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PEN-Präsidentin über Eckhart-Debatte„Wir sind für das freie Wort“

Die Hamburger PEN-Vorsitzende Regula Venske verteidigt ihre Kritik an der Ausladung der Kabarettistin Lisa Eckhart vom Harbour Front-Festival.

Eingeladen, ausgeladen, wieder eingeladen, Absage kassiert: Lisa Eckhart kommt nicht nach Hamburg Foto: dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Überrascht Sie die Kritik an Ihrem offenen Brief gegen die Ausladung von Lisa Eckhart, Frau Venske?

Regula Venske: Von Kolleginnen und Kollegen habe ich sehr viel positive Rückmeldung erhalten. Die Debatte ist sehr aufgeladen, überraschend wäre es eher, wenn es keine Kritik gäbe.

Was macht die Debatte so aufgeladen?

Wir leben in einer Zeit, in der sehr schnell Erregung und Empörung um sich greifen, sehr schnell auch jede Seite meint, dass sie im Besitz der alleinigen Wahrheit sei. Da ist wenig Bereitschaft, anderen Positionen zuzuhören und sie zu verstehen. Es wird sehr schnell etwas unterstellt; das macht die Diskussionskultur insgesamt schwach und anfällig. Wir setzen uns im PEN für das freie Wort ein, für offene Diskussion, weil wir glauben, dass das die Gesellschaft zu einem Höheren voranbringt.

Gibt es Grenzen des Debattierbaren?

Wir kämpfen gegen jede Form von Hass, gegen Rassen-, Klassen-, Völkerhass, Hass aufgrund des Geschlechtes, der sexuellen Vorliebe – und das gilt es gegenüber der Freiheit des Wortes immer wieder auszubalancieren. Das ist oft kompliziert und dann ist es ungünstig, wenn so schnell frontal Stellung bezogen wird.

Sie selbst haben im offenen Brief an die Störung der Premiere von Remarques „Im Westen nichts Neues“ durch Nazi-Schlägertrupps erinnert.

dpa
Im Interview: Regula Venske

65, ist seit 2017 Präsidentin des deutschen PEN, einer Schriftstellervereinigung.

Lassen Sie mich ein Missverständnis, das leider entstanden ist, kurz klarstellen. Ich habe nicht Eckhart mit Remarque vergleichen wollen, auch nicht die historische Situation vor 90 Jahren mit unserer. Es geht darum, dass es im Laufe der Geschichte viele unterschiedliche Formen von Zensur gibt. Der einzige Vergleichspunkt ist, dass das Bürgertum sich damals nicht genügend für die Meinungs- und Kunstfreiheit positioniert hat und heute, in anderer Situation, vielleicht auch nicht. Wenn ich das verkürzt und missverständlich ausgedrückt habe, tut mir das leid. Es ist leicht, wenn wir nobelpreisverdächtige Literatur verteidigen oder wenn wir uns klar gegen rechts positionieren oder uns für die Meinungsfreiheit in der Türkei stark machen. Aber wir müssen uns auch da stark machen, wo wir vielleicht nicht so überzeugt sind oder es uns selbst weh tut.

In der Kritik an der Ausladungskritik heißt es, dass der Hamburger „Nochtspeicher“ als der eigentliche Veranstaltungsort inzwischen klar gestellt habe, er habe nicht Drohungen, sondern nur Warnungen erhalten. Damit sei das Szenario ein anderes als etwa im offenen Brief dargestellt.

Das Szenario kam ja nicht von mir. Aber: Wenn es die Drohungen nicht einmal gegeben hat, um so schlimmer ist die Ausladung doch. Das Festival hat ausgeladen mit der Information, man sei über die Sicherheitslage besorgt. Was sagt eigentlich die Jury dazu, die über die acht für den Heinz-Michael-Kühne-Preis nominierten Romane entscheidet? Haben die sie auch ausgeladen?

Die KritikerInnen sehen im Vorwurf einer grassierenden „Cancel culture“ bloß fantasierte Maulkörbe und eine von der Rechten befeuerte Scheindebatte. Tatsächlich ginge es um Kritik.

