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Pädophilie-Debatte bei den GrünenDie Achillesferse der Ökopartei

Franz Walter hatte die Grünen wegen ihres mangelnden Aufarbeitungswillens zur eigenen Pädo-Historie kritisiert. Seine neue Studie ändert das.

Bei der Präsentation der Ergebnisse: Franz Walter und Simone Peter. Bild: imago/Common Lens

BERLIN taz | Nein, es werde diesmal keine rollenden Promi-Köpfe geben, stellte Franz Walter gleich zu Beginn der Veranstaltung klar. Tatsächlich gab es am Mittwoch keine großen Überraschungen, aber es ging um ein sensibles Thema – die Haltung der Grünen zu Pädosexualität. Der Göttinger Parteienforscher stellte den Abschlussbericht seines Instituts für Demokratieforschung vor, das im Auftrag der Grünen die Geschichte der Pädosexualität in der Partei der Grünen untersucht hatte.

13 Monate lang hatte das Forscherteam die Verstrickungen der Partei und des linksalternativen Milieus in pädophile Positionen untersucht und dabei einiges Unliebsame zutage gefördert: Forderungen nach Straffreiheit für pädophile Beziehungen in Parteiprogrammen und Beschlüssen. Mitten im Wahlkampf 2013 sorgten solche Enthüllungen für öffentliche Aufregung und kosteten die Grünen einige Stimmen.

Beim gemeinsamen Auftritt am Mittwoch war von der Gereiztheit zwischen dem Wissenschaftler und der Parteispitze nur noch wenig zu merken. Dafür gab es erstmals klare Worte von der grünen Bundesvorsitzenden Simone Peter. Sie entschuldigte sich umfassend bei den Opfern sexueller Gewalt, die sich durch die grünen Debatten in ihrem Schmerz verhöhnt fühlten. Die Partei, räumte Peter ein, hätte früher Konsequenzen ziehen müssen: „Wir sind den inakzeptablen Forderungen nicht in der nötigen Konsequenz entgegengetreten und haben erst viel zu spät die Verantwortung übernommen.“

Peter kündigte an, dass die Partei den Bericht nun zum Anlass nehmen werde, weiter die Forderungen von Straffreiheit für pädophile Beziehungen in den 1980er Jahren aufzuarbeiten. Eine im Dezember eingerichtete parteiinterne Arbeitsgruppe unter Peters Leitung werde sich weiter mit dem Thema befassen. Beim Bundesparteitag Ende November in Hamburg werde man über weitere Konsequenzen aus dem Bericht beraten.

Peter betonte, dass die Grünen durch eine zentrale E-Mail-Adresse und eine Telefonhotline aktiv auf mögliche Opfer zugehe. Bislang hätten sich zwei Dutzend Rückmeldungen ergeben, darunter vier Betroffene sexuellen Missbrauchs. In drei Fällen habe es keine unmittelbare Verbindung zur Partei der Grünen gegeben, im vierten Fall seien die genauen Umstände noch unklar.

Versöhnliche Präsentation

Franz Walter, der die Grünen in der Vergangenheit wiederholt scharf für ihren mangelnden Aufarbeitungswillen kritisiert hatte, gab sich indes erstaunlich versöhnlich. Dass viele Dokumente und Zeitzeugen aus den frühen achtziger Jahren so schwer aufzutreiben gewesen waren, habe an der schlechten Dokumentationslage der chaotischen Anfangsjahre gelegen.

Die Grünen lobte er indes ausdrücklich für ihre Kooperationsbereitschaft: Die Gesichter seien zwar manchmal „etwas verbiestert“ gewesen. Man habe ihn aber ungehindert forschen lassen und Zugang zu allen Archiven gewährt. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass jederzeit noch weitere Unbill aus der Vergangenheit auftauchen könnte. Schließlich bräuchten Opfer oft sehr lange, bis sie den Mut fänden, sich zu melden.

Der knapp 300 Seiten starke Bericht „Die Grünen und die Pädosexualität“ ist eine Geschichte des Linksliberalismus in der Bundesrepublik – und gleichzeitig eine Geschichte der Pädophilie, zurückgehend bis auf Platon. Detailliert wird darin herausgearbeitet, wie es dazu kommen konnte, dass in den 70er und 80er Jahren ein pädophiliefreundlicher Zeitgeist weite Teile der liberalen Öffentlichkeit erfasste: von der Pädagogik bis zum Strafrecht, von der Humanistischen Union bis zu den Jungliberalen und Grünen.

Walter bezeichnete die Pädophilie als „Achillesferse der Linksliberalen“. Die Erkenntnis, dass aus einem guten, progressiven Gesellschaftsverständnis etwas so Dunkles sprießen konnte, habe das Narrativ von der „linken, besseren Republik“ nachhaltig beschädigt. Vielleicht hätten die Grünen von heute deshalb manchmal etwas empfindlich auf seine Enthüllungen reagiert. Trotzdem müssten die Grünen anerkennen, dass sie nicht einfach nur eine Organisation von vielen waren: Ihre Parteistrukturen und Minderheitengläubigkeit hätten das Durchsickern pädophilenfreundlicher Haltungen besonders begünstigt.

Moral und Misstrauen

Erwächst daraus eine besondere grüne Verantwortung oder gar Schuld? Walter vermied den Schuldbegriff, moralische Beurteilungen seien nicht sein wissenschaftlicher Auftrag. Er weigerte sich aber auch, die Grünen aus der Verantwortung zu entlassen. Auch wenn es einen solchen Zeitgeist gab: Eine Partei wirke nun mal an der Willensbildung des Volkes mit. Sie habe deshalb eine andere Verantwortung als „irgendein Debattierclub“. Dessen seien sich die Grünen zum Teil immer noch nicht voll bewusst.

Walter, der sich schon während der Arbeit an dem Bericht wiederholt an die Medien gewandt hatte und sich dadurch den Unmut vieler Grüner zugezogen hatte, verteidigte seine Auskunftsfreude: Der Vertrag mit den Grünen habe ihm ausdrücklich erlaubt, sich mit brisanten Neuigkeiten sofort an die Öffentlichkeit zu wenden. Das habe er getan – und durch die Medienberichte wiederum weitere Zeitzeugen gewonnen. Simone Peter äußerte sich dazu nicht. Auch sonst schwieg die Parteiprominenz zu Walters Abschlussbericht.

Erstaunlich: Denn in der Partei warfen und werfen nicht wenige dem streitbaren Göttinger vor, im Wahlkampf bewusst Stimmung gegen die Grünen gemacht zu haben. Auf die öffentliche Debatte reagierten einige ältere Parteimitglieder abwehrend. Dass die Wunden bei den Grünen noch immer nicht geschlossen sind, zeigte lediglich //twitter.com/SteffiLemke/status/532469253048635393:ein Tweet der ehemaligen Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, die 2013 den Wahlkampf leitete: Sie habe schon damals dem Vorstand von einem Vertrag mit Franz Walter abgeraten.

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15 Kommentare

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  • Bermerkenswert finde ich in dem Artikel, dass er objektiv geschrieben zu sein scheint, also die diversen Reaktionen in der Partei von Unterstützung bis Ablehnung differenziert darstellt. Wodurch deutlich wird, dass die Grünen inzwischen (?) eine ganz normale Partei sind, in der genausoviele Leute mitmachen, die von ihren alten Sünden nichts mehr wissen wollen wie in anderen Parteien.

     

    Bemerkenswert ist das insoweit, als die Grünen ja mal angetreten sind mit dem Anspruch auf Transparenz und sich gern als Ankläger betätigt haben gegen eine Generation, die ihrerseits - weit schlimmere - Schuld verleugnet hat.

     

    Als Westdeutscher kann ich das alles fürs "Bündnis 90" nicht einschätzen, aber das Pädo-thema dürfte auch eher die Westgrünen betreffen.

