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Parlamentswahl in ItalienFruchtbarer Boden für rechte Parolen

Kommentar von Michael Braun

Viele werten den Erfolg der Rechten in Italien als Votum gegen die EU. So einfach ist es aber nicht. Europa hat im Wahlkampf nur eine Nebenrolle gespielt.

Rechtsbündnis in Italien: Die Fratelli d’Italia sitzen im Europaparlament in einer Fraktion mit der polnischen PiS und der spanischen Vox, während die Lega dort unter anderem mit der AfD verbündet ist

W ar das nun eine Wahl gegen Europa? Am vergangenen Sonntag hat in Italien ein Rechtsbündnis klar gewonnen, dessen stärkste und zweitstärkste Partei – die postfaschistischen Fratelli d’Italia Giorgia Melonis ebenso wie Matteo Salvinis Lega – immer wieder gegen „Brüssel, Paris und Berlin“ und den Euro gewettert haben. Mehr noch: Die Fratelli d’Italia sitzen im Europaparlament in einer Fraktion mit der polnischen PiS und der spanischen Vox, während die Lega dort unter anderem mit der AfD verbündet ist.

Schon deshalb scheint der Schluss auf der Hand zu liegen: Ja, es war eine Wahl gegen Europa. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Die EU und der Euro kamen nämlich im Wahlkampf der Rechten so gut wie gar nicht vor. Wenn jemand über Europa sprach, waren es die Mitte-links-Kräfte, die immer wieder vor der Wahl von „Europafeinden“ warnten, vor der Italien drohenden Isolation in der Union, vor dem Abstieg aus der „Ersten Liga“ an der Seite Frankreichs und Deutschlands in die „Zweite Liga“, in der Polen und Ungarn spielen.

Dieser asymmetrische Wahlkampf zwischen rechts und links steht für zweierlei. Erstens haben die Rechts­wäh­le­r*in­nen kein dezidiert antieuropäisches Votum abgegeben, sondern sich vor allem von innenpolitischen Erwartungen leiten lassen. Zweitens aber verfingen bei ihnen die Warnungen von links vor dem drohenden europapolitischen Schaden nicht.

Das überrascht nicht in einem Land, in dem sich die Stimmung gegenüber der EU in den letzten 15 Jahren völlig gedreht hat. Alle Meinungsumfragen liefern das gleiche Bild: Vom früheren Europa-Enthusiasmus ist wenig übrig. Rund 60 Prozent der Bür­ge­r*in­nen sind der Auffassung, die EU und der Euro brächten dem Land mehr Nach- als Vorteile. Zugleich sagen aber bis zu zwei Drittel der Befragten, dass das Land weder aus der Union noch aus der Gemeinschaftswährung aussteigen solle.

Das Wohlstandsversprechen der immer stärker zusammenwachsenden Union glauben viele in Italien seit der Eurokrise nicht mehr. Es wäre wohlfeil, ihnen vorzuwerfen, dass sie „auf rechte Parolen hereinfallen“. Umgekehrt gilt wohl eher, dass die rechten Parolen in Italien auf fruchtbaren Boden fallen – befruchtet von den Sparzwängen, den Einschnitten bei den Gehältern und der Prekarisierung der Arbeitswelt, in Rom oft genug umgesetzt von Regierungen, in denen die Linke mitwirkte.

Wer dagegenhalten will, gegen den Rechtsdrift und die EU-Skepsis, sollte dies im Hinterkopf behalten. Gefragt sind nicht begeisterte Europaschwüre, sondern eine linke Politik, die die soziale Frage wiederentdeckt und so zu dem alten Prosperitätsversprechen zurückkehrt.

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10 Kommentare

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  • Die Schulden Italiens Ende Juli 2022 betrugen mehr als 2.770 Milliarden. Monatlicher Anstieg ca. 2,5 Mill. (Banca d'Italia, www.soldionline.it...italiano-2022?cp=1. Grösste Posten im Staatshaushalt sind: Gesundheit und Renten. Wenn man sich ansieht, wohin die EU-Gelder PNRR fliessen, dann in Grossprojekte (sog. Infrastruktur), kurz zur Betonfraktion (gutes Beispiel der Hafenausbau in Genua). Darf noch gefragt werden, wer die Kosten der expansionistischen Politiken bezahlen soll? Berlusconi wurde 2011 mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt, als der Spread über 500 lag und der Staatsbankrott vor der Tür. Jetzt versucht man es wieder mal (u.a. schon wieder Tremonti auf der Ministerliste). Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass auch diesmal Staatsbankrott vor der Tür und die gescholtenen 'Märkte' den rechtspopulistischen Raubkapitalismus zusetzen werden, während das Wahlvölkchen noch 'Georgia' und 'nationale Interessen' ruft....

  • Im Hinterkopf sollte man aber auch behalten, dass die Rechtspopulisten eine altbewährte Waffe der Neoliberalen gegen die Linke sind.

    Dafür lassen sie auch, die Geschichte zeigt's, gerne mal was springen.

    • @tomás zerolo:

      Ich kann Ihnen nicht fogen und halte ihren Einwand für faktenfrei.

      Populismusstudien zeigen zum einen, dass Populismus bei der extremen Rechten und der extremen Linken am höchsten ist und sich oft Überschneidungen ergeben. In De z.B. bei den Themen "Eliten", EU, Putin-Fan-Kultur und Politiker-Bashing

  • genau so ist es!

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Doch so einfach liegen die Dinge nicht.""



    ==

    Scheint so.

    Russlands Gazprom hat die Gaslieferungen an die italienische Eni eingestellt und ein Transportproblem in Österreich dafür verantwortlich gemacht, berichtet AFP.

    Der italienische Energieriese ENI sagte am Samstag:

    ""Gazprom teilte uns mit, dass es die Lieferung der heute geforderten Mengen nicht bestätigen könne, da der Gastransport durch Österreich nicht möglich sei. Die russischen Gasflüsse nach Eni über den Einspeisepunkt Tarvisio werden gleich Null sein.""

    Vor dem Krieg in der Ukraine stammten fast 45 % des von Italien importierten Gases aus Russland. Der größte Teil des Gases von Russland nach Italien wird über die Trans-Austria-Gasleitung durch die Ukraine geleitet.

    Melonis Koalitionäre sind die Pro - Putinisten & Neofaschisten Salvini der Liga



    und Berlusconi. Gleichfalls wurde Meloni fast überschwenglich von der polnischen Regierung und vom Neofaschisten Orban aus Ungarn beglückwünscht.

    Das bedeutet: Erst wenn der Präsident Sergio Mattarella Meloni zur Nachfolgerin von Dragi bestätigt hat wird deutlich werden, welchen Kurs Meloni innen - und außenpolitisch fahren wird. Vielleicht hat Putin das Gas für Italien abgestellt um das gleiche herauszufinden. Falls es auch eine italienische Gaskrise gibt wird das sehr schnell deutlich werden.

  • Frau Meloni mag zwar die Chefin sein. Aber Salvini und Berlusconi akzeptieren sie wohl allenfalls als hübsches Aushängeschild. Die Herren Salvini und Belusconi, die sich bereits als Alpha-Tiere hervorgetan haben, dürften eher sich als die eigentlichen Führer betrachten. Und zwar jeder sich selbst! Die lachenden Gesichter täuschen. Wenn es konkret wird, wird es jedem schwerfallen, sich der Meinung des anderen zu fügen. Die ersten Differenzen werden wohl noch hinter verschlossenen Türen stattfinden. Wenn die Streitereien an die Öffentlichkeit dringen, dürfte auch das Rechtsbündnis bald am Ende sein. Die Frage ist nur, ob es bis dahin ein Jahr braucht.

  • Diese Regierung ist demokratisch gewählt, dann ist aber schluss, was sie wirklich bringt und macht, das wissen wir nicht. Wer sich rechte und rechtsextreme Parteien anschaut, der könnte alarmiert sein, denn auch Adolf Hitler nahm in einer Koalition erstmals Platz in einem Kabinett ein, auch ihm halten bürgerliche Kräfte.

    In Italien ist Meloni sicherlich nicht mit Hitler oder Mussolini vergleichbar, aber ihr rechtsextremer Kern ist echt. Dazu noch die vollkommen aus der Welt gegriffene Rhetorik und Show rund ums Vaterland, die Kirche, Mutter, Familie, Nationalität und Patriotismus - viel spricht dafür, dass es am Ende doch zu sehr denkwürdigen, tragischen und miesen Maßnahmen und Gesetzen kommen wird, halte ich für wahrscheinlich. Übrigens warum sollte Meloni aus der EU austreten, wenn ein Orban da drinnen sich so gut bewegt?

    Das ist Rhethorik. Das Problem ist m.M., dass diese Regierung weit über die Berlusconi-Regierungen hinausgehen wird. Niemand tritt einfach so in eine rechtsextreme Partei ein, wie es Meloni getan hat. Ihr Kern ist faschistisch und rechtsextrem. Das inkludiert, dass sie Migranten, EU-Regelungen, Flüchtlingen, liberale Rechtsstaatlichkeit und freiheitliche Grundrechte entweder ablehnt oder wenigstens begrenzen oder in Grenzen setzen will. Und das ist doch wohl das Problem mit dieser Regierung: Sie wird eine miese rechte Politik machen, keiner weiß genau, wann und wie das passieren wird, was im Detail passiert. Im Zweifel löst sich das Ganze in Korruption und Nepotismus auf, was ich mir gut vorstellen kann.

    • @Andreas_2020:

      "Das inkludiert, dass sie Migranten, ... Flüchtlinge ... entweder ablehnt oder wenigstens begrenzen oder in Grenzen setzen will." Und wenn große Teile der Wählerschaft genau das wollen?

      • 0G
        06455 (Profil gelöscht)
        @Cristi:

        Deshalb wurde sie gewählt.



        Mal wieder möchte das niemand seen und schon gar nicht ansprechen.



        DAS ist eigentlich beängstigend!

  • Draghi war kein waschechter EU-ler, der das Land zugunsten Brüssel ausbeuten wollte?