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Paragraf 218 im ParlamentBundestag debattiert Legalisierung von Abtreibung

Ein parteiübergreifender Gesetzentwurf will legale Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten. Am Donnerstag ist der Entwurf im Plenum. Findet er eine Mehrheit?

Langer Kampf, 1975 in Bonn. Protestierende gegen den §218 setzen auf die SPD Foto: Klaus Rose/imago

Berlin taz | Rund 30 Jahre ist es her, seit das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen grundsätzlich geprüft wurde. Nun gibt es Bestrebungen, dieses Verbot zu kippen. Eine Gruppe von Abgeordneten mehrerer Fraktionen hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Legalisierung von Abbrüchen in den ersten drei Monaten zum Ziel hat. Der Entwurf soll am späten Donnerstagnachmittag erstmals im Bundestag beraten werden.

Schwangerschaftsabbrüche sind derzeit in Deutschland rechtswidrig. In den ersten zwölf Wochen bleiben sie unter bestimmten Voraussetzungen straffrei: Die Schwangere muss sich zuvor beraten lassen, zudem muss sie eine Wartefrist von mindestens drei Tagen verstreichen lassen. Laut Gesetzentwurf sollen Abbrüche in den ersten drei Monaten grundsätzlich rechtmäßig sein. Die Beratungspflicht bliebe bestehen, die Wartezeit jedoch nicht. Zudem sollen Regelungen für Abbrüche nach den ersten drei Monaten im Schwangerschaftskonfliktgesetz, aber nicht mehr im Strafgesetzbuch stehen. Der Paragraf 218 selbst soll neu gefasst werden und nur noch den Schutz Schwangerer vor nicht selbstbestimmten Abbrüchen enthalten.

Unterzeichnet hatten den Gruppenantrag nach Angaben der Grünen-Abgeordneten Ulle Schauws, die neben Parlamentarierinnen von SPD und Linken den Antrag initiiert hat, zuletzt 327 Abgeordnete, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne). Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte, sie gehöre „zu einer ganz großen Gruppe von Abgeordneten, die mehr Sicherheit und mehr Selbstbestimmung für Frauen“ ermöglichen wolle. Ihr Eindruck sei, dass es eine Mehrheit dafür geben könne, das Gesetz noch in dieser Legislatur zu beschließen.

„Zustimmungsfähig“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, er sei froh, dass es gelungen sei, sich über den Antrag zu verständigen. Zwar handle es sich um „hochemotionale Fragen“. Die Gesetzesvorlage halte er aber für „zustimmungsfähig“. Katja Mast, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, sagte, das Thema müsse und könne „noch vor dem 23. Februar entschieden werden“, also dem Termin für die Neuwahl des Bundestags.

Nach der ersten Lesung am Donnerstag geht der Gesetzentwurf zurück in die Ausschüsse, federführend ist der Rechtsausschuss. An den dortigen Mehrheiten liegt es, ob und wann er zur Schlussberatung und Abstimmung wieder ins Plenum verwiesen wird. Mast sagte, dazu sei eine Mehrheit im Rechtsausschuss unabdingbar, „die über die derzeitigen Unterzeichnenden hinausgeht.“ Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte: Er halte es für unsicher, ob der Antrag „jemals wieder aus dem Ausschuss rauskommt.“

Sollte dies der Fall sein, wäre danach eine Mehrheit von 367 Abgeordneten im Plenum nötig. Selbst wenn SPD, Grüne und Linke geschlossen für den Entwurf stimmen würden, wären die Abgeordneten auf Stimmen etwa von FDP, Union oder BSW angewiesen.

In der FDP hatte es zwar bereits Beschlüsse von Jungen Liberalen und Liberalen Frauen gegeben, die teilweise sogar über den derzeitigen Vorschlag hinausgehen. Eine Chance auf eine Mehrheit innerhalb der Partei hatten diese aber nie. Kürzlich jedoch hatten einige Parteimitglieder per offenem Brief eine Debatte über den Gesetzentwurf angestoßen. FDP-Parteichef Christian Lindner sagte infolgedessen, er werde den Antrag „nicht unterstützen“. Dennoch machten sowohl Lindner als auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr deutlich, Abgeordneten der Fraktion bei einer Abstimmung freie Hand zu lassen.

Merz empört

CDU-Chef Friedrich Merz hatte zunächst empört auf den Gesetzesvorstoß reagiert. Zuletzt warnte er vor einer übereilten Entscheidung: „Bitte nicht auf den letzten Metern vor der Wahl.“ Stattdessen sei eine breite parlamentarisch und gesellschaftlich geführte Debatte erforderlich, die dem Thema gerecht werde.

Vergangene Woche forderten zudem 73 Verbände die Bundestagsabgeordneten auf, den nun vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen. „Die Fakten liegen auf dem Tisch. Die Argumente sind ausgetauscht“, schreiben unter anderem AWO, Paritätischer Gesamtverband und DGB. „Es liegt an Ihnen. Unterstützen Sie ungewollt Schwangere und ihre Ärztinnen. Schreiben Sie Geschichte!“

Vorangegangen war dem derzeitigen Vorstoß eine eigens von der Ampelregierung eingesetzte Kommission, die Möglichkeiten zur Regelung von Abbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuchs geprüft hatte. Für die Frühphase einer Schwangerschaft sind deren Empfehlungen eindeutig: Die grundsätzliche Strafbarkeit von Abbrüchen sei aus „völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive“ nicht haltbar. Doch die Ampel hatte schnell klargemacht, dass von ihrer Seite nichts kommen würde. Vor allem die FDP blockierte. Mitte November hatten die Par­la­men­ta­rie­r*in­nen deshalb den eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht.

Wenig umstritten

In der Bevölkerung ist das Thema Schwangerschaftsabbruch wenig umstritten: Mehr als 80 Prozent der Deutschen halten es für falsch, dass ein Schwangerschaftsabbruch, zu dem eine ungewollt Schwangere sich nach einer Beratung entscheidet, rechtswidrig ist. Das hatte im April eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesfrauenministeriums gezeigt. Selbst unter WählerInnen der Union lehnen demzufolge 77,5 Prozent die Rechtswidrigkeit von Abbrüchen deutlich ab. Unter WählerInnen von SPD und Grünen sind es 88 beziehungsweise 92 Prozent.

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18 Kommentare

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  • Wenn Herr Merz vor einer übereilten Entscheidung warnt, dann frage ich mich wo der Herr die letzten 50 Jahre gelebt hat. DerOrt an dem er gelebt hat, hat nichts mit der Deutschen Realwelt zu tun under scheint auch noch nicht in der Realität angekommen zu sein. Seit mindestens 50 Jahren sind absolut alle Argumente , für und wider, bereits 100 Mal durchgekaut worden, glaubt mir, da kommt nichts Neues mehr.

    • @Jutta Kodrzynski:

      Demnach dürfte die Gesetzesänderung vom Verfassungsgericht kassiert werden, wenn es keine neuen Argumente gäbe. Dann entscheidet das Verfassungsgericht genau so, wie vorher auch, wenn man an den §218 dran wollte.

  • Na, bisher nur Männer hier, die sich über Frauen und ungeborene Kinder auslassen... ich finde, dass das zuerst Mal die Frauen entscheiden sollen. Vor 30 Jahren hatten die Kirchen, vor allem die katholische, noch mehr Einfluß - auch auf das BVG. Der zerbröselt, und vielleicht kann man das Thema jetzt mal den religiösen und/oder dominanten Männern aus den Händen nehmen.

    • @CarlaPhilippa:

      Im Bundestag müssen aber Frauen und Männer dem Gesetzesentwurf zustimmen, sonst geht er nicht durch.

  • "...Strafbarkeit von Abbrüchen sei aus „völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive“ nicht haltbar."



    Ich bin kein Jurist, aber, wieso soll die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen irgendetwas mit dem Völkerrrecht oder Europarecht zu tun haben? Den Zusammenhng mit dem Verfassungsrecht kann ich ja noch verstehen, immerhin gibt es da z.B. in Deutschland den GG Art. 2 (2) "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." ohne dass da steht "Jeder bereits geborene Mensch". Deshalb ist wohl nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes vor 30 Jahren eben der Schutz auch ungeborenen Lebens eine wichtige staatliche Aufgabe gegenüber der das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren zurückzutreten habe und die Zuwiderhandlung wurde eben pönalisiert.

    Die Vertreter des völlig freien Selbstbestimmungsrechtes der Schwangeren sehen das naturgemäß nicht so und postulieren eine völlig freie Entscheidung der Schwangeren über das aus ihrer Sicht nicht bestehende Lebensrecht des Ungeborenen.

    Wieso der seit > 30 Jahren sehr gut funktionierende Kompromiss der Verfassungsgerichtes nun immer wieder angegangen wird, das bleibt rätselhaft. Was soll das?

    • @EIN MANN:

      Stichwort: Selbstbestimmung?



      Was tun Sie als "Mann" z.b. hinsichtlich der Spermien, die leben ja auch?



      Aber mal ehrlich ich kann dieses Gemähre nicht mehr hören, als junger Mann war ich mal der Überzeugung, dass sich auch der männlichen Teil der Bevölkerung seit 1871 weiterentwickelt hätte, leider ein Trugschluss.

      • @Axel Schäfer:

        Es ist für manche Menschen schwer vorstellbar, dass Männer gerne Väter werden und sich um das Kind kümmern wollen (das ist übrigens mit Abstand der größere Teil auch wenn viele "Feministen" das nicht wahrhaben wollen).

  • Was ich nicht verstehe ist die Beschuldigung von Männern, neuerdings verallgemeinert "das Patriachat" genannt gegen vereinfachte Abtreibungen zu sein.



    Ich möchte gar nicht wissen wie viele Frauen gegen ihren Willen von Männern zur Abtreibung gezwungen werden.



    Was ich leider kennen lernen musste sind wütende Frauen die vor Abtreibungspraxen mit üblen Beschimpfungen die Patienten begrüßt haben.

  • Das Problem ist doch, dass die Frau nach dem neuen Entwurf stets straffrei bleibt, selbst wenn die Abtreibung wenige Tage vor dem prognostizierten Geburtstermin erfolgt. Damit schießt das Ganze weit über das eigentliche Ziel hinaus und ist kein Minimalziel mehr.

    Es wäre einfacher, wenn die bestehende Regelung einfach unformuliert werden würde. Z. B. § 218 neu: "Ein Schwangerschaftsabbruch, der nicht nach den Regeln des § 218a StGB erfolgt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Alles andere könnte so bleiben, ein Schwangerschaftsabbruch wäre - unter bestimmten - Voraussetzungen nicht strafbar.

  • Ich wollte diese Entscheidung nicht treffen müssen. Auf der einen Seite sehe ich das starke Argument "Mein Körper, meine Entscheidung", auf der anderen Seite tötet man ein kommendes Kind, ein Leben, eine Seele. Und ich sehe tausende Paare, die keine Kinder bekommen können und dieses Kind gerne mit der Geburt annehmen würden. Ich beneide niemanden, der dies entscheiden muss.

  • "In der Bevölkerung ist das Thema Schwangerschaftsabbruch wenig umstritten: Mehr als 80 Prozent der Deutschen halten es für falsch (...) hatte im April eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesfrauenministeriums gezeigt. Selbst unter WählerInnen der Union lehnen demzufolge 77,5 Prozent die Rechtswidrigkeit von Abbrüchen deutlich ab."



    Bei Trump hieß es auch Harris liegt deutlich vor ihm, nun heißt es weiße Republikaner nehmen grundsätzlich ungern an Umfragen teil und deshalb lag Trump immer in Führung, nur halt nicht ersichtlich...



    So ähnlich muss das hier auch sein - wenn tatsächlich 80% der Unionswähler für eine Änderung wären, würde die Union nicht seit Jahrzehnten mauern. Das wären ja billige Punkte in der Wählergunst ohne Auswirkungen auf Haushalt oder Gelder - also einfach umzusetzen.



    Meine Vermutung ist das rntweder die Umfragen nur in einem speziellen Teilnehmerkreis stattfinden oder es antworten darauf nur Befürworter - anders ist diese Diskrepanz nicht zu erklären, bzw es würde deutlich mehr Demonstrationen zu dem thema stattfinden UND es würden auch deutlich mehr Menschen daran teilnehmen... 🤷‍♂️

    • @Farang:

      Vielleicht mal nur die befragen, die es betrifft, Frauen?

      • @Axel Schäfer:

        Auch Männer sind davon betroffen, Punkt aus, das Kind ist nicht vom Heiligen Geist gebracht worden.



        Das ist übrigens ein Argument wenn es darum geht Zahlungsunwillige Männer in die Pflicht zu nehmen.

  • Die Behauptung, die grundsätzliche Strafbarkeit von Abbrüchen sei aus "völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive" nicht haltbar wäre ja auch durch eine Verfassungsklage gegen den bestehenden §218 nachprüfbar. Warum wird nicht erstmal dieser Weg eingeschlagen? Wenn jetzt auf die Schnelle vom Bundestag etwas beschlossen wird, wird das ganze ohnehin vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

    Die Entscheidung aus den 90er Jahren wurde damals ja ausführlich begründet. An der Verfassung an sich hat sich seitdem nichts geändert. Auch an der menschlichen Natur hat sich nichts geändert. Warum sollte das Bundesverfassungsgericht heute anders entscheiden? Es geht hier um zeitlose Werte, die nicht dem Zeitgeist unterworfen sein dürfen, egal was 80 Prozent der Deutschen denken. Grundwerte können - selbst auf demokratischem Weg - nicht einfach abgeschafft werden. Das Recht auf Leben ist als Grundwert so fundamental, dass auch eine Mehrheit nicht einfach sagen kann: "Tut uns leid, du kleiner ungeborener Mensch, aber Du hast kein Recht auf Leben."

  • Ich vermisse hier irgendeine Äußerung oder Verknüpfung zu dem, was das Verfassungsgericht hierzu seinerzeit zu sagen hatte. Hat da keiner was zu gesagt oder auch nur dran gedacht?



    Ich finde es peinlich, wenn Gesetzesvorhaben direkt vom Verfassungsgericht einkassiert werden.

  • Wenn das Verfassungsgericht seine bisherige Linie nicht komplett ändert, wäre eine Legalisierung der Abtreibung verfassungswidrig.

    Was also soll diese Show ?

  • Und einst wird man sagen: Und wenn sie nicht gestorben sind, diskutieren sie noch heute.