    • @Dr. McSchreck:

      Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, von dem eben auch die Grünen überzogen wurden. Thematisiert wurde das ja nicht zufällig vor den Bundestagswahlen. Das plötzliche Interesse der Medien daran war ein überwiegend wahlkampftaktisches. Trotzdem ist es gut und richtig, dass die Grünen - anders als die meisten anderen Gruppierungen in unserer Gesellschaft - sich dem Thema jetzt intensiver und kritischer widmen. Wer Pädophilie überwiegend in einer Partei, oder in einer Glaubensgemeinschaft verorten will, der trägt weder zur Aufklärung, noch zur Prävention bei.

  • "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" und Finger weg vom Schritt!

    • @Rainer B.:

      Finger weg vom Hosenladen,

      sonst gibt´s nen Tritt in die Gonaden!

  • Der Umgang mit den Missbräuchen in der katholischen Kirche hat - neben dem berichtigten Umgang - auch ein populistisches Fass aufgemacht, wie es sich zuletzt bei den sogenannten "Sittlichkeitsprozessen" gegen Ordensangehörige und Priester der kath. Kirche im Nationalsozialismus zu finden war: Die Instrumentalisierung der Thematik in der Politik. Das Bild der "an kleinen Jungs herumfummelnden katholischen Pfarrer", wie in einem Beitrag weiter unten benannt, ist so ein populistisch mächtiges Bild.

     

    Wer aber geglaubt hat mit diesen Bildern die aktuelle, von "links" (im weitesten Sinne) geöffnte Populismus-Kinderficker-Büchse der Pandora beherrschen zu können muss naiv gewesen sein. Die Instrumentalisierung ist nicht auf Nationaloszialisten seinerzeit oder auf "Links/Atheist" gg. "Kirche/Christ (platte Gegenüberstellung) im Falle der Kindesmissbräuche in der katholischen Kirche beschränkt.

     

    Es wurde bei der kath. Kirche vorgemacht wie effektiv sich dieses Thema im politischen Prozess nutzen lässt. Dass den Grünen (neben der berechtigten Kritik am mangelnden Aufarbeitungswillen) nun die gleiche populistische Welle entgegen schwappt, verwundert daher kaum.

     

    Um "Kindeswohl" geht es bei solcherlei Populismus von links, rechts und aus der Mitte nur nebenei. Schon bei den Diskussionen um den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche waren die 100% der aktuellen jährlichen Missbrauchsfälle oder 99% der nichtkatholischen Fälle früher kein Thema.

     

    Der Umgang der Grünen mit dem Thema ist effektiv und offen. Das Thema wird daher genauso wenig eine Achilles-Ferse sein wie ein Veggie-Burger am Veggy-Day. Der populistische Wähler mag vielleicht wichtig sein für die Stellen hinter dem Komma, wenn diesen aber die Achilles-Ferse genommen wird um grün zu wählen ... was solls. Mögen Sie weiterhumpeln zu irgendeiner anderen populistischen Partei.

  • Ein einfaches "Sorry" reicht bei so schweren Verfehlungen definitiv nicht aus.

     

    Die heute noch bei den Grünen in Führungspositionen sitzenden Verantwortlichen müssen sofort von all ihren Parteiämtern und öffentlichen Ämtern zurücktreten und müssen sich, anstatt Frau Peter, glaubhaft bei den Opfern entschuldigen. Hier sind insb. Trittin, Beck und Cohn-Bendit und etliche andere gemeint!! Beck wurde vom Spiegel der mehrfachen öffentlichen Lüge in dieser Sache überführt.

     

    Des Weiteren muss von den Grünen ein Opferfond sofort eingerichtet werden, das macht den Schaden der Betroffenen zwar nicht wieder gut, mildert es aber ein wenig und gibt ein Stück weit Anerkennung!

     

    Sollten die Grünen das nicht machen, was das Mindeste an Maßnahmen wäre, sind sie keinen Deut besser als diejenigen, denen die Grünen bei gleichartigen Verfehlungen den empörten moralischen Zeigefinger vorgehalten haben.

  • Die Aufarbeitung dieser Thematik ist für die Grünen notwendig und muss intern weitergehen. Das Vorgehen mit der wissenschaftlichen Begleitung zeigt, dass hier glaubwürdige Aufarbeitung vollzogen wird.

     

    An alle feixenden und vor Selbstgerechtigkeit vollgesabberten Beobachter von rechts sei nur gesagt:

     

    Bis weit in die 1990er Jahre hat die CDU wiederholt bei Versuchen das Straftrecht zu verändern das Thema Vergewaltigung in der Ehe nicht für strafwürdig gehalten und alle parlamentarischen Anläufe von Rot-grün dazu sabotiert. Wann fängt die CDU eigentlich an ihre damalige äüßerst fragwürdige Haltung zur Gewalt in der Ehe aufzuarbeiten? Wo bleibt die Entschuldigung bei den Opfern der von der CDU tolerierten Gewalt gegen Ehefrauen?

    • @Daniel L:

      "intern" ?!! Sorry ne! Das wird/wurde bei den Grünen nicht intern geregelt. Das Buch von Walter ist laut TV_Nachrichten heute auf dem Markt. Und bauen Sie doch bitte bei diesem Thema keine künstlichen Gegensätze zwischen Grüne und anderen Parteien auf.

  • Ja ja, die Grünen sind Pädophile, die LINKEN sind der elende Rest der SED, die SPD ist die Arbeiterpartei und die CDU sind gläubige Christen. Diese Selbstgeißelung der Opposition nimmt noch abstoßende Züge an, während die Schuldlosigkeit der Regierungsparteien mittlerweile genauso glaubwürdig ist, wie ein katholischer Pfarrer der an kleinen Jungs herumfummelt.

    • @Julianne:

      " ... wie ein katholischer Pfarrer der an kleinen Jungs herumfummelt."

       

      Sie bedienen genau den populistischen Sprachduktus den Sie anderen vorwerfen. Der "katholische Pfarrer" ist in der populistischen Sprache austauschbar. Schnell wird daraus der "grüne Bundestagsabgeordnete, der gern legal an kleinen Jungs rumfummeln möchte", "die grünen Kinderficker" etc.

       

      Solch ein Gruppen-bezogener Populismus ist unter aller Sau.

      • @Arcy Shtoink:

        Nur, daß der grüne Abgeordnete gar nicht über den amtsmäßigen Zugriff auf Kinder verfügt, wie es beim Pfarrer der Fall ist. Es gibt also einen klaren Sachgrund zu der impliziten Gewichtung, die Kollegin Julianne vornimmt.

  • Was ist eigentlich mit denen, die als Kinder unter einer überstrengen Sexualmoral gelitten haben und bis heute darunter leiden? Die die Hände immer auf der Bettdecke haben mußten? Die Prügel bezogen, wenn man sie beim Onanieren erwischt hat? Die gezwungen wurden, einem Wildfremden im Beichtstuhl ihre intimsten Geheimnisse zu verraten? Haben die auch einen Franz Walter, der sich für sie stark macht?

    • @Dudel Karl:

      Die wählen heute CSU und setzen den Kreislauf des Mißbrauchs fort.

       

      In D gilt eh alles was mit Sex zutun hat als besonders verwerflich.

       

      Ich darf Tiere in Qualbetrieben Schlachtreif stopfen und sie dann aus religiösen Gründen lebendig ausbluten lassen. Ich kann ihre Genitalien maniplieren um sie zu züchten. Aber erregt darf ich dabei nicht sein :D

       

      Wenn also der Hundezüchter seinem Rüden an den Dödel langt um ihn zu führen dann ist das ok. Wenn er das tut weils ihn rallig macht dann nicht.

      • @Robert:

        Es wird halt im Schland mittelfristig so kommen, wie in den USA, wo Gewalt akzeptabler ist als Sex.