Es geht ja um eine reale Ausladung – und man kann nur kritisieren, wenn man sich auf den Diskurs einlässt.

Die KritikerInnen von Lisa Eckhart argumentieren, dass bei Antisemitismus der Diskurs für sie endet.

Für Antisemitismus gibt es keine Entschuldigung. Bei Lisa Eckhart müssen wir über Satire und Figurenrede diskutieren. Der große Kabarettist Helmut Qualtinger hat auch aus Naziperspektive gesprochen. Gerade in Österreich gibt es da eine Tradition im Kabarett. Die Frage ist, ob sie nicht dem Publikum den Spiegel vorhält, indem sie solche Positionen auf die Bühne bringt. Dekonstruiert oder reproduziert sie? Diese Debatte wird verhindert, wenn jetzt alle Antisemitismus schreien, die ihr Werk gar nicht kennen. Der Feind steht rechts. Aber wenn wir solche Diskussionen im breiten links-liberalen Spektrum nicht mehr führen, outsourcen wir den Einsatz für die Meinungsfreiheit an die Rechten.

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8 Kommentare

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  • „Wir kämpfen gegen jede Form von Hass, gegen Rassen-, Klassen-, Völkerhass, Hass aufgrund des Geschlechtes, der sexuellen Vorliebe – und das gilt es gegenüber der Freiheit des Wortes immer wieder auszubalancieren.“

    Diese Grenzsetzung ist eben problematisch: am Ende gilt jede Kritik als Hass oder mindestens feindlich.

    „Der Feind steht rechts“ ist auch so eine Formulierung, die fast alles legitimeren kann.

  • Ein Interview mit Lisa Eckhart selbst (warum machte das die Taz eigentlich nicht?):

    www.tagesspiegel.d...omas/26092812.html

    • @rero:

      Vermutlich aus Angst, sprachlich nicht gewachsen zu sein. Aber Sie haben recht: Es müsste es der TAZ doch ein Anliegen sein, der Eckardt die schöngeistige Maske von der Antisemitischen Fratze zu reißen ...

  • "nicht die historische Situation vor 90 Jahren mit unserer [vergleichen wollen]"

    Was sollte denn an diesem Vergleich hinken? Die politische Richtung, aus der die Cancel-Culture stammt?

  • "Aber wir müssen uns auch da stark machen, wo wir vielleicht nicht so überzeugt sind oder es uns selbst weh tut."

    Oder wie die große Ayn Rand schrieb, in ihrem Werk "Philosophie, wer braucht sie noch?":

    "Es ist nicht sehr inspirierend, für die Freiheit der Pornografievertreiber oder ihrer Kunden zu kämpfen. Aber im Übergang zum Dirigismus hat jede Einschränkung von Menschenrechten mit der Unterdrückung der am wenigsten attraktiven Menschen begonnen. In diesem Fall stellt die ekelhafte Natur der Sache einen guten Test für die eigene Loyalität zu Prinzipien dar."

    • @Mira Dora:

      "Aber im Übergang zum Dirigismus hat jede Einschränkung von Menschenrechten mit der Unterdrückung der am wenigsten attraktiven Menschen begonnen."

      Kann man diese Behauptung auch nur ansatzweise belegen? Soll der Unsinn durch das beliebig interpretierbare "attraktiv" verschleiert werden?

      • @yul:

        Ja. In jeder Art von Diktatur sind es neben den Dissidenten immer die "Asozialen", die es als erstes erwischt. Obdachlose, Prostituierte, Drogenabhängige usw. Insbesondere dann, wenn die Diktatur an eine Befreiungsideologie angeleht ist, da passen "Asoziale" nämlich nicht ins Konzept von Utopia und müssen weg.

  • Ich glaube soviel mediale Aufmerksamkeit hatte diese Frau noch nie. Vor der Ausladung vom Harbour Front-Festival habe ich noch nie den Namen Lisa Eckhart gehört. Die muss sich unheimlich freuen.