Pandemie in Afrika: Keine Hochzeiten, keine Großeltern
Die Maßnahmen gegen Corona zerstören in Afrika gewachsene Traditionen. Durch Zoom-Konferenzen lassen diese sich nicht ersetzen.
N ach zwei Jahren Coronapandemie ist die Welt dabei, sich an eine neue Normalität anzupassen – in der Form neuer digitaler Technologien in der Arbeits- und Geschäftswelt. In Afrika allerdings manifestiert sich die neue Normalität nicht so sehr in neuen Werkzeugen wie Zoom, Google Meet oder Microsoft Teams, sondern im Verschwinden alter, kostbarer Kulturbräuche, die jetzt der Seuchenprävention zum Opfer fallen.
Fast überall in Afrika sind Hochzeiten und Beerdigungen die wichtigsten sozialen Ereignisse. Man wird im Dorf zu einer Hochzeit nicht eigens eingeladen – es wird erwartet, dass man kommt. An einer Trauerfeier teilzunehmen ist eine noch größere Verpflichtung, im eigenen Dorf und dem nebenan. Diese Ereignisse erfüllen einen sehr wichtigen Zweck jenseits der Beisetzung von Toten oder der Formalisierung einer Heirat. Wo es kein umfassendes Meldewesen und keine Registrierung und Speicherung persönlicher Daten und Familienstände gibt, dienen Hochzeiten und Beerdigungen dazu, alle im Dorf auf den Stand zu bringen: Wer lebt hier und in welcher Situation.
Auch der moderne afrikanische Staat nutzt Hochzeiten und Beerdigungen als wichtige Plattformen der Kommunikation. Kenia etwa ist einer der technologisch am weitesten entwickelten Staaten Afrikas, mit „E-Government“, das die meisten Informationen über Menschenansammlungen verbotendie Staatsbürger in staatlichen Datenbanken sammelt. Aber auf lokaler Ebene müssen Kommunalbeamte jede Dorfbeerdigung besuchen und an die Trauernden ein Wort richten, um sie zu informieren, was es Neues gibt.
Die Covid-19-Pandemie hat all dies rüde durcheinandergebracht. Nicht nur konnten Menschen monatelang nicht reisen, es wurden auch Menschenansammlungen verboten oder auf wenige Personen beschränkt. Soziale Kontaktbeschränkungen machen es für mehr als einige wenige unmöglich, auf Beerdigungen und Hochzeiten zu gehen. Nicht mehr Hunderte oder gar Tausende strömen zusammen, nur ein paar Dutzend enge Familienangehörige. Das hat einen wichtigen gesellschaftlichen Kommunikationskanal unterbrochen.
Einst lernten Kinder und Jugendliche auf großen Trauerfeiern ihre Verwandten kennen. All die unzähligen fernen Kusinen und Onkel und Tanten ersten und zweiten Grades identifizieren zu können ist in Afrika extrem wichtig, da die erweiterte Familie oder der Clan eine wichtige soziale Rolle spielt. Das ist anders als in Europa, wo man eigentlich nur gegenüber der Kernfamilie und dem Staat Pflichten hat.
Nun ändert sich das alles in Afrika, weil Covid-19 nicht vergeht. Es ist schwer, den Schmerz zu beschreiben, den Millionen von Afrikanern in den vergangenen zwei Jahren erlitten haben, weil sie ihre Verwandten nicht begraben durften. Polizisten, die Trauerfeiern auseinandertrieben, äußern sich privat traumatisiert darüber, etwas so „Unafrikanisches“ tun zu müssen, im Namen der Wissenschaft.
Joachim Buwembo lebt als unabhängiger Publizist in Ugandas Hauptstadt Kampala. Er ist ehemaliger Chefredakteur der Zeitungen „Sunday Vision“ und „Daily Monitor“ in Uganda und Mitgründer der Zeitung „The Citizen“ in Tansania.
Es stirbt auch die uralte Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln. Afrikaner in den großen Städten haben sonst während der Schulferien ihre Kinder zu den Großeltern gebracht, damit sie ihre „Wurzeln“ kennenlernen, mit ihren Kusinen Freundschaft schließen und die Familienbande erhalten. Seit zwei Jahren ist das vorbei, und es ist unwahrscheinlich, dass diese Tradition wiederauflebt, denn infizierte Kinder können auch symptomfrei alte Menschen anstecken. Und niemand will seine Eltern umbringen, indem er ihnen seine Kinder schickt.
Wie schnell kann Afrika für jahrtausendealte Bräuche einen technologischen Ersatz finden?
Aus dem Englischen: Dominic Johnson
Joachim Buwembo lebt als unabhängiger Publizist in Ugandas Hauptstadt Kampala. Er ist ehemaliger Chefredakteur der Zeitungen „Sunday Vision“ und „Daily Monitor“ in Uganda und Mitgründer der Zeitung „The Citizen“ in Tansania.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl