FPÖ bei 80 Prozent Themendeckung Sinn machen würde – seinem internationalem Renommee würde das wohl schaden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut