Papstbesuch in den USA: Die päpstliche Methode
Begeistert lauschen die USA den Reden von Papst Franziskus. Der legt den Finger in US-amerikanische Wunden.
Nie war die US-Reise eines religiösen Würdenträgers triumphaler. Die großen Sender übertragen sechs Tage lang live die 18 Reden von „Pope Francis“ in den USA. Sie verfolgen jede Windböe, die seine eierschalenfarbene Soutane verweht. Sie berichten davon, dass er mit Obdachlosen isst, anstatt sich wie andere Staatsoberhäupter bei Empfängen bewirten zu lassen. Sie zeigen ihn stehend im seitlich offenen Papamobil. Und sitzend auf der Rückbank des winzigen Fiat 500 L, mit dem er – verdeckt von den tonnenschweren, breiten und hohen SUVs des Secret Service – an den Freitreppen der Washingtoner Prunkbauten vorfährt.
„Pope Francis“ bekommt Respekt. Selbst im hartgesottenen Kongress wechseln sich andächtiges Schweigen und Rührung ab, während er seine 50-minütige Moralpredigt hält. „Wir Menschen auf diesem Kontinent haben keine Angst vor Fremden“, sagt er vor den Abgeordneten von Repräsentantenhaus und Senat, vor vier der neun Obersten RichterInnen und dem katholischen Teil der US-Regierung, „denn die meisten von uns sind einmal Fremde gewesen“. Der 78-Jährige ist zum ersten Mal in seinem Leben in den USA. Das Englische, in dem er seine politischen Reden in Washington hält, kommt nur zäh über seine Lippen. Aber „Pope Francis“ ist spürbar zu Hause.
22 Prozent katholisch
Er sagt im Kongress Dinge, für die jeder andere ausgebuht würde. Und er legt den Finger in US-amerikanische Wunden. Darunter Waffenhandel, Todesstrafe, bewaffnete Konflikte, Klimaskepsis, Armut.
In dem Washington, das Franziskus besucht, sind nur 22 Prozent der Bevölkerung katholisch. Doch in den Institutionen der Macht sind Katholiken heute stark repräsentiert. 31 Prozent der Kongressabgeordneten gehören zur katholischen Kirche. Sechs der neun Obersten RichterInnen. Und sechs der republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Bei den Demokraten ist Vizepräsident Joe Biden der oberste Katholik. Und auch er denkt über eine Präsidentschaftskandidatur 2016 nach.
Die katholische Kirche wächst durch die Zuwanderung aus Lateinamerika. Die EinwandererInnen sind jene, die an Sonntagen die katholischen Kirchen in den USA füllen. Sie sind es auch, die dem Papst in den USA am Straßenrand zujubeln. Aber in direkten Kontakt mit ihm kommen wegen der extremen Sicherheitsvorkehrungen nur wenige.
In Washington klettert ein fünfjähriges Mädchen, Tochter von Papierlosen aus Mexiko, über die Absperrung. Der Papst im Papamobil sieht Sophie Cruz und winkt sie zu sich. Ein ganz in Schwarz gekleideter Mann vom Secret Service trägt das Mädchen zum Papst. Der segnet sie. Sie übergibt ihm einen Brief, in dem sie von ihrer Angst vor der Abschiebung ihrer Eltern schreibt.
Appelle an den Menschenverstand
Im Kongress wird der Papst ab dem ersten Satz, in dem er über das „Land der Freien und der Heimat der Mutigen“ spricht, 30-mal von Applaus – oft stehendem – unterbrochen. Zuvor hatte „Speaker“ John Boehner die Abgeordneten gebeten, auf Unterbrechungen der Rede zu verzichten.
Willkürliche Wahlen, Bomben in den kurdischen Gebieten, Präsident Erdogan, der um die Macht kämpft. Wohin führt der Weg der Türkei? Rückt sie näher an den Nahen Osten? Was geschieht mit den Kurden? Fragen, die sechs Kulturschaffende aus der Türkei in der taz.am Wochenende vom 26./27. September diskutieren – bei einer Flasche Schnaps. Außerdem: Das Massaker an den Studenten in Mexiko jährt sich am 26. September. Und: Allergien, die Plagegeister der modernen Industrienation. Warum das so ist und was wir über sie wissen. Das alles – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Als das vergessen ist, führt Boehner selbst mehrfach ein Taschentuch über seine feuchten Augen. Dabei ist er Republikaner, und der Papst spielt deutlich mehr demokratische Bälle. Er tut es in einer Rede, die pastoral, politisch und selbstbewusst ist. Gespickt mit Appellen an den gesunden Menschenverstand und Erinnerungen an „goldene Regeln“, wie jene, „andere so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden möchten“.
Der Papst vermeidet die Reizworte, die in Washington für Spaltung und Lähmung sorgen. Dass er für eine globale Klimapolitik eintritt, hat er schon in seiner Enzyklika „Laudato si“ klar gemacht. Weswegen prominente RepublikanerInnen prophylaktisch erklärt haben, der Papst sei lediglich in religiösen Fragen, nicht aber in der Politik unfehlbar.
Doch der Papst nimmt den SkeptikerInnen den Wind aus den Segeln. Er benutzt das Stichwort „Klimawandel“ kein einziges Mal. Stattdessen spricht er von dem „Schutz der natürlichen Ressourcen“. Anstatt die gleichgeschlechtliche Ehe zu kritisieren, spricht er von der „Rolle der Familie“. Und er verdammt nicht das Recht auf Abtreibung, sondern erwähnt den „Schutz des menschlichen Lebens in jeder Phase seiner Entwicklung“.
Sklavin der Ökonomie
Von dort allerdings spannt er den Bogen zu seiner „Überzeugung, dass die Todesstrafe weltweit abgeschafft“ gehört. In einem anderen, selten radikalen Moment für den US-Kongress sagt der Papst, „der Waffenhandel muss aufhören“. Die Mehrheit der Abgeordneten vor ihm hat die Rückendeckung der Waffenlobby NRA. Alle wissen, was gemeint ist.
Die päpstliche Methode in den USA ist Symbolik. Ein Kleinwagen gegen die Ölverschwendung. Eine Obdachlosenküche gegen ostentativen Luxus. Und Worte wie „Brüderlichkeit“ und „Menschlichkeit“ gegen den politischen Kleinkrieg. Den schärfsten Satz aus seiner schriftlichen Vorlage für die Rede vor dem Kongress liest er nicht. Der Satz lautete: „Politik kann keine Sklavin von Ökonomie und Finanzen sein.“
Seine Sympathien zeigt der Papst anhand von vier US-AmerikanerInnen, deren Leben er als vorbildhaft beschreibt. Präsident Abraham Lincoln, dessen Name für Freiheit und für die Abschaffung der Sklaverei steht, sowie der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King sind heute weitgehend Konsensfiguren.
Doch die 1980 verstorbene Dorothy Day, Gründerin der Bewegung „Catholic Workers“ und christliche Sozialistin, sowie der 1968 verstorbene Trappistenmönch Thomas Merton, ein sozialer Aktivist, waren in der katholischen Kirche ihres Landes als zu radikal marginalisiert. Als der Papst sie auf den Sockel hebt, jubelt der demokratische Sozialist Bernie Sanders.
Missbrauchsopfer fordern mehr
Weiter links stehenden PapstkritikerInnen fällt auf, dass er auch in seinen Elogen für Dorothy Day und Martin Luther King nicht deren Engagement gegen Militarismus und Kriege erwähnt. Enttäuscht sind sie auch darüber, dass der Papst den Franziskanermönch Junípero Serra heilig gesprochen hat. „Serra steht für den Völkermord und die Zwangschristianisierung der Ureinwohner dieses Kontinents“, sagt Luis Ramos, der zu einer Protestveranstaltung mit anderen UreinwohnerInnen nach New York gekommen ist.
Unzufrieden sind auch Opfer der sexuellen Gewalt katholischer Priester, die jahrelang von der Kirchenhierarchie gedeckt wurde. Sie wollen, dass der Papst den Tätern jede Rückendeckung entzieht. Stattdessen zeigt er in der St.-Patrick-Kathedrale in New York Mitgefühl für andere Priester und Nonnen, die unter dem Stigma leiden, das der sexuelle Missbrauch ausgelöst hat.
Doch Gastgeber Barack Obama zeigt bei dem Besuch ein Lächeln quer über das Gesicht. Kein anderer Staatsgast hat seine Politik so unterstützt wie Franziskus. Zum Dank überreicht er seinem Gast eine Tauben-Skulptur, die rund um ein Stück Metall aus der Freiheitsstatue gebaut ist.
Im Kongress hingegen währt der Frieden nur so lange wie die Anwesenheit des „Heiligen Vaters“. Kaum ist er abgereist, planen RepublikanerInnen in bekannter Blockadehaltung den nächsten Shut-down der Regierung: Sie verlangen die Streichung aller staatlichen Mittel für Familienplanungszentren. Falls sie das nicht bekommen, wollen sie den kompletten Haushalt der Regierung blockieren.
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